Kann man Liebe trinken? Was für eine eigenartige Frage, werden Sie denken. Natürlich geht das nicht. Liebe ist ein Gefühl, das „stärkste Zuneigung und Wertschätzung“ bedeutet, wie eine Definition es beschreibt. Die Liebe, die aus dem Innersten unseres Herzens kommt, passt in kein Glas, oder? Kann man Liebe trinken?
Dieser Tag heute, der erste Werktag nach den beiden Weihnachtsfeiertagen gibt eine Antwort auf diese Frage. Der 27. Dezember ist der Tag des heiligen Evangelisten Johannes.
Von ihm erzählt eine Legende, die im Artemistempel von Ephesus spielt. Der Oberpriester des Tempels soll den Apostel vor die Wahl gestellt haben, den heidnischen Göttern zu opfern oder einen Becher mit vergiftetem Wein zu trinken.
Johannes habe den Giftkelch gesegnet, und daraufhin sei das Gift in der Gestalt einer Schlange aus dem Gefäß entwichen, ohne dem Heiligen zu schaden. Aus dieser legendenhaften Erzählung ist im katholischen Gottesdienst ein Brauch entstanden. Am 27. Dezember wird Wein gesegnet, der dann mit einem besonderen Trinkspruch getrunken wird:
„Trinkt die Liebe des Heiligen Johannes.“
Liebe kann man also sprichwörtlich trinken. Der Jünger Johannes macht uns das vor. Im vierten Evangelium, das nach der Tradition auf diesen Apostel zurückgehen soll, wird er nie mit seinem Namen genannt.
Sein Name ist im Evangelium auch sein Charakterzug. Der „Jünger, den Jesus liebte“, liest man dort, wo es um Johannes geht.
Der Tag heute, an dem quasi der Alltag nach dem Weihnachtsfest wieder beginnt, will die Botschaft von Weihnachten in unserem Alltag ankommen lassen. Indem in unserem Leben etwas von der Liebe, von dieser Zuwendung zum nächsten sichtbar wird, die wir an Weihnachten gefeiert haben.
Die Liebe Gottes zu uns Menschen hat im wahrsten Sinne des Wortes Hand und Fuß bekommen im Kind von Bethlehem.
Das Weihnachtsfest dieses Jahres ist geprägt von Krisen und Herausforderungen. Aber auch das vergangene Jahr hat gezeigt: Krisen aktivieren Solidarität, wie es Alena Buyx, die Vorsitzende des deutschen Ethikrates kürzlich sagte. Wir haben genug eigene Probleme und Sorgen.
Aber ich finde es beeindruckend, dass trotz alle dem die Menschen in unserem Land im vergangenen Jahr mehr gespendet haben als sonst. Wie Untersuchungen zeigen, hat die Spendenbereitschaft insbesondere in der Gruppe der unter dreißigjährigen besonders stark zugenommen.
Da ist der Evangelist Johannes in guter Gesellschaft. Er gehörte wohl auch zu der Gruppe unter Dreißig, hatte den Mut für diesen Jesus, von dem er fasziniert war und dem er nachfolgte, alles zu geben. Selbst unter dem Kreuz Jesu, als die anderen Jünger und Jüngerinnen, aus Angst die Flucht ergriffen hatten, blieb Johannes bei seinem Freund.
Ich bin überzeugt: Solche Menschen gibt es und braucht es auch heute. Sie halten unsere Gesellschaft zusammen. Menschen, die sich für andere einsetzen, auch wenn es schwierig wird.
„Trinkt die Liebe des Heiligen Johannes“,
dieser ungewöhnliche Trinkspruch erinnert mich heute daran, dass Gottes Liebe in Fleisch und Blut übergehen kann, so Solidarität und Nächstenliebe zur Tat werden. Die Liebe, die Hinwendung zum Anderen macht uns froh. Sie ist fast wie ein guter Tropfen eines edlen Weines.
Die Wissenschaft sagt uns, dass die Neigung sich für andere einzusetzen, für die meisten Menschen ein Art Grundkonstante ihres Lebens ist. Selbst in schlimmen Situationen weiß man, dass es gut tut, anderen zu helfen. In England wird helfendes Verhalten inzwischen sogar als Therapieform verschrieben. Das Fest des Evangelisten und Lieblingsjüngers Jesu, der Tag, an dem man sozusagen Liebe trinken kann, erinnert uns daran.