„Nazareth“, das ist eine kleine Stadt mit großer Bedeutung.
Ich war leider noch nie dort, aber ich möchte unbedingt einmal in die Heimatstadt von Jesus. Jetzt habe ich ein Buch gelesen und ganz viel über diese Stadt gelernt. Der Theologe und Ordensmann Andreas Knapp hat dieses Buch geschrieben, es heißt: „Wer alles gibt, hat die Hände frei“.
Andreas Knapp beschreibt darin eigentlich das Leben von Charles de Foucault, einem Heiligen, der vor gut 150 Jahren gelebt hat. Charles de Foucault hat dargelegt, was es eigentlich bedeutet, dass Jesus ausgerechnet aus diesem kleinen Kaff Nazareth kommt und nicht etwa aus der großen religiösen Metropole Jerusalem.
In meinem Glauben sehe ich in Jesus von Nazareth den Sohn Gottes. So wie er gelebt hat, was er getan und gesagt hat, darin kann ich etwas über Gott lernen. Und weil Jesus die ganze Kindheit, die Jugendzeit und einen großen Teil des Erwachsenenlebens völlig unscheinbar in Nazareth gelebt hat, lerne ich über Gott folgendes: Gott interessiert sich für die Nebenschauplätze, für die einfachen Orte. Er gibt sich da rein. In das ganz konkrete und einfache Leben. Bei Jesus von Nazareth damals, war das ein Handwerkerleben auf Baustellen und in einem Dorf.
Und ich lerne noch etwas: Gott braucht den großen Aufritt nicht, er kann warten. Denn dreißig Jahre lang hat Jesus quasi „incognito“ gelebt. Die Bibel beschreibt, dass es so lange gedauert hat, bis Jesus öffentlich gemacht hat, wer er ist. Und was er alles zu sagen hat, nämlich dass sein Gott für alle da ist. Da könnte man sagen: „Was für eine Zeitverschwendung!“
Aber nein: auch die ersten 30 Lebensjahre von Jesus sind wichtig. Auch die Jahre, in denen er sich gar nicht als Sohn Gottes „geoutet“ hat, sagen viel über Gott aus. Wie er ist und was er will. Wenn ich diese langen Jahre in Nazareth auch beachte, lerne ich: Gott ist einfach dabei. Im ganz, ganz normalen, und im allerkonkretesten. Und manchmal kann es ganz schön schwer sein, ihn zu finden, weil er sich so oft versteckt.
Wenn ich heute Jesus nacheifern will, könnte ich also leben wie er, als „Nazarenerin“ sozusagen. Jesus hat betont, was ihm da wichtig ist, nämlich dass er als Nazarener ein Bruder in einer riesigen Menschheitsfamilie ist. Jesus hat mal gesagt: „Meine wahre Familie sind alle. Nicht die Verwandten, sondern die, die rings um mich stehen.“
Hierarchien, Geschlechter oder besondere Leistungen spielen keine Rolle. Nazareth ist darum für mich viel mehr als nur ein Städte-Name. Wenn ich von Nazareth geprägt an Gott glaube, wird mein Glaube schnell sehr konkret. Da wo ich jetzt bin, da ist es wichtig und die, die jetzt um mich sind, die stehen mir am nächsten: Der Typ in der Straßenbahn gegenüber, meine alte Nachbarin oder mein neuer Arbeitskollege.
Und vor allem steckt in so einem bewussten Glauben an Jesus als Nazarener auch noch etwas sehr Starkes, nämlich eine Hoffnung. Ich kann hoffen, dass das Gute wirklich schon begonnen hat. Auch wenn es schlecht läuft. Wenn ich an Nazareth denke und alles, was für mich von Gott her darin steckt, dann wirkt das Stichwort „Nazareth“ fast wie eine „Anti-Resignativum“.
So nennt das auch der Autor Andreas Knapp in seinem Buch. Er schreibt, dass Jesus wirklich allen Grund gehabt hätte, aufzugeben, aber er ist dran geblieben. Er hat es vorgelebt: dass die neue, gute Welt schon angebrochen ist, auch wenn vieles dagegen spricht.
Andreas Knapp fasst seinen Glauben, in dem das kleine Kaff Nazareth eine Riesenrolle spielt, so zusammen:
Gott wurde Mensch in Nazaret.
Und somit ist Nazaret überall dort,
wo wir das schöne Wagnis eingehen,
menschlicher zu werden.