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Warum und wie das christliche CREDO entstand. 1700 Jahre "Konzil von Nicäa"

Am Sonntagmorgen, 15.06.2025

Thomas Kroll, Berlin

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Auszug aus dem Bekenntnis von Nicäa
"Wir glauben an den einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge und an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes." [1]

So beginnt das Glaubensbekenntnis von Nicäa. Verfasst wurde das bis heute geltende Bekenntnis vor genau 1700 Jahren in Nicäa, dem heutigen Iznik in der Türkei. Im Gottesdienst westlicher Kirchen beginnt das Glaubensbekenntnis entweder lateinisch mit "credo" oder zumeist mit dem deutschen "ich glaube". Daher steht der Begriff "Credo" als Synonym für das deutsche Wort "Glaubensbekenntnis".

Beim Konzil von Nicäa lautet der Anfang des Bekenntnisses hingegen "Wir glauben". Die ersten beiden Worte sind bewusst gewählt. Sie demonstrieren Einheit und Einigkeit der Verfasser. Denn vorausgegangen war ein Streit in der Kirche. Es ging um die Fragen: Wie lässt sich der Glaube an den einen Gott vereinbaren mit der Rede von Gott-Vater und Gott-Sohn? Ist da nicht von zwei Göttern die Rede? Wie kann der Sohn aus dem Vater stammen, ohne das Wesen oder die Einheit oder die Einzigartigkeit des Vaters zu beeinträchtigen? Und: Kann es einen unsterblichen Gott geben, der am Kreuz gelitten hat, ja gestorben ist?

Im Jahr 325 lädt Konstantin der Große rund 300 Bischöfe in seine Sommerresidenz in Nicäa. Es gilt das zwanzigjährige Regierungsjubiläum des Kaisers zu feiern und vorab theologische Kontroversen auszuräumen. Die Bischöfe, inzwischen römische Staatsbeamte, kommen aus allen Teilen des Reiches zusammen – zum ersten ökumenischen Konzil. Das griechische Wort "Ökumene" meint ursprünglich "die bewohnte Erde", das lateinische "concilium" steht für "Zusammenkunft". So kann man formulieren: Beim Treffen in Nicäa geht es um wichtige Themen, die alle von Christen bewohnten Teile der Erde betreffen, konkret: im Römischen Reich.

Im Jahr 325 ist Kaiser Konstantin seit einem Jahr Alleinherrscher im Römischen Reich. Noch wenige Jahre zuvor sind Christinnen und Christen einer brutalen Verfolgung ausgesetzt. Das ändert sich, als Konstantin im Jahr 312 nach seinem Sieg an der Milvischen Brücke zunächst die Alleinherrschaft im Westen des Reiches übernimmt. Gemeinsam mit seinem späteren Gegner Licinius aus dem Osten des Reiches erlässt er 313 die sogenannte Mailänder Vereinbarung. Darin wird allen Menschen im Römischen Reich freie Religionsausübung gewährt, Christen werden ausdrücklich erwähnt.

Zitat Mailänder Vereinbarung
„Nachdem wir, sowohl ich, Konstantinus Augustus, als auch ich, Licinius Augustus, glücklich zu Mailand uns eingefunden hatten […], […] glaubten wir in heilsamer und vernünftiger Erwägung den Entschluss fassen zu müssen, durchaus keinem die Erlaubnis zu versagen, der entweder der Religionsübung der Christen oder jener Religion sich zuwenden wollte, die er für sich als die geeignetste erachtete." [2]

In den folgenden Jahren wird Kaiser Konstantin die Christen massiv privilegieren. So fördert er den Kirchenbau – und führt den Sonntag als arbeitsfreien Tag ein.

Konstantin bekennt sich als erster römischer Kaiser zum Christentum. Weil theologische Streitigkeiten Frieden und Einheit des Reiches bedrohen, nutzt er das Treffen in Nicäa für entsprechende Klärungen. Erwin Dirscherl, emeritierter Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Regensburg, skizziert den Kernpunkt der Debatten so:

"Es ist die große Frage: Wer ist dieser Jesus für uns? Kommt er wirklich von Gott? In welcher Weise kommt er von Gott? Ist er – in Anführungszeichen – 'nur' ein Mensch oder ist er mehr? Welche Qualität hat seine Botschaft und sein ganzes Leben?"

Damit verbunden sind weitere Fragen. Die betreffen die konkrete Praxis in den Gottesdiensten christlicher Gemeinden. Zum Hintergrund: Jesus war Jude, seine Anhänger ebenfalls. Der Glaube an den Auferstandenen verbreitet sich im Römischen Reich. Doch ist eine klare Unterscheidung zwischen Judentum und sich entwickelndem Christentum an etlichen Orten lange Zeit keineswegs erfolgt.

Christoph Markschies, Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität, erklärt die Problematik anhand eines Beispiels:

"Noch am Ende des vierten Jahrhunderts sagt der Bischof von Antiochia, Johannes Chrysostomos: 'Ihr könnt aber nicht am Schabbat in die Synagoge und am Sonntag in die Kirche gehen.' Und daraus kann man schließen, dass relativ viele Leute das so gemacht haben nach dem schönen Motto 'doppelt hält besser' und offenkundig auch keinen wirklichen Unterschied zwischen Judentum und Christentum sahen."

In der jüdischen Glaubenskultur gilt: Ich darf nur Gott anbeten, weder weitere Götter, geschweige denn Menschen. Nun beten aber christliche Gemeinden nicht mehr nur zu Gott, dem Vater, und verwenden dabei die Formel "durch Christus, unseren Herrn". Nein, sie beten auch und unmittelbar zu Jesus, dem Christus. Dazu Erwin Dirscherl:

"Und jetzt kommt die entscheidende Frage: Dürfen die das? Denn wenn Jesus nur ein Mensch oder ein Prophet ist – ich darf nur zu Gott beten –, dann ist das ein No-Go, das geht gar nicht. Wenn er aber auf der Seite Gottes steht oder Gottes Wort ist, wie es in der johanneischen Tradition dann plötzlich gesagt wird, wenn er von Gott kommt, das Wort ist, das Mensch wird, wenn da was Göttliches ist, dann darf ich zu ihm beten."

Bei den Debatten vor und im Konzil spielt der Presbyter Arius eine wichtige Rolle. Er ist Priester in der damaligen Großstadt Alexandria. Die Behauptung "Es gab in Gott eine Zeit, in der es keinen Sohn gab" zählt ebenso zu den Kernsätzen seiner Verkündigung wie die Aussage: "Der Sohn wurde vom Vater aus dem Nichts geschaffen." In einem von Arius verfassten Credo heißt es:

"Wir bekennen einen Gott, der allein ungezeugt ist, allein ewig, allein ohne Anfang, allein wahr, allein unsterblich " [3]

Arius betont so die Transzendenz, das Ganz-anders-Sein Gottes, der unwandelbar ist. Für Arius ist nur Gott-Vater Gott. Als Gott ist der Vater absolut, mit anderen Worten: Der Vater – und nur er – ist "vollendet", "unabhängig“", "unbedingt". Alles, was außerhalb von Gott ist, muss erschaffen sein. Daher räumt Arius dem Gott-Sohn Jesus Christus lediglich den besonderen Rang eines ersten Geschöpfes ein.

"Arius gehört zu denen, die sagen: Gut, es gibt Gemeinden bei bestimmten Kollegen, die fangen an, zu Jesus zu beten, und ich, Arius, sage euch: Wir kommen aus dem Judentum. Erklärt mir mal, wie ihr den Monotheismus halten wollt. Weil Monotheismus heißt nun mal, es gibt einen Gott, der ist einzig, und wenn ich Jesus anbete, gibt es zwei Götter. Und deshalb sagt Arius: Also können wir gar nicht diesen Jesus auf die Seite Gottes rücken, sondern höchstens sagen, das ist ein Mensch."

Arius klagt seinen Bischof Alexander der Häresie an. Alexander schließt Arius aus seiner Gemeinde aus. Der Streit weitet sich aus und bewegt die Kirche im Osten des Römischen Reiches. Der Kaiser reagiert, zunächst mit einem Brief an die beiden Hauptakteure, dann mit der Einladung zur großen Bischofsversammlung.

Auf dem Konzil von Nizäa geht es schließlich vor allem darum, die Lehre des Arius zurückzuweisen. Dazu greift man das Kurzbekenntnis "Jesus Christus ist der Herr" (Phil 2,11) auf aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philippi und fügt – gegen Arius – wichtige, abgrenzende Aussagen hinzu:

Auszug aus dem Bekenntnis von Nicäa
"Wir glauben […] an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, als Einziggeborener gezeugt vom Vater, das heißt aus der Wesenheit des Vaters, Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesenseins mit dem Vater." [4]

Die Konzilsväter verwenden hier sowohl theologische Formeln und philosophische Begriffe als auch Metaphern. Diese beschreiben die Beziehung zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn und kreisen rund um die entscheidende Aussage der Wesensgleichheit, ja Wesenseinheit von Vater und Sohn. Das Schlüsselwort dieser Kernsätze des Credos lautet "homooúsios", zu deutsch: wesenseins. Damit legen die Konzilsväter "die unverkürzte Gottheit des Sohnes fest, der kein Geschöpf, sondern aus dem Wesen des Vaters geboren und von derselben göttlichen Beschaffenheit wie er ist […]." (MySal 427f)

"Und das Schöne ist jetzt, dass diese klassischen Formeln noch angefüllt werden in Nicäa etwa durch die wunderbare Formulierung Licht vom Licht. Also, es wird sozusagen versucht, diese etwas schwierige Formel des griechischen 'einer Substanz', 'homooúsios', durch ganz eingängige Formeln 'Licht von Licht'. Also, es ist tatsächlich ja auch so: Wenn Licht von Licht kommt, ist kein Unterschied. Das eine Licht ist der Klon des anderen Lichtes."

Christoph Markschies. Im Credo von Nicäa werden die klärenden Begriffe, Formeln und Metaphern verbunden und ergänzt mit den folgenden Aussagen aus der Kurzbiografie Jesu Christi:

Auszug aus dem Bekenntnis von Nicäa
"Wir glauben […] an den einen Herrn Jesus Christus, […] der um uns Menschen und unseres Heiles willen herabgestiegen und Fleisch und Mensch geworden ist, gelitten hat und am dritten Tag auferstanden ist, aufgestiegen zu den Himmeln und kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten." [5]
"Man hatte kein Bedenken, von Jesus Christus zu bekennen, er sei kein Geschöpf, sondern Gottes Sohn, und dann von ihm, der so kräftig als Gott bekannt wird, zu sagen, dass er […] geboren wurde und […] gestorben ist. Ein kräftigeres Bekenntnis, zu dem einen, der Gott und Mensch ist, war kaum möglich als durch diese problemlose Selbstverständlichkeit." [6]

So kommentiert Pieter Smulders den christologischen Kern des Credos von Nicäa.

"Und dann gibt es einen ganz, ganz kurzen Satz: 'Und wir glauben an den heiligen Geist.' Da hat man so ein bisschen den Eindruck, da hat die Konzilsväter die Kraft verlassen, noch weiter zu formulieren."

Christoph Markschies über das äußerst knappe Bekenntnis zum Heiligen Geist am Ende des Credos von Nicäa. Das wird gut fünfzig Jahre später entfaltet – auf dem zweiten ökumenischen Konzil in Konstantinopel.

Das erste Ökumenische Konzil von Nicäa markiert einen wichtigen Meilenstein in der Kirchengeschichte. Zwar gab es zuvor bereits Synoden und Bekenntnisse, doch hatten diese eher provinziellen Charakter und waren von nur regionaler Bedeutung. Beim Konzil von Nicäa hingegen handelt es sich um eine Gesamtsynode. Sie folgt dem Motto Konstantins: Ein Kaiser – ein Reich – ein Glaube.

Das Konzil von Nicäa ist überdies stilbildend. Denn nach dem Treffen in Nicäa finden immer wieder ökumenische Konzilien statt. Zu denen kommen Bischöfe aus allen Teilen der christlichen Welt zusammen, und deren Entscheidungen besitzen "ökumenischen" Charakter, sprich: weltweite Bedeutung. Auf eine weitere Besonderheit des Konzils von Nicäa verweist der Dogmatiker Erwin Dirscherl:

"Das Konzil von Nicäa ist das einzige Konzil, wo alle christlichen Konfessionen sagen: 'Die Texte verbinden uns.' Und alle Konzilien, die danach kommen, haben schon die ersten Spaltungen, haben schon die ersten Trennungen erzeugt und sind deshalb nicht in dieser Dignität, in dieser Würde, wie dieses Konzil von Nicäa, das tatsächlich von allen anerkannt wird, auch wenn sie es völlig unterschiedlich deuten."

Das 1700 Jahre alte Credo von Nicäa bildet zusammen mit der Heiligen Schrift die verbindliche Grundlage der ungeteilten Christenheit. Es ist und bleibt ein ökumenisches, alle Christinnen und Christen auf der ganzen Welt verbindendes Dokument ersten Ranges.


Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.

Musik:

Aaron Copland – 3. Sinfonie, I. Molto Moderato

Aaron Copland – Fanfare For the Common Man

Aaron Copland – 3. Sinfonie, IV. Molto Deliberato


[1] Neuner, J. / Roos, H., Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 101971, 121.

[2] Laktanz, Von den Todesarten der Verfolger (De mortibus persecutorum) In: Des Lucius Caelius Firmianus Lactantius Schriften. Aus dem Lateinischen übersetzt von Aloys Hartl. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 36) München 1919, 43.

[3] Lohse, B., Epochen der Dogmengeschichte, Kreuz-Verlag: Stuttgart, Berlin, 51983, 55.

[4] Neuner, J. / Roos, H., Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 101971, 121.

[5] Ebd.

[6] Smulders, P., Dogmengeschichtliche und lehramtliche Entfaltung der Christologie, in: Feiner, J. / Löhrer, M., Mysterium Salutis. Grundriss heilsgeschichtlicher Dogmatik. Band III/1: Das Christusereignis, Benziger Verlag: Einsiedeln, Zürich, Köln 1970, 428.

Über den Autor Thomas Kroll

Thomas Kroll, Jahrgang 1958, wohnt in Berlin. Er studierte Theologie, Philosophie und Musikwissenschaft in Freiburg i.Br., Jerusalem, München sowie Bonn und wurde promoviert mit "Säkulare Mystagogie? Wim Wenders’ Spielfilm Der Himmel über Berlin als Herausforderung für die Praktische Theologie". Eine langjährige Tätigkeit als Supervisor (DGSv) und als geistlicher Begleiter bei FilmExerzitien kennzeichnen seinen Berufsweg ebenso wie die Referententätigkeit bei Priester- und Lehrerfortbildungen. Von 2007 bis 2012 leitete er das AtriumKirche, eine citypastorale Einrichtung in Bremen. Seit Mitte 2012 ist er als theologischer Mitarbeiter im Erzbistum Hamburg aktiv, zurzeit als Leiter der Stabsstelle "Experimentelle Wege der Pastoral".

Kontakt: kroll@erzbistum-hamburg.de