"Ich steh vor dir mit leeren Händen Herr
fremd wie dein Name sind mir deine Wege.
Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott;
mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen?
Von Zweifeln ist mein Leben übermannt,
mein Unvermögen hält mich ganz gefangen.
Hast du mit Namen mich in deine Hand,
in dein Erbarmen fest mich eingeschrieben?
Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?
Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen.“
Heute steht dieses Lied in den Gesangbüchern beider Konfessionen in Deutschland. 1996 hat es der niederländische Theologe und Poet Huub Oosterhuis für die Beerdigung eines 26-jährigen geschrieben.
Angelehnt an Psalm 119, formuliert er in aller Aufrichtigkeit die Zweifel, die Christen nicht nur bei so einem Anlass überwältigen. Bedrohung und Zerbrechlichkeit des Glaubens spricht der Text aus, aber auch Sehnsucht und Hoffnung.
Wieder und wieder hat er sich mit dem Tod auseinandergesetzt, der Glaubenspoet aus Amsterdam.
"Was hast du mit ihnen gemacht,
du, der nie fahren lässt das Werk seiner Hände?"
– fragt er Gott in einer Mischung aus Vorwurf und trotzigem Vertrauen. Und dichtet ein „Lied von der Auferstehung“:
"Der Tote wird leben.
Der Tote wird hören: Nun lebe.
Zu Ende gegangen,
unter Steinen begraben:
Toter, Tote, steht auf,
es leuchtet der Morgen.
Da winkt eine Hand uns,
uns ruft eine Stimme:
Ich öffne Himmel und Erde und Abgrund.
Und wir werden hören,
und wir werden aufstehn
und lachen und jauchzen und leben."
Nun ist er selbst in die Ewigkeit hinübergegangen, Huub Oosterhuis – am Ostersonntag dieses Jahres, im Alter von 89 Jahren. Seine bildkräftigen Psalmen und Lieder, die intellektuelle Redlichkeit mit spiritueller Tiefe verbinden, werden im ganzen deutschen Sprachraum gesungen.
Denn bis zur Konzilszeit gab es überall in den Gottesdiensten dasselbe Problem: "Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret"; "Was Gott tut, das ist wohlgetan, es bleibt gerecht sein Wille" … kollektiver Jubel, eiserne Glaubensgewissheit, Zufriedenheit mit einem offensichtlich nicht immer gerechten Gott. Viel Bemühen um Frömmigkeit und kaum Platz für die Thematisierung von Ringen und Zweifeln. In den Niederlanden kam noch hinzu, dass es so gut wie keine Gottesdienstlieder in der Muttersprache gab.
Umso mehr Aufmerksamkeit mussten die sehnsüchtig tastenden, verstörenden, tröstenden Psalmen und Lieder eines Jesuitenpaters aus Amsterdam erregen, der zunächst eigentlich nur ein paar Kompositionen für seine Studentengemeinde geschrieben hatte. Von einem "tastenden Glauben" war hier die Rede, vom Glauben-Wollen und Nicht-glauben-Können.
Fragen, Klagen, leiser Vorwurf statt forscher Eindeutigkeit. Für Huub Oosterhuis war so eine Haltung weder Defizit noch Sünde. Er nahm darin die Ernsthaftigkeit eines Glaubens wahr, der sich Gottes Ferne eingesteht und sich den Hunger nach seiner Nähe nicht austreiben lässt.
Es ist eine Tatsache: Zahllose Menschen erfahren Gott heute als den komplett Abwesenden. Oosterhuis nennt Gott deshalb den "Kommenden", den Ersten und Letzten, "verborgen, blendend, unmöglich", "Atem, Licht, Herzschlag, Liebe in uns und über uns hinaus".
"Niemandes Gott, einfach nur Mensch", redet er ihn in einer Litanei an, "Stimme, die mitten im Wort mir stockt", "Sturm gegen mich", "du kein Gott, wie wir dich denken", "mühsamer Freund". Und dann wagt er doch, behutsam, respektvoll, Distanz wahrend und voller Verlangen nach einer Antwort, sorglich die Worte abwägend, ein Gebet:
"Aus dem Himmel ohne Grenzen
trittst du tastend an das Licht,
du hast Namen und Gesicht,
du bist wehrlos wie wir Menschen.
Als ein Kind bist du gekommen
– noch dein Schatten macht uns blind –
unnachspürbar wie der Wind,
der vorbeiweht in den Bäumen.
Als ein Wort bist du gegeben,
Furcht und Hoffnung in der Nacht,
wie ein Schmerz, der heil uns macht,
wie ein Neubeginn des Lebens."
Die Kirchenleitung in den Niederlanden hätte dem Jesuitenpater Oosterhuis zu Füßen liegen müssen. Er paraphrasierte mit Geschmack und Geschick Bibeltexte. Er hatte mit seinen starken Bildern Erfolg, seine Gedicht-, Psalmen- und Liederbücher fanden großen Absatz. In Amsterdam initiierte er eine Menge sozialer Projekte, er kämpfte für Asylsuchende und gründete drei Kulturhäuser.
Doch in alledem ermutigte er auch dazu, kirchliche Konventionen nicht zu ernst zu nehmen und einen je persönlichen Weg zu Gott zu entdecken. Huub Oosterhuis eckte immer wieder an, wollte dies womöglich auch – und manche Bischöfe und Ordensoberen hatten zunehmend ein Problem mit ihm.
Als Oosterhuis den Pflichtzölibat in Frage stellte, ließ ihn der Jesuitenorden fallen. 1969 wurde der katholische Priester suspendiert, er heiratete daraufhin eine Krankenschwester und erfolgreiche Instrumentalmusikerin, ließ sich scheiden, heiratete erneut, machte aus seiner Studentengemeinde die überkonfessionelle „Ekklesia Amsterdam“, die zum Experimentierfeld und viel beachteten Vorbild liturgischer Erneuerung wurde. Er war mit der königlichen Familie befreundet, predigte bei der Trauerfeier für Prinz Claus in Delft 2002, erhielt 2014 den renommierten deutschen Predigtpreis.
Mit der Zeit gingen die kirchlichen Leitungsinstanzen gnädiger mit dem offenbar hochbegabten Gottespoeten um. In Deutschland gab es in Bremen und Osnabrück bereits von Oosterhuis inspirierte höchst lebendige Gemeinden. Jeweils ein halbes Dutzend seiner Lieder zogen in das „Evangelische Gesangbuch“ und in das katholische „Gotteslob“ ein. Auch in den deutschschweizerischen Gesangbüchern stehen die Lieder; das niederländische „Liedboek voor de Kerken“ brachte es 2013 sogar auf 90 Titel.
"Wer leben will wie Gott auf dieser Erde,
muss sterben wie ein Weizenkorn,
muss sterben, um zu leben."
"Die Menschen müssen füreinander sterben.
Das kleinste Korn, es wird zum Brot,
und einer nährt den andern.
Den gleichen Weg ist unser Gott gegangen,
und so ist er für dich und mich
das Leben selbst geworden."
Es ist eines der Lieder, die sowohl im katholischen „Gotteslob“ wie im Evangelischen Kirchengesangbuch stehen. Unabhängige Fachleute stellen die Oosterhuis-Texte weit über das sogenannte „Neue Geistliche Lied“, dem ihre enge biblische Fundierung ebenso fehlt wie der Realismus gegenüber der politischen und gesellschaftlichen Situation.
Es gehe ihm nicht um schöne religiöse Erlebnisse und private Erfahrungen des Wohlbefindens, stellte er selbst klar. Wichtig sei ihm vielmehr der Auftrag der Bibel, die das „maßlose Verlangen“ des Menschen an Liebe und Gerechtigkeit binde. An die Vision,
"dass kein Kind sterben wird, dass wir uns nicht sinnlos mühen werden, dass wir die Kriege verlernen."
Mit Staunen und Sympathie registrierte man, wie Oosterhuis sich bemühte, den jüdischen Wurzeln des Christentums einen Platz im Gottesdienst zu sichern. Er hat viele "Tafelgebede" geschrieben, Tischgebete für die Eucharistiefeier. Da verband er dann schon einmal den ehrwürdigen Text des Römischen Messkanons mit der jüdischen Tora:
"Der uns zu gehen lehrte
auf dem alten Weg deines Liebesworts
zu einem guten weiten Land,
wo der Tod nicht herrscht.
Der uns ein Zeichen aufgerichtet hat,
worin sein Geist offenbar
und wirksam ist bis heute.
Der am Abend vor seinem Tod
Brot gebrochen hat
und ausgeteilt an seine Freunde.
Der einen Becher Wein genommen,
Dank und Segen gesprochen
und gesagt hat:
'Tut dies zum Gedächtnis
an Gott, der uns befreit hat
aus dem Sklavenhaus,
der uns aus der Macht des Todes
befreien wird.'
So tun wir denn, was er zuvor getan,
essen, trinken, teilen Brot und Wein,
Zeichen des Glaubens, dass nichts bei Gott unmöglich:
Dass auch durch uns und mit uns und in uns
eine neue Welt kommen soll,
wo Brot und Liebe ist, genug für alle.
Komm über uns mit deinem Geist.
Gesegnet seist Du
um Israels willen, dein heiliger Weinstock,
woran du uns Anteil gegeben hast
durch Jesus, deinen Knecht."
Für Oosterhuis ist die Heilige Schrift die "Große Erzählung", welche die ganze Menschheitsgeschichte und gleichzeitig den individuellen Lebensweg jedes Menschen in den Horizont Gottes stellt. So erscheint Jesus als typischer Mensch, essend und trinkend, mit seinen Freunden feiernd, geliebt und verraten, der Macht geopfert und dem Tod preisgegeben – und gleichzeitig als jener "Menschensohn", in dem Gott berührbar wird und Gemeinheit, Gewalt und Tod überwindet.
In Ansätzen gibt es das schon, gibt es Freiheit und Gerechtigkeit, in der Versammlung der Gläubigen, dieser verzagten Träumer, zur Eucharistie. Tätige Hoffnung statt ohnmächtiger Resignation. Wenn Oosterhuis die Geschichten der Bibel weiterspann, klang es manchmal wie ein Märchen:
"Gott lief über den Weltenraum.
Alle Sonnensysteme und Sternenhimmel
waren wie ein Acker
unter seinen Füßen.
Da fand er einen Schatz
in dem Acker verborgen.
Es war diese Erde
mit einem Menschen darauf.
– Und in seiner Freude
verkaufte er alles, was er besaß,
seine Allmacht und sein allsehend Auge,
seinen Himmel und seine Hölle
– und kaufte diese Erde."
„Herr, unser Herr, wie bist du zugegen
und wie unsagbar nah bei uns.
Allzeit bist du um uns in Sorge,
in deiner Liebe birgst du uns.
"Herr, unser Herr, wie bist du zugegen,
wo nur auf Erden Menschen sind.
Bleib gnädig so um uns in Sorge,
bis wir in dir vollkommen sind."
Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden
Musik:
Arvo Pärt – Vater Unser
Arvo Pärt – Collage on a Theme B-A-C-H II.Sarabande