Leben in einer Partnerschaft ist nicht immer einfach. Es ist eine tägliche Auseinandersetzung mit sich selbst und der anderen Seite. Dabei geht es nicht darum, Spannungen aufzulösen oder zu vermeiden, sondern den richtigen Umgang mit ihnen zu finden.
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© Van Thang / Pexels
„Ich werde dich immer lieben…“ Mit ihrem Hit singt Whitney Houston von dem Glück, das Menschen erleben, wenn sie bis über beide Ohren verliebt sind. Liebe verändert alles. Sie macht oft Mut, das Leben gemeinsam zu gestalten, eine Partnerschaft zu wagen.
Wenn es dabei zwei Menschen sind, die an den Gott der Bibel glauben, dann kommt da noch die Hoffnung dazu: Gott begleitet uns bei diesem Abenteuer. Nicht nur, wenn wir miteinander beten oder einen Gottesdienst besuchen. Nein, wir gehen in unserer Partnerschaft unseren Weg mit ihm, Tag für Tag. Für den Theologen, Ehe-, Familien- und Lebensberater Alfons Gierse ist das ein spiritueller Weg. Auf ihm folgen Menschen Jesus Christus nach, der bis ans Kreuz gegangen ist.
„Man muss nicht leiden, doch ich glaube, das Leiden kommt automatisch. Wichtig ist mir auch, dass Menschen, die ihre Partnerschaft oder ihre Ehe aus ´ner christlichen Haltung heraus leben, das sind ja keine besseren Paare und die sind auch nicht frömmer, sondern die beziehen eine andere Wirklichkeit mit ein, die vielleicht ´ne andere Qualität bewirkt auch in der Beziehung.“
Das Paar ist nicht allein, Gott ist da, wenn zwei Menschen sich lieben. Heißt es doch im Matthäusevangelium:
„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Bei Matthäus geht es nicht um Gottesdienst, nicht um Gebete, sondern es geht um versöhnte Beziehungen: Also um Beziehungsfähigkeit. Und Konflikte und Krisen miteinander konstruktiv auszutragen und in dem Austragen eine Christusbegegnung zu machen. Also alles andere als Frömmigkeit, sondern Auseinandersetzung in haltender Konfrontation, wie ich das gerne nenne.“
Mit Konflikten umgehen lernen
Lebensberater Gierse spricht an, was in der Partnerschaft früher oder später unvermeidlich und auch notwendig ist: Der Umgang mit Konflikten. Doch bevor es in einer Beziehung zu einer Krise kommt, ist da meistens zunächst der traumhafte Beginn, der erlebt wird wie eine Verheißung, wie ein Geschenk des Himmels. Ein Gefühl von Einssein.
„Das braucht es am Anfang, und ich finde auch wichtig zu sehen, dass das nicht eine Phase ist, die irgendwann vorbei ist. Sondern ich finde, diese Phase der Verliebtheit ist für mich ´ne bleibende Quelle, die auch immer wieder Energie bringt für Entwicklungsschritte. Das Problem bei diesen Bildern von Einssein, von Verschmelzung ist, dass die auf Dauer nicht tragfähig sind. Und ich glaube, das merken Paare, die dann länger zusammen sind, dass es irgendwann anfängt zu ruckeln und zu eng wird und dass dann all das, was sozusagen ausgeblendet und verdrängt wurde, dass sich das irgendwie wieder zurückmeldet. Und dann wird´s, finde ich, spannend: Wie gehen wir denn damit um?“
Ausblenden, verdrängen, vermeiden, anklagen? Das ist beliebt, so der Eheberater. Aber es führt zu keiner Lösung. Paaren rät er in so einer Situation, sich bewusst zu machen, dass Liebe ein Handwerk ist. Und mit dem richtigen Handwerkszeug kann viel erreicht werden.
„An erster Stelle natürlich geht es um Kommunikation, also die Fertigkeit miteinander zu reden. Und das ist, glaube ich, nicht selbstverständlich: Dinge zu sagen, von mir zu sprechen. Oder auch entsprechend zuzuhören, aufmerksam nachzufragen oder das eigene Gefühl zurückzumelden. Basale Fähigkeiten des Sprechens und des Zuhörens. Und wenn wir dann auf die Ebene der Haltung gehen, sind Geduld, Gelassenheit wichtig, vielleicht auch sowas wie Demut. Und ´ne entscheidende Fähigkeit ist auch ´ne Verzeihenskompetenz. Ich glaube, dass nur wenige Paare über eine wirklich ausgebildete Kompetenz verfügen, Dinge, die vorfallen, Schwierigkeiten, Verletzungen, die selbstverständlich geschehen, die miteinander ins Gespräch zu bringen und einander zu verzeihen, also einen versöhnenden Umgang damit zu finden.“
Alles das will gelernt sein. Oft braucht es dafür Begleitung in der Beratung, weil Paaren die Geduld fehlt, dass sich in ihrer Beziehung etwas löst, das festgefahren ist. Viel zu oft verletzen sich die Partner in solchen Situationen, weisen einander die Schuld zu, was das Problem jedoch nur verschärft. Und so leiden Menschen.
Weg vom Ideal, hin zu dem, was ist
Immer wieder scheitern Paare. Nicht zuletzt, weil sie selbst an ihre Beziehung sehr hoh Ansprüche stellen. Ansprüche, die im Alltag viel zu oft einfach nicht zu erfüllen sind. Diesem Ideal, das überfordert, setzt der Eheberater Alfons Gierse etwas entgegen:
„Und zwar den Blick vom Ideal wegzulenken auf das, was ist. Natürlich ist das auch anspruchsvoll. Das ist der Kern eines spirituellen Weges: Wahrnehmen, was ist. Und annehmen, was ist. Achtsam, gelassen, liebevoll. Weil in der Annahme dessen, was ist, die Basis für ´ne Veränderung besteht. Aber gerade dieses Annehmen, was ist, ist natürlich ´ne riesengroße Herausforderung.“
Die führt unwillkürlich zu Spannungen, weil etwas nicht mehr so ist, wie ich es gern hätte. Es geht auch darum, Konflikte zu durchleben, sie zu erleiden. In der Hoffnung auf eine Auferstehung, die es nicht ohne das Kreuz gibt. Diese Spannungen auszuhalten ist entscheidend, um in der Partnerschaft voranzukommen, um sich selbst weiter zu entwickeln.
„Das heißt, die Aufgabe ist sozusagen ein Flexibilitätstraining. Offen, flexibel zu werden. Ich glaub, die größte Herausforderung ist: ‚Du sollst dir kein Bildnis machen!‘, steht in der Bibel. Wir kommen nicht ohne Bilder, ohne Konzepte aus, wir brauchen die, um uns zu orientieren, um überhaupt handlungsfähig zu sein. Die entscheidende Frage ist, ob es gelingt, diese Bilder immer wieder loszulassen, sie flexibler zu machen.“
Das ist alles andere als einfach. Bilder sind mächtig. Auch Bilder von Beziehungen, in denen Rollen festgeschrieben sind. Ich muss lernen, mit ihnen umzugehen, damit sie keine Macht haben über die Beziehung. Starre Bilder stehen manchmal im Hintergrund, wenn es in Partnerschaften zum Streit kommt, es auf den ersten Blick unüberwindbare Differenzen gibt. Wer sich in dieser Situation beraten lässt, erfährt:
„Es geht nicht darum, die Spannungen aufzulösen, sondern es geht darum eine heilsame Weise des Umgangs mit diesen Spannungen zu finden. Das heißt auch ´ne heilsame Weise, mit Unterschiedlichkeit umzugehen. Letztendlich geht es um eine versöhnte Verschiedenheit. Als Ergebnis einer konstruktiven Auseinandersetzung auch in einer haltenden Konfrontation, wo ich einerseits sage: ‚Du bist mir wichtig, ich bin da, ich gebe dir Nähe, Wertschätzung, Liebe, Zuwendung.‘ Aber auch eben das andere Moment: nämlich mich zu konfrontieren, mich abzugrenzen, meine eigene Position auch einzuspeisen, auch die Unterschiedlichkeit zu benennen. Nur gleich und nur harmonisch wird auf Dauer nicht funktionieren, weil keine Spannung mehr da ist. Dann entsteht eher Langeweile und der Streit, um über den Streit wieder so etwas wie Energie und Spannung und Lust reinzukriegen, aber eben auf ´ne destruktive Art.“
Das aber sollte unbedingt vermieden werden, so der Berater, weil Streit ungeeignet ist, das ersehnte Glück wieder herzustellen, zurückzukehren ins verlorene Paradies. Entwicklung gibt es nicht ohne Spannungen. Auch nicht für die Menschen, die auf Gott vertrauen.
„Es gibt ein wunderbares Zitat von Alfred Delp: ‚Wir bleiben in den schönen und schweren Stunden hängen, aber wir durchleben sie nicht bis zum Brunnenpunkt, da, wo sie aus Gott entspringen.‘ Also dort, am Brunnenpunkt, da kriege ich eine Ahnung, eine Idee davon, wer oder was Gott ist. Die Frage ist dann: wie komme ich an diesen Grund? Und an dieser Stelle bringe ich die haltende Konfrontation ins Spiel, und zwar als einen geistlichen Weg.“
Partnerschaft als Nachfolge Christi
Wo zwei Menschen sich dauerhaft aneinander binden, wird für Alfons Gierse die „haltende Konfrontation“ provoziert und ermöglicht. Das ist für ihn zugleich ein spiritueller Weg, weil Gott mit im Spiel ist. Gott, der den Partnern Kraft gibt, das tägliche Kreuz anzunehmen, sich mit ihm auseinander zu setzen. In einer Partnerschaft bewegen sich Menschen aufeinander zu und muten sich einander zu. Das erzeugt Spannungen. Damit umzugehen ist für den Eheberater die Herausforderung des gemeinsamen spirituellen Weges.
„Das spezifisch Christliche an einer christlich gelebten Partnerschaft oder Ehe ist, dass ich sie auf der Grundlage einer unbedingten Hoffnung lebe, einer Hoffnung, die durch den Tod gegangen ist, die mich trägt und stärkt, dass ich mich vom Geist Gottes führen und immer wieder herauslocken lasse ins Risiko: Also eine Partnerschaft als Form der Christusnachfolge zu leben, wie Papst Franziskus das in ‚Amoris Laetitia‘ sehr deutlich in den Mittelpunkt stellt. Wo er sagt, es ist letztendlich ein Berufungsweg in die Nachfolge Christi, also meinen Weg in der Partnerschaft oder in der Ehe als Weg der Nachfolge Christi zu leben.“
Für Alfons Gierse bedeutet das: Auch das Kreuz gehört dazu: Die alltäglichen Krisen, und Schwierigkeiten, die Verletzungen. Es kostet Kraft, sich all dem zu stellen. Doch nur, wer in die Tiefe geht, die Krisen durcharbeitet, kann einer anderen Wirklichkeit begegnen. Für den Eheberater ist das Nachfolge und zugleich die Möglichkeit, Jesus Christus zu begegnen.
„Der spirituelle Weg ist kein Sonderweg. Sondern der Alltag, das gelebte Leben, das ist die Spiritualität. Das ist der Weg, auf dem ich mit Gott in Kontakt komme. Weil Gott gibt es nicht jenseits dieser Wirklichkeit, sondern Gott umarmt mich durch die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit unserer Paarbeziehung, das ist der Ort, wo Gott entdeckt werden will. Und dann aber eben nicht an der Oberfläche, sondern indem ich zugrunde gehe, indem ich den Dingen auf den Grund gehe. Und auf dem Grund kriege ich ´ne Ahnung davon von dieser anderen Wirklichkeit, die wir Gott nennen. Eher als Resonanz, als Erfahrung von Versöhnung, von Glück.“
Bevor ich jedoch diese Resonanz spüre, bin ich aufgerufen zu leben, mich einzubringen in die Beziehung, sie mitzugestalten. Ohne dabei vorab zu wissen, ob es gelingt. Sicherheiten gibt es nicht. Sich trotzdem darauf einzulassen hat für Alfons Gierse etwas mit dem Vertrauen auf einen Gott zu tun, der da ist im Leben.
„Mir fällt Abraham ein aus dem Buch Genesis in der Bibel. ‚Zieh fort aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft, aus deinem Vaterhaus.‘ Unabhängig davon, wie historisch das war oder auch nicht, steckt da für mich genau diese Einladung drin: Immer wieder auszuziehen aus dem eigenen Land, aus den eigenen Ideen, aus den eigenen Konzepten, aus den eigenen Erwartungen, aus dem Land der eigenen Vorstellungen, was die Paarbeziehung angeht. Sondern mich selbst und auch die Paarbeziehung immer wieder zu transzendieren, es geht letztendlich um Selbsttranszendenz. Und nur so ist Entwicklung möglich. Und letztendlich geht es um eine Verschränkung von Stabilität und Risiko. Oder von Nähe und Geborgenheit und Schutz, aber auch von Flexibilität und Offenheit und Bereitschaft zu was Neuem.“
Kleine Schritte machen den Weg
Diesen Weg ihrer Partnerschaft können Menschen für sich gehen, um sich zu entwickeln und ihr Leben zu gestalten. Sie können ihren Weg aber auch bewusst mit Gott gehen. Dadurch bekommt die Beziehung eine andere Tiefe, weil im Idealfall beide Partner mit ihrem Grund in Kontakt kommen.
„Es macht mich als Person reifer, weil ich erfahren kann, dass meine ungeliebten, verborgenen, manchmal abgründigen Seiten da sein dürfen und dass ich sie integrieren kann in meine eigene Persönlichkeit. Und als reife Persönlichkeit kann ich in Beziehung treten, dadurch kann die Beziehung reifer und reicher werden. Und je reicher die Beziehung ist, desto mehr kann sie mir helfen und mich unterstützen, dass ich wiederum mehr mit meiner Tiefe, mit mir selbst in Kontakt komme. Und ich glaube zutiefst, dass da, wo zwei Menschen mit ihrem eigenen Grund in Kontakt kommen, dass da eine Beziehung eine andere Qualität gewinnen kann, eine größere Gelassenheit.“
Doch der Weg dorthin bedeutet viele kleine Schritte, die in einer Partnerschaft zu gehen sind. Schritte, die nicht immer leicht fallen. Das weiß der Theologe und Eheberater aus vielen Gesprächen. Er macht den Paaren aber Mut, sich dem Alltag zu stellen, nichts zu verdrängen, sondern wahrzunehmen, was ist.
„Das alltägliche Kreuz, die alltäglichen Krisen und Schwierigkeiten, die Verletzungen, die entstehen, die anzunehmen und sich damit auseinander zu setzen, sie durchzuarbeiten. Und als Frucht dieses Durcharbeitens ein Liebesfähiger zu werden, und immer mehr der Mensch zu werden, der ich von Gott her bin. Und aus dem anderen das Beste herauszulieben! Das herauszulieben, was Gott hineingelegt hat.“
Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.
Musik:
Whitney Houston – I Will Always Love You
Rachel Portman – Suite
David Snell – Homer Leaves Orphanage