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Der Glanz des Christbaums. Gedanken rund um ein Weihnachtssymbol

Am Sonntagmorgen, 17.12.2023

Corinna Mühlstedt, Freising

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"Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen … getreuer Hoffnung stetes Bild." Mit diesen Worten beginnt ein altes deutsches Weihnachtslied. Es verbindet den festlich geschmückten Christbaum, der im Dezember in Kirchen, auf Plätzen oder in Wohnungen steht, mit Licht, Engeln und Segen. Nicht nur in nördlichen Ländern, wo der Frost im Winter alle Laubbäume ihres Schmucks beraubt, sind grüne Bäume ein Sinnbild des Lebens und der Hoffnung. Auch in anderen Kulturen wisse man die Schönheit und Kraft von Bäumen zu schätzen, erklärt der Benediktiner John Baptist aus Kenia:

"Bei uns in Afrika gelten Bäume als heilig. Unser menschliches Leben ist eng mit dem der Bäume verbunden. Sie geben uns Schutz und Früchte als Nahrung. Sie bieten Lebewesen ein Zuhause. Vögel nisten in Bäumen. Und sooft wir Bäume pflanzen, haben wir beobachtet: Sie reinigen in ihrem Umfeld die Erde und die Luft. All das ist ökologisch sehr wertvoll."

In Kenia, wo man mit einer ungeheuren Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten lebt, fühle man sich der Natur bis heute eng verbunden, so John Baptist. Im Symbol des Baumes treffe nicht zuletzt die uralte Weisheit afrikanischer Kulturen auf die Erfahrungen des Christentums:

"In der Bibel sagt Jesus in einem Gleichnis: Wenn du kleine Samen in die Erde steckst und sie pflegst, kann aus ihnen ein großer, schöner Baum wachsen. Wir Menschen und die Natur sind voneinander abhängig. Wenn wir der Natur helfen, hilft sie uns. Religiöse Zeremonien finden bei uns in Afrika deshalb von jeher unter Bäumen statt. Denn wir sind überzeugt: dort wirkt ein guter Geist."

In vielen Kulturen kennt man heilige Bäume. Nordische und germanische Kulte vermuteten in ihren Kronen einst sogar den Sitz von Gottheiten. Ob die Tradition, an Weihnachten einen erleuchteten und geschmückten Tannenbaum aufzustellen, hier ihren Ursprung hat, ist nicht geklärt. Sicher ist nur: Das Brauchtum trat ab dem 16. Jahrhundert seinen Siegeszug durch Europa von Norden nach Süden an. Und ab dem 19. Jahrhundert eroberte es die ganze Welt. In China findet man heute ebenso prächtige Christbäume wie in Südafrika, in den USA oder den Arabischen Emiraten. Auch die Melodien weihnachtlicher Lieder, die die Schönheit und Lebenskraft des Weihnachtsbaumes loben, sind im Dezember rund um den Globus zu hören:

Manche Forscher verbinden den Weihnachtsbaum mit dem "Baum des Lebens", der im Paradiesgarten stehen soll. Liest man doch im Schöpfungsbericht der Bibel:

"Zur Zeit, da Gott Himmel und Erde machte,… legte er in Eden, im Osten, einen Garten an. Dort setzte er den Menschen hinein. Der Herr ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit Früchten. In der Mitte des Gartens standen der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse."

Antike griechische Übersetzungen des Textes verwenden an dieser Stelle für "Garten Eden" gerne das Wort "Paradeisos". Der Erlanger Alttestamentler Henrik Pfeiffer erklärt:

"Dieser Begriff, von dem wir unser Wort Paradies ableiten, steht im alten Orient, besonders in Persien, für eine umzäunte Parkanlage. Alte Mythen berichten, dass sogar Gottheiten solche Gärten zu schätzen wussten. Aus Mesopotamien und Ägypten kennt man Tempelgärten. Auch in Jerusalem gab es einen solchen „Garten Gottes."

All diesen Gärten mit ihren Bäumen ist eines gemeinsam: Sie wachsen in Ländern, die überwiegend aus Wüsten bestehen. Sie schaffen Leben inmitten einer lebensfeindlichen Umgebung.

Wer je die Fels- und Sandwüsten des Orients bereist hat, weiß: Jede Quelle, jede Pflanze, jeder Baum gleicht hier einem Wunder und lässt etwas von der göttlichen Kraft ahnen, die in der Schöpfung am Werk ist.

Die Bibel betont allerdings, dass die Nähe zum Schöpfer, die die ersten Menschen einst im Paradies genossen, nicht von Dauer war: Der Mensch missachtete Gottes Rat. Er aß Früchte vom "Baum der Erkenntnis" und tat wider besseres Wissen Böse. Damit löste er sich von seinem Ursprung. – In der Bibel heißt es:

"Da schickte Gott der Herr den Menschen aus dem Garten Eden weg … und ließ den Weg zum 'Baum des Lebens' bewachen."

Erst Jesus öffnet der Menschheit - nach christlicher Überzeugung - wieder den Weg zum wahren Leben: Es ist der Weg des Glaubens und der Liebe. Die Hoffnung auf eine bessere Welt, die am Ende dieses Wegs steht, beschreibt der Verfasser der biblischen "Offenbarung des Johannes" symbolisch mit den Worten:

"Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde…
und einen Strom, das Wasser des Lebens.
Hüben und drüben stehen Bäume des Lebens,…
und die Blätter dienen zur Heilung der Völker."

Im Süden Persiens – dem heutigen Iran – liegt Shiraz, die "Stadt der Rosen". Sie bezaubert durch romantische Gärten. Berühmt sind die unter hohen Bäumen gelegenen Gräber zweier persischer Dichter: Hafez und Saadi. Letzterer schrieb im 13. Jahrhundert:

"Betrachte jeden Baum und merke:
Auf jedem Baum ist jedes Blatt
ein Blatt aus einem Buch, in dem
der Allmächtige die Schöpfung aufgezeichnet hat."

Hafez wiederum verfasste eine Sammlung von Gedichten, den "Diwan", der rund 400 Jahre später Johann Wolfgang von Goethe inspirierte. Wie Saadi lehrte auch Hafez den Weg der Mystik, auf dem ein Mensch zum wahren Leben in Gott findet. Die Mystik präge den schiitischen Islam, der in Persien stets vorherrschte, auch heute, erklärt, der persische Philosoph Seyed Mohaddez:

"Die Mystik lässt uns Sinn im Leben finden. Denn sie zeigt uns einen Weg der Liebe, auf dem wir Gott erfahren können. Sie lässt uns verstehen: Unser höchstes Ziel besteht darin, Gott nahe zu sein! - Unser physischer Tod ist dann nur ein weiterer Schritt zur Einheit mit Gott. Eine solche Spiritualität macht Menschen innerlich frei."

Sinnbild für die bleibende Verbindung des Menschen mit Gott, Allah, ist in der muslimischen Mystik ein blühender Garten: In Shiraz zeigen Kacheln an den Grabbauten weit verzweigte Bäume mit Früchten und Vögeln. In Abu Dhabi verzieren unzählige Äste mit Blüten aus bunten Edelsteinen eine der größten Moscheen der arabischen Welt. All diese Darstellungen sollen Gläubige an die Schönheit und Freude erinnern, die sie dereinst erwartet, meinte schon im 14. Jahrhundert der türkische Mystiker Yunus Emre:

"Des Paradieses Baumes Zweige dicht,
des Paradieses Rosen licht,
sie duften nur 'Allah, Allah'
Die Stämme sind aus Gold so klar,
die Zweige sprießen mit dem Ruf 'Allah'."

In besonderer Weise spiegelt sich die Schönheit und Fülle der Schöpfung auch in den Jahrtausende alten Bäumen tropischer Regenwälder. Aufgrund der Gewinnsucht moderner Industriekonzerne sind sie zunehmend von der Abholzung bedroht. Die indigene Bevölkerung, die dort von jeher ihren Lebensraum hat, ist heute verzweifelt bemüht, diese Wälder zu verteidigen.

Die Kanadierin Marie-José Tardíf war 40 Jahre alt, als sie von ihrer indigenen Abstammung erfuhr. Heute engagiert sie sich in ihrer Heimat um die Aussöhnung zwischen Ureinwohnern und europäischen Einwanderern. Es gelte, inmitten der Egozentrik und Rücksichtslosigkeit moderner Gesellschaften, die Weisheit alter Kulturen neu zu entdecken, betont Marie-José:

"Die Umwelt-Zerstörung, die wir erleben, folgt aus der Tatsache, dass wir Menschen heute oft innerlich kaputt sind. Entscheidend ist, dass wir erkennen: Wir alle sind ein Bestandteil der Natur. Und wenn wir den 'Schmutz' in unserem Inneren nicht beseitigen, dann werden wir auch das Umwelt-Problem nicht lösen. Denn letztlich geht es um Liebe: Wir müssen wieder lernen, uns selbst ebenso zu lieben wie andere und unseren Planeten."

Aus der Sicht indigener Traditionen hat sich die Menschheit in den letzten Jahrhunderten zu einseitig entwickelt und dabei die sogenannte "männlichen Elemente" zu stark betont: das Rationale, das Technische und nicht zuletzt das Ego.

Entscheidend sei jetzt, dass die Welt ein neues Gleichgewicht finde, mahnt Marie-José. Dazu müsse sie die sogenannten "weiblichen" Elemente fördern: die Intuition, die Spiritualität, sowie ein Gefühl für die Verbundenheit mit Gott und der Umwelt.

"Jeder Mensch braucht diese beiden Dimensionen, um wahrhaft Mensch zu werden. Wir müssen unsere Verankerung in der Erde neu spüren, wie ein Baum seine Wurzeln spürt. Zivilisationen, die diese 'weibliche' Dimension des Lebens schätzen, wissen stets auch um den Wert der Natur. Wir können und müssen heute in den Kulturen voneinander lernen."

Jahrtausende alte indische Mythen erzählen von einem Weltenbaum, der das Universum formt und stützt. Dieser Baum hat teils männliche, teils weibliche Züge und verbindet die Erde mit dem Himmel. In der antiken Schriftsammlung der Upanishaden heißt es:

"Die ganze Schöpfung ist ein Baum."

Verwurzelt in der Erde, mit seiner Krone aufstrebend in den Himmel ist der Baum von jeher auch ein Sinnbild für geistiges Wachstum, für Weisheit und Erkenntnis. Die mächtigen, oftmals Jahrtausende alten Bäume Asiens haben Menschen von jeher inspiriert. Unter einem solchen Baum meditierte einst auch Prinz Gautama Siddharta und fand dabei – so heißt es – die "Erleuchtung". Er gewann bleibende innere Freiheit und wurde zum Buddha.

"Die Kraft des Gedankens ist unsichtbar
wie der Same, aus dem ein riesiger Baum erwächst,
sie ist aber der Ursprung für die sichtbaren
Veränderungen im Leben der Menschen."

… schrieb einmal Leonid Tolstoi. – Was liegt angesichts des Nutzens und Segens, der von Bäumen ausgeht, näher, als neue Bäume zu pflanzen – und zwar zum Wohl der Ärmsten? Das fragte sich in Indien vor einiger Zeit die ökumenische Initiative CASA. Die Idee richtet sich an Frauen und Jugendliche auf dem Land und ist ebenso einfach wie effizient, weiß die Sozialarbeiterin Joyce:

Man verschenkt Samen oder Setzlinge, berät die Beschenkten aber auch genau, wie ein Baum zu pflegen ist. Diese Aufgabe übernehmen bei CASA tausende von freiwilligen Helfern in ganz Indien. Alles andere, strahlt Joyce, sei ein Geschenk der Natur:

"Nehmen sie beispielsweise Palmen: Sie tragen süße Datteln. Außerdem schützen Palmwälder vor Unwettern. Während des Tsunami haben Palmen vielen Menschen das Leben gerettet. Mit Palmblättern kann man sogar Hütten bauen. Solche Bäume sind bei uns daher sehr beliebt. Wir haben bisher im ganzen Land rund 7,5 Millionen neue Bäume gepflanzt. Es sind verschiedene Arten von Bäumen, aber vor allem solche, die Früchte tragen und Menschen Nahrung geben."
"Die Schönheit eines Baumes: sein hoher Stamm,
seine leuchtenden Blätter,
stark und zugleich verletzlich.
Wahre Schönheit schließt Vergänglichkeit ein
und gibt doch eine Ahnung vom Beständigen,
von der Ewigkeit, ohne die sie nicht wäre."

All diese Aspekte und noch viele weitere spiegeln sich im Symbol des Weihnachtsbaumes. In Rom kann man alljährlich auf dem Petersplatz einen großen Christbaum bewundern. Während des päpstlichen Segens "Urbi et Orbi" zeigt ihn das Fernsehen stets der ganzen Welt.

Dieser Baum wird jedes Jahr von einem anderen Land gespendet. 2023 kommt er aus Norditalien, aus dem Piemont. Am 9. Dezember hat man seine Lichter erstmals während einer feierlichen Zeremonie angezündet. Über die Feiertage wird er nun vor der Petersbasilika neben einer Krippe stehen und Zig-Tausenden von Besuchern aus einer krisengeschüttelten Welt Licht, Freude und etwas Hoffnung vermitteln.


Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Norbert Wichard.

Musik

Willy Ulrich, Zitherklang in Weihnachtszeit: Am Weihnachtbaume

Willy Ulrich, Zitherklang in Weihnachtszeit: Oh Tannenbaum

Arabian Musik, Nay: Lamy

Shivkumar Sharma, Call of the Valley: Bageshwari

Über die Autorin Corinna Mühlstedt

Dr. Corinna Mühlstedt ist Theologin, Autorin und ARD-Korrespondentin. Corinna Mühlstedt lebt in Freising und in Rom.