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Sag Ja zum Nein! Vom Wert des Nein-Sagens

Am Sonntagmorgen, 14.05.2023

Pater Norbert Cuypers, Wenden

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Mit der Kollegin eine Schicht tauschen, damit diese den Konzertauftritt ihres Sohnes nicht verpasst? Na klar! Einen Auftrag vom Kollegen übernehmen, auch wenn es wieder einmal Überstunden bedeutet? Ist doch selbstverständlich! Hilfsbereitschaft empfinden viele von uns als etwas Edles. Offensichtlich macht sie unseren Alltag humaner. Wer ein gutes Herz hat, wird schnell bereit sein, ein 'Ja' zu sprechen, auch wenn er oder sie in diesem Moment die eigenen Interessen zurückstellen muss.

Andere Menschen wiederum sagen schnell einmal 'Ja', weil sie Angst haben, ansonsten von ihrem Chef in der Firma nicht mehr wertgeschätzt oder von der Ehepartnerin nicht mehr geliebt zu werden. Und schließlich gibt es noch jene, die immer gleich ‚Ja‘ sagen, weil sie fest davon überzeugt sind, dass es außer ihnen sowieso niemand macht.

Auch mir passiert es hin und wieder, dass ich viel zu schnell zu etwas 'Ja' sage, obwohl ich ein 'Nein' meine. Aber irgendwann wird es auch einmal nötig sein, ein klares 'Nein' zu sagen – auch, wenn es in diesem Augenblick dem Gegenüber weh tut. Ein solches 'Nein', das eine klare Abgrenzung bedeutet: Das kann dann schon zu einem echten Konflikt führen – und wer will den schon?

Das genau ist ja auch ein Grund, warum Menschen, immer wieder 'Ja' sagen, selbst wenn sie 'Nein' meinen. Sie möchten um jeden Preis den Frieden bewahren und nicht negativ auffallen. Andererseits stimmt auch: Wer ein klares 'Nein' hört, der weiß, wo er bei seinem Gegenüber dran ist. Und nicht zuletzt ist es für das eigene Leben enorm wichtig, wenn es geboten ist ein deutliches 'Nein' auszusprechen. Sag Ja zum Nein: ich möchte in dieser Sendung der Frage nachgehen, warum und in welchen Situationen das wichtig ist.

Als bekennender Christ frage ich mich an dieser Stelle, ob auch Jesus in seinem Leben 'Nein' sagen konnte. Spontan fällt mir ein Wort von ihm ein, das Eingang in unseren alltäglichen Sprachgebrauch gefunden hat. Es findet sich im fünften Kapitel des Matthäusevangeliums. Dort heißt es: "Euer 'Ja' sei ein 'Ja', euer 'Nein' ein 'Nein'." (Mt 5,37). Es ist eine äußerst radikale Aussage, die wir da von diesem Jesus aus Nazareth hören. Alles andere als ein 'weichgespültes' und unverbindliches 'Jein'.

In diesem Wort geht es Jesus offensichtlich um Klarheit in der Rede und um Eindeutigkeit im Handeln des Menschen. Dieses Schriftwort steht im Kontext seiner Verkündigung vom Reich Gottes. Der Kern dieser Botschaft besteht unter anderem darin, dass Menschen nicht über andere Menschen herrschen, sondern sich vielmehr von Gott führen lassen sollen. Davon war Jesus zutiefst überzeugt. Gott allein, und nicht irgendein Mensch zeigt letztlich den wahren Weg zu einem erfüllten, geglückten Leben.

Wenn es also um das Wohlwollen Gottes für den Menschen ging, war Jesus zu keinem faulen Kompromiss bereit. Konflikten, die sich daraus mit den Mächtigen seiner Zeit ergaben, wich er nicht aus. Hätte Jesus in seinem Leben immer nur 'Ja und Amen' zu allem gesagt, wäre diese seine himmlische Mission wohl gescheitert. Anders, als beim allseits beliebten, aber eben unverbindlichen 'Jein' ist Jesu Wort eindeutig und klar: "Euer 'Ja' sei ein 'Ja', euer 'Nein' ein 'Nein'." Gerade deswegen fordert seine Botschaft bis heute seine Hörer und Hörerinnen heraus – schenkt ihnen aber auch Orientierung und Halt für ihr Leben.

Nirgendwo sonst wird das für mich so deutlich, wie in der biblischen Geschichte der Konfrontation Jesu mit dem 'Diabolos', dem Versucher, der alles im Leben von Menschen durcheinanderwirbeln will. Dieser Ungeist – in der Bibel oft Teufel oder Satan genannt – vermischt gute Gedanken im Menschen mit jenen, die vom Guten wegführen.

Gleich dreimal wird Jesus in dieser Geschichte herausgefordert, dem Teufel – also jenem Ungeist, der das menschliche Denken verwirrt – ein ganz klares und entschiedenes 'Nein' entgegenzuhalten. In der Auseinandersetzung mit dem Diabolos zeigt sich zugleich, wie fundamental wichtig Jesus dabei seine Gottesbeziehung war. Aber schauen wir uns die Geschichte in einem Dreischritt etwas genauer an. Szene Eins:

"Jesus wurde vom Geist Gottes in die Wüste geführt, wo er den Versuchungen des Teufels ausgesetzt sein sollte. Vierzig Tage und Nächte lang aß er nichts. Der Hunger quälte ihn. Da kam der Teufel und stellte ihn auf die Probe. Er forderte ihn heraus: 'Wenn du Got­tes Sohn bist, dann mach aus diesen Steinen Brot!' Jesus antwortete: 'Nein, denn es steht in der Heiligen Schrift: 'Vom Brot allein kann niemand leben. Leben kann nur, wer Gottes Wort annimmt und befolgt!'' (Mt 4,1-4)"

Nach tagelangem Fasten bekommt Jesus Hunger. Vom Teufel wird ihm deshalb vorgeschlagen, eine schnelle Lösung herbeizuführen und aus Steinen Brot zu machen. Dann wäre sein eigener Hunger im Handumdrehen gestillt. Das aber ist für Jesus zu kurz gedacht und zu klein von Gott. Ich meine, dass gerade die Menschen unserer Zeit oft die schnelle Lösung suchen und ungeduldig werden mit sich selbst und anderen, wenn sie die Lösung nicht sofort zur Hand haben. Aber für viele Probleme im Leben gibt es sie eben nicht.

Die Herausforderungen der Einsamkeit, der Ausweg- und Sinnlosigkeit beispielsweise, werden aus christlicher Sicht letztlich nur im geduldigen Vertrauen auf Gott bestanden. Die Antwort, die Jesus seinem Widersacher gibt, könnte deswegen wegweisend auch für unser aller Glaubensweg sein: Leben kann nur, wer sich Gottes Wort zu eigen macht und seine Spuren gerade in der Zeit der Entbehrung erkennt. Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus Hamm, kommentiert diese Stelle aus dem Evangelium so:

"Der Mensch lebt nicht nur vom Brot. Wenn Glaube sich am Sattmachenden, am Sichtbaren, am Großen, am Wirkungsvollen festmacht, hat er verloren. Nicht im Spektakulären zeigt sich Gott, sondern im aufreibend steinigen Alltagsgrau, im Tragen des Schweren und Unverständlichen, im Aushalten eines Hungers, den kein Brot der Welt stillt. Braucht der Glaube Zeichen? An dieser Stelle der Bibel hören wir davon, dass die Durchbrechung von Naturgesetzen nicht der Weg Jesu ist." [1]

Christen unserer Tage werden, so wie Jesus selbst, hoffentlich auch immer wieder ein klares, eindeutiges ‚Nein‘ zu der Versuchung sagen, Gott allein erkennen zu wollen durch seine Macht und seine Wirkkraft durch Wunder. Ein klares, eindeutiges ‚Nein‘ sollten sie auch sagen, wenn sie versucht sind, von Gott die schnelle Lösung für ihre Sorgen und Nöte zu erwarten. Vielmehr gilt die Antwort Jesu, dass nur jener Mensch gutes und erfülltes Leben finden kann, wer sich auf Gottes Wort einlässt, es annimmt und natürlich im Leben umzusetzen versucht! Aber selbst hier lauern 'Stolpersteine', nämlich dann, wenn Menschen allzu schnell meinen, diese Worte richtig verstanden zu haben. Das zeigt die zweite Szene unserer Geschichte aus der Bibel:

"Da nahm der Teufel Jesus mit in die Heilige Stadt und stellte ihn an den Rand der Tempel­mauer. 'Spring hinunter!' forderte er Jesus auf. 'Du bist doch Gottes Sohn! Und es steht ge­schrieben: 'Gott wird seine Engel schicken. Sie werden dich auf Händen tragen, und du wirst dich nicht einmal an einem Stein verletzen!'' Jesus entgegnete ihm: 'Es steht aber auch in der Schrift: 'Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht herausfordern!'' (Mt 4,5-7)"

Wenn man will, kann man das Wort, das Gott dem Menschen für ein gelingendes Leben ans Herz legt, so verdrehen, dass man daraus für sich und seine ureigenen Anliegen Profit schlagen kann. Um genau das zu erreichen, wird Jesus vom Ungeist, der alles durcheinanderbringen will, aufgefordert, ein akrobatisches Schauspiel zu inszenieren. Er soll sich von der Tempelmauer herunterstürzen, um aller Welt zu zeigen, wie großartig und von Gott beschützt er doch ist. Aber auch diese perfide Art, seine Macht zu missbrauchen, in dem er die biblische Botschaft zu seinem eigenen Vorteil ausnutzt, lehnt Jesus ab. Auch hier spricht er ein klares 'Nein'. Zu dieser Stelle des Evangeliums schreibt der Benediktinerpater Anselm Grün:

"Wenn das Heilige missbraucht wird, dann wird das Wertvollste des Menschen zerstört. Diese Gefahr ist heute groß. Gott wird für den eigenen Kampf gegen die Feinde eingesetzt. Er soll einem helfen, die Feinde zu besiegen. Gott wird herangezogen, um die eigene Rechthaberei zu begründen. … Wenn ich meinen spirituellen Weg dazu nutze, vor den Menschen besondere Kunststücke zu vollbringen oder Fähigkeiten zu entwickeln, mit denen ich mich über sie stelle, dann stelle ich – so meint es Jesus – Gott auf die Probe. Ich missbrauche Gott für mich selbst, für mein eigenes Ego." [2]

Auch in der dritten und letzten Szene der biblischen Geschichte von den Versuchungen Jesu wird deutlich, dass Jesus sehr wohl dazu fähig war, sich für ein kategorisches 'Nein' zu entscheiden. Dieses Mal ist es ein 'Nein' zu einem Kniefall vor Reichtum, Besitz und der Macht, sich die Welt zu unterwerfen. Es ist ein 'Nein' zu allem, was den Menschen unfrei werden lässt, ihn letztlich knechtet und unempfindsam macht für die Liebe und Barmherzigkeit anderen gegenüber. Ein 'Nein', von dem ich mir wünsche, dass es wieder von mehr Menschen in unserer Zeit gesprochen würde.

"Nun führte ihn der Teufel auf einen hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ih­rer ganzen Pracht. 'Das alles gebe ich dir, wenn du vor mir niederkniest und mich anbetest', sagte er. Aber Jesus wies ihn ab: 'Weg mit dir, Satan, denn es heißt in der Heiligen Schrift: 'Bete allein Gott, deinen Herrn, an und diene nur ihm!'' Da gab der Teufel auf und verließ ihn. Und Engel kamen und sorgten für Jesus.(Mt 4,8-11)"

"Bete allein Gott, deinen Herrn, an und diene nur ihm!" Mit dieser Antwort begründet Jesus sein drittes, klares 'Nein'. Es ist ein entschiedenes 'Nein' zu allem, was den Menschen von Gott wegführt.

So klar und entschieden hier das 'Nein-Sagen' Jesu von Matthäus berichtet wird, so sehr dürfen wir nicht übersehen, dass diesem dreifachen ‚Nein‘ ganz sicher ein inneres Ringen Jesu vorausging. Wie wir in unserem eigenen Alltag, so musste auch Jesus sich mit sich selbst, mit seinem Leben und seinen Werten auseinandersetzen, um Mut zum 'Nein-Sagen' zu finden. Dazu noch einmal Gedanken von Pfarrer Bernd Mönkebüscher:

"Jesus ist versucht. Wir sind versucht. Wir finden darin auch unser Leben ausgedrückt, wie es ist: hin- und hergerissen zu sein, das Suchen nach der richtigen Antwort, das Ringen nach dem, was wirklich von Gott kommt oder sein Wille ist." [3]

Sag Ja zum Nein: warum und in welchen Situationen ist das für unser Leben so wichtig? Ich meine, dass Jesu dreifaches 'Nein' uns gerade dann zum 'Nein' sagen ermutigen kann, wenn wir uns von uns selbst entfernt haben und uns im Alltag wie fremdgesteuert fühlen.

Gerade dann gilt es, 'Nein' zu sagen zu schnellen und einfachen Lösungen bei komplexen Herausforderungen, vor die uns unsere Zeit stellt. 'Nein' zu sagen zu perfidem Machtmissbrauch jeglicher Art im zwischenmenschlichen Miteinander und vor allem: 'Nein' zu sagen zu allem, was dem Leben und der Liebe widerspricht, uns also letztlich von Gott wegführen will, dem Freund unseres Lebens.


Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.

Musik:

Rachel Portman – The Letterbox

Nicklas Schmidt – Astrid doing her chores

Nicklas Schmidt – Leaving Blomberg

Nicklas Schmidt – I am your Grandpa


[1] Bernd Mönkebüscher: „Unterbrechen und Aufbrechen – Impulse für die Fastenzeit“; Echter, München; S. 25f..

[2] Anselm Grün: „Das große Buch der Evangelien“; Kreuz Verlag, 2010; S. 45.

[3] Bernd Mönkebüscher: „Unterbrechen und Aufbrechen – Impulse für die Fastenzeit“; Echter, München; S. 27.

Über den Autor Norbert Cuypers

Norbert Cuypers, 1964 in Köln geboren, ist Mitglied der interkulturell aufgestellten Ordensgemeinschaft der Steyler Missionare (SVD). Sein Weg führte ihn im Laufe der Jahre unter anderem nach Papua Neuguinea und nach Österreich. Seit 2011 lebt und wirkt er wieder in Deutschland. Das Thema „Spiritualität“ begleitet ihn seit Jahren: sei es als Exerzitienmeister, als Spiritual im Priesterseminar, oder auch als Leiter des deutschsprachigen Noviziats seines Ordens in Berlin. Derzeit lebt er als „Hüter der Stille“ in einer Einsiedelei im Sauerland.

Kontakt: cuypi@gmx.de