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"Pakt mit dem Teufel." Als der Vatikan das Konkordat mit dem NS-Staat schloss

Am Sonntagmorgen, 16.07.2023

Gunnar Lammert-Türk, Berlin

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"Was die Sache in eine gewisse Dramatik oder Angespanntheit trieb, war eben, dass der Nationalsozialismus und seine Bewegungen darauf abzielten, die Gesellschaft in allen ihren Bereichen und Gliederungen gleichzuschalten. Und das betraf eben auch den kirchlichen Sektor, der ja selber durch seine Institutionen und Vereine mit dem Anspruch auftrat, das Leben der Katholiken ziemlich stark zu gestalten und zu prägen."

Der Historiker Thomas Brechenmacher deutet die Situation an, in der das Konkordat – der völkerrechtlich gültige Vertrag zwischen der deutschen Regierung unter dem Reichskanzler Adolf Hitler und dem Vatikan – 1933 geschlossen wurde. Es sollte das Verhältnis zwischen dem nationalsozialistisch beherrschten Staat und der katholischen Kirche in Deutschland regeln. Das schien dringend geboten, um den zunehmenden Angriffen auf Katholiken und katholische Einrichtungen zu begegnen.

So war es schon zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen der Hitlerjugend auf katholische Jugendverbände gekommen. Das Konkordat war aber nicht allein aus der aktuellen Notlage hervorgegangen. Es hatte eine längere Vorgeschichte, wie Kirchenhistoriker Stefan Samerski erläutert:

"Man muss eigentlich 1871 anfangen, mit der Reichsgründung. Bismarck hat das bereits thematisiert in einer berühmten Rede im Reichstag, dass man eigentlich für Gesamtdeutschland ein Konkordat abschließen müsste. Das ist natürlich durch den Kulturkampf zu Fall gekommen. Und dann ist das Kaiserreich, zu Fall gekommen, sodass man dann 1920 wieder anfing. Mit der Bestellung von Pacelli zum Nuntius beim Deutschen Reich im Juni 1920 wurde sofort ein Reichskonkordat in Angriff genommen."

Ein Konkordat als Absicherung für beide Seiten

Daran hatte die Weimarer Republik großes Interesse, um die Isolierung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg zu überwinden. Dafür wäre ein Vertrag mit dem Vatikan von Vorteil gewesen. Die häufigen Regierungsumbildungen erschwerten allerdings das Vorankommen. Aber nicht zuletzt dank der Beharrlichkeit, mit der der Vatikanbotschafter Eugenio Pacelli sein Ziel verfolgte, gelang es bis Mitte der 1920er-Jahre, einen Großteil der in Frage kommenden Punkte zu behandeln. Dennoch kam das Konkordat erst unter Hitler zustande. Im April 1933 ließ er über Vizekanzler Franz von Papen eine entsprechende Offerte an den Vatikan übermitteln. Und dann ging es erstaunlich zügig.

"Beide Partner wollten sich schnell einigen. Man denkt immer so an Hitler, der natürlich gerne so einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag vorlegen wollte vor der Öffentlichkeit: 'Guckt mal, selbst die große moralische Instanz, der Heilige Stuhl, verhandelt mit mir und schließt mit mir frühzeitig einen Vertrag ab.' Und Pacelli eben auch, weil er sagte: 'Dem Hitler ist nicht so ganz zu trauen. Wir schließen lieber heute als morgen so einen Vertrag ab. Was wir zukünftig haben, wissen wir nicht, aber wir brauchen eine Verteidigungslinie.' Und das ist dieses Konkordat."

In knapp vier Monaten wurde das Reichskonkordat ausgehandelt und schließlich am 20. Juli 1933 – also in diesen Tagen vor genau 90 Jahren – unterzeichnet. Endgültig in Kraft trat es im September des Jahres. Es diente der Absicherung der Seelsorge und ihrer Grundlagen, inklusive Priesterausbildung und freier Betätigung der kirchlichen Orden. Und dem Schutz aller katholischen Einrichtungen, Vereine und Verbände. So der …

"... Schulen, Krankenhäuser, aber noch darüber hinaus, es sind ja diese ganzen spezifischen Einrichtungen des Katholizismus, des Millieukatholizismus, also angefangen von den katholischen Jugendorganisationen über die Handwerksgehilfenvereine, über die katholischen Frauen- und Mädchenvereine, über katholische Standesorganisationen und so weiter. Und den Verhandlungsführenden auf der Seite des Heiligen Stuhls ging es eben vor allem darum, dieses katholische Leben in seiner Breite zu schützen."

Für dieses Zugeständnis musste von kirchlicher Seite eine Gegenleistung erbracht werden. Sie nutzte der Absicht der Nationalsozialisten, jede politische Konkurrenz zu unterdrücken. Noch gab es neben der NSDAP andere Parteien, auch die recht einflussreiche katholische Zentrumspartei, die unter ihren Mitgliedern viele Priester und Ordensmitglieder hatte. Deren Wirken zu unterbinden, im Grunde jede politische Tätigkeit von Katholiken, gestand der Vatikan nun zu.

"Wir bieten euch an, dass wir unseren Leuten, nämlich den Klerikern, verbieten, parteipolitisch tätig zu werden. Und das bezog sich auch darüber hinaus nicht nur auf die parteipolitische Betätigung, sondern etwa auch auf vermeintliche politische Betätigungen etwa im Rahmen von Sonntagspredigten. Also die Pfarrer sollten sich dann auch nicht mehr politisch von der Kanzel herab äußern, sie sollten also apolitisch werden, um als apolitische Gestalten eben nicht mehr ihre Schäfchen zu beeinflussen, sie sollten nur noch seelsorgerisch tätig werden, karitativ, sozial."

Würde dieses Entgegenkommen belohnt werden? Eugenio Pacelli, der Verhandlungsführer auf Seiten des Vatikans, rechnete durchaus mit Verletzungen der Vereinbarung. Der Verzicht darauf hätte aber totale Rechtlosigkeit bedeutet. Eines allerdings war von Anfang an problematisch. Die zu schützenden katholischen Einrichtungen waren nicht konkret benannt worden. Das sollte nachgeholt werden, wie dieser Passus in Artikel 31 des Konkordats in Aussicht stellte:

"Die Feststellung der Organisationen und Verbände, die unter die Bestimmungen dieses Artikels fallen, bleibt vereinbarlicher Abmachung zwischen der Reichsregierung und dem deutschen Episkopat vorbehalten."

Wer hielt sich an die Vereinbarung?

Bereits vor dem Inkrafttreten des Konkordats im September 1933 war es zahlreiche Male gebrochen worden und wurde in den Folgejahren immer dreister und brutaler verletzt. Es gab Übergriffe auf die katholische Jugendarbeit, die katholische Vereins- und Verbandstätigkeit wurde behindert, ebenso die katholische Presse und katholische Schulen bis zu Verbot und Schließung. Es kam sogar zum Mord an katholischen Funktionären wie im Fall des Leiters der katholischen Aktion Erich Klausener, der 1934 im Schatten der blutigen Ausschaltung der SA an seinem Arbeitsplatz im Reichs-Verkehrsministerium erschossen wurde.

Die Nationalsozialisten – ohnehin kaum daran interessiert, katholisches Leben abzusichern – verschleppten die Erstellung der Liste der zu schützenden katholischen Einrichtungen bis 1935. Dann wurde das Anliegen aufgegeben. Alle Brüche des Konkordats wurden der diplomatischen Vertretung des Vatikans im Deutschen Reich gemeldet.

"Nuntius Orsenigo musste dann mit Protestnoten immer zur Reichsregierung laufen oder zum Innenministerium und dagegen Verwahrung einlegen. Das Rezept war meistens das, dass man das freundlich entgegengenommen hat und meist unkommentiert gelassen hat oder, wenn man es dann doch kommentiert hat, entweder hinhaltend ausweichend oder gegenaggressiv mit dem Vorwurf: 'Ihr haltet euch ja im Grunde auch nicht an das Politisierungsverbot.'"

In der Tat kam es immer wieder vor, dass katholische Priester in den Sonntagspredigten auf die Unvereinbarkeit von christlichem Glauben und der Ideologie der Nationalsozialisten hinwiesen. Solche Kritik wurde dann als verbotene politische Betätigung katholischer Geistlicher aufgefasst.

Der Papst greift ein

1937 hatten die Angriffe auf Katholiken und katholisches Leben ein solches Ausmaß erreicht, dass sich Papst Pius XI. entschloss, öffentlich dagegen Stellung zu beziehen. Seine Enzyklika "Mit brennender Sorge" rechnete unter Bezug auf die Konkordats-Verletzungen mit der als menschenverachtend wahrgenommenen Ideologie der Nationalsozialisten ab. Darin hieß es:

"Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat, oder andere Grundwerte menschlicher Gemeinschaftsgestaltung aus dieser ihrer irdischen Wertskala herauslöst, sie zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge. Ein solcher ist weit von wahrem Gottesglauben und einer solchem Glauben entsprechenden Lebensauffassung entfernt."

Angesichts der dauernden Brüche des Konkordats von Seiten der Hitler-Regierung stellt sich die Frage, ob es den Preis wert war, auf die politische Betätigung der Priester und Ordensgeistlichen und im Grunde aller übrigen Katholiken Verzicht zu leisten. Und ob das Konkordat die breite katholische Ablehnung des Nationalsozialismus empfindlich schwächte. Denn nach seinem Abschluss ließ diese erkennbar nach. Hatten die Kritiker des Konkordats also recht?

Zu ihnen gehörten Publizisten wie der Herausgeber der hochkarätigen katholischen Kulturzeitschrift "Hochland" Carl Muth. Katholische Laien wie er prägten den Katholizismus in Deutschland maßgeblich, auch politisch. Diesen politischen Katholizismus opferten der vatikanische Verhandlungsführer Eugenio Pacelli und mit ihm Papst Pius XI. für das Konkordat. Dabei mag auch ihre tief sitzende Skepsis gegenüber dem selbstständigen Agieren der Laien eine Rolle gespielt haben, wie der Historiker Thomas Brechenmacher erläutert:

"Die Idee des Heiligen Stuhls ist gewesen, katholische Organisationen sollen sich hierarchisch einordnen in das Bild des mystischen Corpus Christi. Sie sind hierarchisch eingeordnet. Unter der Leitung des Papstes und unter der Leitung von Priestern agieren und arbeiten diese katholischen Vereine und Organisationen und sie sind ins große Gebäude der Kirche eingebaut mit dem päpstlichen Primat an der Spitze."

Die Kraft des Konkordats – bis heute

Dennoch: Als völkerrechtlich gültiger Vertrag war das Konkordat eine wichtige Rechtsbasis, die nicht gänzlich wirkungslos war. Immerhin konnten – so verfolgt und bedrängt sie in der NS-Zeit auch waren – katholische Vereine und Verbände überdauern und, schwer angeschlagen zwar, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Selbst das Verbot politischer Betätigung erwies sich nun als Vorteil, war es doch ein Grund, warum katholische Priester und Laien nur gering in die nationalsozialistische Politik verstrickt waren. Dies registrierten die Westalliierten und folgerten, wie Kirchenhistoriker Stefan Samerski anmerkt:

"Katholische Kirche durfte nicht in der Politik des Nazi-Regimes in irgendeiner Weise mitmachen, als Mitläufer oder wie auch immer. Dadurch, gewollt oder nicht gewollt, kamen die natürlich in Frage bei einem Wiederaufbau, auch institutionell bildungstechnischem Wiederaufbau Deutschlands nach 1945, vor allen Dingen nach 1949."

War das Reichskonkordat ein "Pakt mit dem Teufel"? In gewisser Weise ja. Aber wenn es um das Seelenheil der Gläubigen geht, kann es geboten sein, mit dem Teufel zu verhandeln, wie Papst Pius XI. in den 1920er-Jahren im Blick auf das kommunistische Regime in der Sowjetunion gesagt hatte.

Entscheidend aber ist noch etwas anderes. So, wie das Konkordat, mit der Reichsgründung 1871 beginnend, einen langen Vorlauf hatte, so hat es vor allem anhaltend Geltung. In Deutschland ist es nach wie vor in Kraft, was sich auch darin zeigt, dass katholische Geistliche kein Bundestagsmandat haben können. Nach wie vor dient es der Absicherung der Seelsorge und dem Schutz katholischer Einrichtungen, Vereine und Verbände, denn:

"Pacelli hat keinen Vertrag mit Adolf Hitler abgeschlossen, sondern perspektivisch einen Vertrag mit Deutschland, der länger dauern sollte und währen sollte und Gültigkeit behalten sollte als die Zeit des totalitären Regimes."

Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.

Musik:

John Ottman – Important Call                                              

John Ottman – What’s This Really All About?

John Ottman – What’s This Really All About?

John Ottman – Seconds lost

Johann Johannsson – A Model Of The Universe

Über den Autor Gunnar Lammert-Türk

Gunnar Lammert-Türk (Jahrgang 1959) ist freischaffender Journalist und Autor.

Er wurde in Leipzig geboren und studierte Germanistik und Evangelische Theologie in Berlin. Nach dem Studium organisierte er Projekte einer Arbeitsfördergesellschaft, die aussortierte Technik für Hilfsprojekte in Osteuropa und der Dritten Welt regenerierte.

Es folgte die Leitung einer Beratungsstelle für Russlanddeutsche. Darauf war er Autor und Redakteur in der Medienfirma Greenlight. Seit 2003 ist er als freier Journalist und Autor tätig.

Von 2004 bis 2007 führte er mit einem Musiker und einem Zauberer Musiktheatershows für Kinder auf. Er verfasst Rundfunkbeiträge, schreibt Texte für Audioführer und Kinderlieder. Veröffentlichungen im Boje Verlag, Schneider Verlag, Xenos Verlag und im Deutschen Theater Verlag.

Kontakt: g.lammert.tuerk@gmail.com