Menschen, die einen schweren Verlust erlitten haben, weil ein geliebter Mensch gestorben ist, fallen oft in ein tiefes Loch. Ihr Leben ist aus den Fugen geraten. Und in ihrer Trauer ziehen sich viele zurück. Sie sind untröstlich, ihnen fehlen die Worte, um ihren Schmerz auszudrücken. Doch dann kommt schnell Aktionismus auf, denn es gilt eine Beerdigung zu planen. Wer eine kirchliche Feier möchte, muss im Gemeindebüro anrufen und einen Termin machen – mit dem Pfarrer. Doch heute gibt es auch Gemeinden in der katholischen Kirche, in denen Frauen und Männer Beerdigungen leiten und Trauernde begleiten, ohne einen Arbeitsplatz bei der Kirche zu haben.
Eine von ihnen ist Karin Bury-Grimm aus dem Landkreis Hildesheim. Seit mehr als 11 Jahren macht sie sich auf, um mit trauernden Menschen zu sprechen – und mit ihnen die Beerdigung zu planen.
"Ich fühle mich als Seelsorgerin im wahrsten Sinne des Wortes, weil die meisten Menschen eben auch sehr wund sind, deren Seelen sind wund. Niemand begreift wirklich, was es bedeutet, wenn jemand, den ich geliebt habe oder mit dem ich gelebt habe, plötzlich nicht mehr da ist. Und dieser Kummer darüber, das auch nicht ändern zu können, diese Ausweglosigkeit, nicht zu wissen, wie gehe ich damit um, wie wird es werden, was wartet auf mich, das ist etwas, was es immer wieder gilt anzuhören."
Jeder Mensch trauert auf seine eigene Art
Damit die Trauernden, die oft wie in einem Tunnel leben, erzählen können. In dieser Phase sollte niemand auf sich allein gestellt sein. Die ehrenamtliche Beerdigungsleiterin ist in der Zeit um die Beerdigung da, wenn sie gebraucht wird, weil sie spürt, wie nahe sie den Trauernden gekommen ist, die sie in ihre Familie gelassen haben.
"In diesem ganzen Kontext baut sich natürlich auch relativ schnell Vertrauen auf. Da geht es ja um Gefühle, da geht es um Trauer, um Liebe, da geht es um Verlust und auch um Ängste, um Panik, um Schock."
Nicht alle Menschen können all das allein verarbeiten und betrauern. Darum gibt es viele Angebote für Trauernde. Angefangen bei Ritualen, besonderen Trauerräumen, speziellen Urlaubsreisen, Trauercafés und Trauergruppen. Auch Claudia Scholz hat erlebt, wie wohltuend es ist, bei der Trauer begleitet zu werden. Die Gemeindereferentin aus Hildesheim hat vor fast sieben Jahren einen Sohn verloren. Damals hatte sie sich gerade zur Beerdigungsleiterin ausbilden lassen. Sie, die Trauernde begleiten wollte, trauerte plötzlich selbst mit ihrer Familie und sah sich vor einer gigantischen Aufgabe:
"Ich muss mich ja in mir ganz neu finden, ich muss in mir ganz neu anfangen, mich neu in Waage zu bringen. Es ist ja alles erschüttert. Der geliebte Mensch ist weg. Wenn man bei ´nem Mobile ein Element abschneidet, dann bricht ja das ganze Mobile in sich zusammen. Und so ist das ja in Familien auch, in Beziehungen auch."
Wenn das eigene Kind stirbt
Um anderen Eltern dabei zu helfen, sich nach dem Tod eines Kindes dieser Situation zu stellen, hat sie mit ihrem Mann eine Selbsthilfegruppe für verwaiste Eltern gegründet. Denn es kann entlastend sein, den Weg durch die Trauer miteinander zu gehen, weil Menschen erleben: Andere sind ebenso erschüttert wie wir. Auch sie kennen das tiefe Loch. Und finden keinen Trost. Auch sie wollen nicht wahrhaben, was passiert ist. Sich dem zu stellen, kann Schwerstarbeit sein. Doch es ist der Anfang des Trauerweges.
"Das braucht Fingerspitzengefühl und auch Ermutigung, dass die Menschen bei sich ganz ehrlich gucken. Ich möchte ja, dass sie ihren Weg gehen können. Und nicht, dass sie dann in die Gruppe kommen und merken, das ist nichts und dann wegbleiben. Und dann stehen sie da alleine und müssen sich ganz neu wieder auf die Suche machen. So besteht dann das Angebot, in Einzelbegleitung zu gehen."
Claudia Scholz hat sich zur Trauerbegleiterin ausbilden lassen und erfährt immer wieder: Die Begleitung wird dankbar angenommen. Für Trauernde gehrt viel Mut dazu, sich Hilfe zu holen und um eine Begleitung zu bitten, weil sie allein nicht mehr weiterkommen, sich überfordert fühlen. Und so reagiert Scholz sehr schnell, wenn Anfragen kommen. Sie ruft zurück und bald sitzt man sich gegenüber.
"Ich frage dann auch immer: 'Mögen Sie von sich erzählen oder soll ich erst mal von mir erzählen?' – Gerade bei trauernden Eltern. Dann dürfen die entscheiden, was sie möchten. Manche haben quasi schon angefangen zu erzählen, bevor ich die Frage stelle, dann ist es eigentlich relativ klar, dass die von sich als erste erzählen. Aber viele sagen auch: Erzählen Sie erst mal von sich. Und dann erzähle ich von meiner Geschichte, dass unser Sohn jetzt vor fast sieben Jahre verstorben ist – werde da auch ziemlich persönlich, gehe dann dazu über, wie ich dazu gekommen bin, eine Gruppe für trauernde Eltern zu gründen, und spätestens an der Stelle kommt es ziemlich zügig, dass die Menschen dann auch erzählen. Es ist ganz selten, dass die in den Erstgesprächen bedeckt bleiben und nur ganz wenig von sich erzählen."
Trauer, Wut, Ohnmacht: Emotionen brauchen Raum und Zeit
"Ich hab‘ ja nicht ´n Patentrezept für Trauer. Das kann man auch nicht lernen. Es ist immer ein Tasten und ein Mitgehen. Und aus diesem Mitgehen und aus diesem Tasten heraus kann ich von mir erzählen: Was ist meine Erfahrung gewesen? Und manche sagen dann: Wenn ich dich jetzt reden höre, dass ich da irgendwann durchkomme, ja, dann habe ich vielleicht auch im Moment ein bisschen mehr Hoffnung, ein bisschen mehr Mut, weiterzugehen und nicht zu resignieren und nur stehenzubleiben."
Claudia Scholz möchte die Trauenden mitnehmen. So versucht sie immer wieder, sich behutsam in die Menschen einzufühlen: In Eltern, die ihre Tochter verloren haben, den Mittelpunkt ihres Lebens. Ihnen fehlen die Worte, um ihren Schmerz auszudrücken. Es gilt, im manchmal dröhnenden Schweigen da zu sein. Ohnmacht oder Wut mit auszuhalten. Die Zeit heilt keine Wunden, Emotionen brechen immer wieder auf. Sie brauchen ihren Raum. Wie die Verstorbenen. Denn auch, wenn sich die Beziehung zu den Verstorbenen beim Trauern wandelt, gehen sie nicht verloren. Sie gehören zum Leben dazu.
"Meine Trauer um unseren Sohn, das ist ´ne Lebensaufgabe, die mal mehr im Vordergrund steht, mal weniger, aber täglich da ist für mich. Die ist auch nie fertig. Die wird sich immer wandeln, die wird immer andere Facetten kriegen, die wird immer wieder auch Wunden aufreißen, aber die wird auch immer wieder was abheilen lassen, wo ich dann einfach draufgucken und kann sagen: Ja, guck mal: Jetzt ist es so. Vor was weiß ich wie viel langer Zeit, bist du überhaupt nicht klargekommen mit diesem Gedanken."
Damit das möglich ist, braucht Trauer Zeit. Das aber macht es für die Angehörigen und Freunde nicht unbedingt einfach. Sie wissen oft nicht, wie sie dem Trauenden begegnen können. Dabei wäre es wichtig, dass gerade sie da sind und so begleiten. Die Trauerbegleiterin ist davon überzeugt:
"Ihr könnt gar nichts falsch machen. Das, was am wenigstens gut ist, sich abzuwenden, Kopf runter und in die andere Richtung zu gehen. Allein auf den Trauernden zuzugehen und zu sagen: 'Oh, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll!' Damit ist der erste Satz schon gesagt. Und dann kommt meistens ´ne Reaktion von dem Trauernden: 'Ja, mir fällt das auch schwer. Ich weiß auch immer noch nicht, was ich davon halten soll, das Leben fällt mir schwer. Aber das geht auch schon wieder.' Und ruck zuck ist man in einem Gespräch drin."
Und davor muss niemand Angst haben, denn die Trauer gehört zum Leben dazu. Wenn Worte fehlen, ist es schön, wenn ein Zeichen der Nähe möglich ist, das dem Trauernden zeigt: "Ich sehe dich in deiner Trauer. Versteck sie bitte nicht vor mir." Wer auf eine trauernde Person zugeht, sollte in den Augen von Claudia Scholz aber auch wissen:
"Trauernden kann man es an vielen Stellen sowieso nicht recht machen. Sagt man das, ist es nicht recht sagt man das, ist es vielleicht auch nicht recht. Aber jemanden einfach stehen zu lassen, ist einfach schwierig. Und das zweite, was zu vermeiden ist, ist irgendwie so die Bewertung: Mensch, jetzt ist aber drei Monate her, dass dein Mann gestorben ist, Jetzt muss aber gut sein. Guck in die Zukunft!"
Oft sind Menschen ungeduldig, weil sie mit der Trauer nicht umgehen können. Sie wollen sie an die Seite schieben, am liebsten für beendet erklären, doch jeder Mensch, der trauert, legt seinen Weg durch die Trauer in seiner Zeit zurück. Und es dauert, bis die Sinne wieder offener werden, und man, ohne gleich in Tränen auszubrechen, auf den Verstorbenen zurückblicken kann und etwas gelingt, was unmöglich schien:
"Sich dem Leben zuzuwenden, auch sich wieder langsam hineinzutasten. Es ist ja ein völlig anderes Leben. In das alte Leben kommt man nicht wieder zurück. Man wird aus ´ner Schiene rausgehoben und – zack – in eine neue reingesetzt. Es ist vielleicht noch mal anders, wenn ein alter Mensch stirbt, die Reihenfolge also eingehalten wird. Aber auch da kann das auch sein. Aber besonders gerade, wenn junge Menschen sterben, wenn Kinder vor den Eltern sterben, die das ganze Leben noch vor sich haben, dann ist das noch mal extremer."
Hilfe und Hoffnung durch den Glauben
Da kann es hilfreich sein, wenn Eltern einander tragen, weil sie sich regelmäßig treffen und miteinander unterwegs sind in ihrer Trauer. Der Austausch bedeutet manchmal auch Trost, weil ein anderes Paar ebenso mit dem Leben hadert wie man selbst. Oder jemand sagt etwas, das für die eigenen Ohren unglaublich klingt – zum Beispiel, wenn es in der Trauer eben auch um Glaubensfragen geht.
"Mich trägt auch mein Glaube: Die Hoffnung auf die Auferstehung, der Glaube an ein Leben nach dem Tod, an das ewige Leben, an etwas Schönes. Für mich ist diese Verheißung einfach etwas Großes. Das ist Trost und das trägt. Aber das dauert halt auch. Das meine ich halt auch mit Wandlung: Trauer wandelt sich. In der ersten Zeit hätte ich das gar nicht so sehen können. Da war Glaube nur, es gibt was. Gott sei Dank hat mich das ein Leben lang begleitet und irgendwann kam dieser gewandelte Gedanke: Ja, und unser Sohn ist nicht allein gewesen, Gott ist dagewesen."
Bis sie das so sehen konnte, hat die Trauerbegleiterin einen weiten Weg zurückgelegt. Wie lange hat sie vorher mit Gott gehadert, weil er nicht so gehandelt hat, wie sie es erhofft hatte: Ihren Sohn aus der Gefahr zu retten. Doch durch den bisher zurückgelegten Trauerweg hat sie für sich etwas verstanden, was sie ohne eigene Erfahrungen nicht hätte verstehen können:
"Trauer ist nicht das Problem, sondern Trauer ist die Lösung! Ich verstehe den Satz so, dass Trauer nicht das Problem ist, das ich irgendwann abgearbeitet habe, um es dann ad acta zu legen oder immer nur mal so ‘n ganz bisschen anzugucken oder irgendwie sowas, sondern indem ich trauere, gehe ich da durch. Und dieser Weg ist für mich die Lösung. Also, ich bin auf dem Weg der Lösung und nicht: das ist ein Problem, das ich loswerden will. Indem ich durch meine Trauer durchgehe, wird das für mich zur Lösung, indem ich sie in mein Leben integriere. Ich glaube, das ist ein guter Ansatz, sich das bewusst zu machen. Persönlich, als Trauernder, aber auch der- oder diejenige, die Trauernde begleitet oder Trauernden begegnet im Familien-, im Freundeskreis oder halt auch in Gruppen."
Trauer gehört zum Leben dazu – und verbindet
Wer seine Trauer ins Leben integriert, kann sich neu dem Leben zuwenden, sich von ihm wieder berühren lassen und so entdecken: Es geht trotz allem weiter – allerdings anders. Das kennt auch Karin Bury-Grimm. Sie, die vor allem Menschen im ländlichen Raum rund um Beerdigungen sehr intensiv begleitet, hört immer wieder, wie Trauer Menschen zusammenbringt und Trauernde begleitet werden.
"Trauer kann auch Kontakt wiedergeben. Wenn du ein Gegenüber hast, was Interesse daran hat, was signalisiert, ich habe jetzt alle Zeit der Welt, dass der andere reden kann, es loswerden kann. Also, das merke ich ganz oft, dass Menschen, die einsam sind, dann merken, dass Nachbarn sich wieder kümmern. Das nachgefragt wird: Kann ich irgendwas für dich tun? Kann ich einkaufen? All das gibt es ja auch."
Und all das kann tröstlich sein, wenn Trauernde spüren: Ich bin nicht allein.
„Tröstet, tröstet mein Volk“, so spricht Gott im Alten Testament durch den Propheten Jesaja. Es ist ein immerwährender Auftrag. Karin Bury Grimm hat ihn sich zu eigen gemacht. Sie möchte den Menschen nahe sein, damit sie ihr vertrauen und sich öffnen können – weil Begleitung in der Trauer wichtig ist und wertvoll sein kann.
Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.
Musik:
Clint Eastwood – End Title, Soundtrack "Changeling"
Clint Eastwood – I Want To Go Home, Soundtrack "Changeling"
Clint Eastwood – Mom’s On Call, Soundtrack "Changeling"