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Pionier einer geeinten Christenheit. Der Priester Max Josef Metzger vor der Seligsprechung

Am Sonntagmorgen, 22.09.2024

Christian Feldmann, Regensburg

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Im Ersten Weltkrieg hatte er sich noch freiwillig als Militärgeistlicher gemeldet – in der Überzeugung, es handle sich um einen sogenannten gerechten Krieg, um die Verteidigung gegen eine Welt von Feinden. Er stand ganz vorn an der Front und wurde mit mehreren Orden ausgezeichnet. Als leidenschaftlicher Pazifist kehrte er zurück, der Priester Max Josef Metzger aus dem badischen Schopfheim. Er engagierte sich in der beginnenden internationalen Friedensbewegung, rief zur Kriegsdienstverweigerung auf, warb als einsamer Pionier für die Ökumene, also für die respektvolle Verbundenheit zwischen Katholiken und Protestanten – denn wie sollten die Christen für den Frieden arbeiten, wenn sie selbst heillos zerstritten seien?

1944 wurde Metzger als "Hochverräter" enthauptet. Achtzig Jahre später, im November dieses Jahres, wird er nun im Freiburger Münster seliggesprochen. In einer Zeit, in der Menschen wie Max Josef Metzger wieder dringend gesucht werden: Visionäre für Völkerfrieden und ein versöhntes Miteinander.

Alles für den Frieden

Max Josef Metzger stammte aus einer katholischen Lehrerfamilie im protestantisch geprägten Schopfheim ganz im Südwesten Deutschlands. Er studierte im deutschen Freiburg und im schweizerischen Fribourg, schrieb eine preisgekrönte Doktorarbeit, zeigte früh Talent als Redner, Poet, Komponist, als produktiver Denker und Organisator. Bei seinen Vorgesetzten erregte er aber auch regelmäßig Anstoß als unberechenbarer Querkopf. "Ehrsüchtig, flatterhaft, vorlaut" – so nannte ihn der spätere Freiburger Erzbischof Conrad Gröber.

Im Proletarierviertel fern der Universität hatte der Student Trinkerelend und bittere soziale Not erlebt. Metzger wurde fortan zum konsequenten Antialkoholiker, Nichtraucher und Vegetarier. Später arbeitete er in Graz als Generalsekretär des "Kreuzbündnisses", wie sich der österreichische Verband abstinenter Katholiken nannte. Nach den Erfahrungen im Krieg schrieb, predigte, betete er wie ein Besessener für eine ernsthafte Friedensarbeit. 1917, als in den Schützengräben noch der Weltkrieg tobte, verfasste er ein Zwölf-Punkte-Programm, das damals auch von Papst Benedikt dem Fünfzehnten unterstützt wurde:

"Wir fordern das Aufgeben des sinnlosen Wettrüstens der Völker zu Wasser und zu Land. Wir fordern ein Hand-in-Hand-Gehen aller Regierungen und Parlamente zur ehrlichen friedlichen Verständigung über gegenseitige Forderungen der Gerechtigkeit und wir fordern den unbedingten Willen aller Regierungen und Parlamente, beim nächsten Volk als recht anzuerkennen, was man für sich selbst als billig ansieht."

Nach dem Krieg gründete Metzger verschiedene pazifistische Organisationen, darunter den Friedensbund Deutscher Katholiken. Auch im Internationalen Versöhnungsbund war er Mitglied und hielt als erster Deutscher Reden auf Friedenskongressen im Ausland, so etwa 1921 in Paris:

"Man hat den Völkern einzureden versucht, sie seien gegenseitig von Natur Feinde, während das Gegenteil der Fall ist. Alle Völker haben einen Feind, der ist ihnen allen gemeinsam: Es ist der Krieg! … Ich begrüße Sie als Mitbürger eines größeren, uns gemeinsamen Vaterlandes: der Menschheit."

Die Grazer Erzbischöfliche Behörde war von Metzgers Aktivitäten ebenso wenig begeistert wie sein Freiburger Heimatbistum. Trat der junge Priester doch mit einer radikalen Sprache auf, mit der er auch aneckte. Ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zeichnete Metzger ein Bild der gerade aus tiefem Schlaf erwachten Völker:

"Erst jetzt erkennen sie, dass sie durch Jahre hindurch am Narrenseil zur Schlachtbank geführt wurden, betrogen und zum Besten gehalten von einer gewissenlosen Clique von Hofschranzen, Plutokraten, gekauften oder betrogenen Zeitungen, unfähigen Politikern und Führern aller Art."

Noch deutlicher wurde er ein Jahrzehnt später, 1929, auf dem Kriegsgegnerkongress in Den Haag:

"Das ist eben das Entscheidende, dass die Völker auf die Entscheidung von Krieg und Frieden soviel wie gar keinen praktischen Einfluss haben, vielmehr in der Hand uneinsichtiger oder gewissenloser Staatsmänner oder deren Drahtzieher als bloßes 'Menschenmaterial' für bestimmte Interessen missbraucht werden. Der Krieg ist das Geschäft des internationalen Großkapitals, das seine Profite aus dem dampfenden Blut der hingeschlachteten Menschen zieht."

Max Josef Metzger war nicht nur ein leidenschaftlicher Kriegsgegner neben anderen, sondern ein theologischer Revolutionär. Während die meisten kriegskritischen Bischöfe und Theologen mit dem Naturrecht argumentierten, das einen "gerechten Krieg" nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaube, lehnte Metzger, und das war ziemlich unerhört, jeden Krieg ab – mit Verweis auf die Botschaft Jesu in der Bergpredigt, wo es heißt:

"Selig die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben. Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden."

Es waren viele Formen praktischer Arbeit, die Metzger in seinen Vorträgen und Publikationen erstaunlich nahtlos mit zwei hochfliegenden Visionen verband: mit der Sehnsucht nach einem stabilen Weltfrieden und mit der Forderung, die Christen müssten endlich entschlossene Schritte zur Überwindung ihrer Spaltung unternehmen. Sein zentraler Gedanke war: Glaubwürdig für politische Friedensideen eintreten, das kann nur eine Kirche, die selbst den Respekt vor anderen Meinungen und Mentalitäten verwirklicht und den beschämenden Zwist in den eigenen Reihen durch die gemeinsame Arbeit für die bedrohte Menschheit ersetzt.

"Ich leide darunter, dass seit Monaten wieder die Völker an den Fronten widereinander stehen und gegenseitig auf ihr Verderben sinnen",

schrieb Max Josef Metzger kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 in einem ebenso nachdenklichen wie beschwörenden Brief nach Rom. Der Adressat: der einstige Nuntius in Deutschland, Eugenio Pacelli, der kurz zuvor zum Papst gewählt worden war.

"Die Völker, die durchwegs die Botschaft Jesu Christi gepredigt erhielten und sich fast alle zu Seinem Namen bekennen – ist ihnen das Christentum nur eine leere Phrase? Oder sind sie rettungslos verkauft an die Mächte der Finsternis? Oder sind wir Christen alle lässig geworden und schwach im Glauben, dass wir nicht mehr dessen bergeversetzende Kraft verspüren? – Ob ein Aufstehen der ganzen bewussten Christenheit nicht noch das Unglück hätte verhüten können? Aber wo ist diese Christenheit? Sie kann nie ihre Stimme wirksam erheben, sie kann keinen bestimmenden Einfluss auf das Weltgeschehen ausüben zur Durchsetzung der ewigen Grundsätze unseres Herrn, – weil sie nicht eins ist."

Schuld an den Spaltungen, so Metzger in seinem Brief, sei jedenfalls nicht nur eine Seite allein, schuld sei das Verharren in Misstrauen und Vorurteilen, schuld sei der Mangel an Demut und Liebe. Metzger regte die Einberufung eines ökumenischen Konzils zur Überwindung der Trennung an, unter Beteiligung der nichtkatholischen Kirchen. Die Vorbereitungen dazu könnten in Assisi beginnen, im Ort des Heiligen Franziskus mit seiner Atmosphäre von Frieden und Versöhnung.

Ökumenische Arbeit machte ihn verdächtig

Als Hitler die Macht in Deutschland übernommen hatte, gehörte Metzger zu jenen katholischen Publizisten, die am Anfang noch bereit gewesen waren, der neuen Staatsführung eine Chance einzuräumen. Obwohl Metzger schon vom Erstarken der Nationalsozialisten an erklärt hatte, es gebe keine wertvollen und keine minderwertigen Rassen, und skrupellose Geschäftemacher ohne Moral finde man unter Ariern genauso wie unter Juden. Der nationalsozialistische Judenhass sei eine Projektion.

Doch dann wurde sehr schnell klar, dass auch die Praxis der Hakenkreuzler, wie man sie im Süden Deutschlands nannte, nichts zu tun hatte mit christlichen Standards. Metzger ging endgültig auf Distanz. Unmittelbar nach einer Radiorede Hitlers notierte er entsetzt:

"Das ist ein ausgesprochener geistiger Hysteriker oder ein Rohling schlimmster Art. Nach dem Vortrag habe ich geäußert, dass ich keine Bedenken trüge, ihn zu erschießen, um dadurch die Tausenden von Menschen, die seinetwillen das Leben lassen müssen, davor zu bewahren."

Diese Notizen gerieten glücklicherweise nicht in die Hände der Nazis. Doch Metzgers ausgedehnte ökumenische Arbeit machte ihn verdächtig genug in den Augen der neuen Machthaber. In Meitingen organisierte er regelmäßig Theologengespräche über Konfessionsgrenzen hinweg, in 13 Städten gründete er gemischtkonfessionelle Una-Sancta-Gruppen, benannt nach der "einen heiligen" Kirche, die endlich wieder mit einer Stimme sprechen sollte. Für die nationalsozialistischen Kirchenfeinde sah so etwas nach Verschwörung aus.

Zum ersten Mal landete Metzger im Januar 1934 im Augsburger Gefängnis, nur für ein paar Tage, wegen unliebsamer Äußerungen in einer Schrift "Die Kirche und das neue Deutschland". 1939 dauerte sein Aufenthalt hinter Gittern dagegen schon einen ganzen Monat; nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller inhaftierte man überall im Reich unzuverlässige Elemente.

Zum Verhängnis aber wurde Max Josef Metzger im Sommer 1943 ein Memorandum, das er über den lutherischen Bischof von Uppsala in Schweden den Westmächten zuleiten wollte. Sein Ziel: Zeugnis für die Existenz eines anderen, eines friedenswilligen Deutschlands abzulegen und eine weitere Eskalation des weltweiten Vernichtungskriegs zu stoppen.

Vorsichtig verschlüsselt, skizzierte der Priester hier das in deutschen Widerstandskreisen lebhaft diskutierte Bild eines demokratischen Bundesstaates, der Frieden und Verständigung mit den Nachbarn sucht. Gleiche Grundrechte für alle Bürger, Achtung vor dem Lebensrecht anderer Völker. Ein geeintes Europa, bestehend aus miteinander versöhnten Nachbarn. Doch die an der Una-Sancta-Arbeit interessierte Schwedin, die das Schriftstück zum Bischof von Uppsala bringen sollte, entpuppte sich als Agentin der Gestapo. Metzger wurde unverzüglich in das Berliner Gestapo-Gefängnis eingeliefert.

Im Oktober 1943 steht Max Josef Metzger unter der Anklage des Hochverrats vor dem Berliner Volksgerichtshof. Dessen Vorsitzender Roland Freisler, ist dafür bekannt, dass er die Angeklagten nicht überführen, sondern zerstören will. Für Metzgers Motive, Frieden und friedliches Zusammenleben der Völker, hat Freisler nur Hohn und Spott übrig.

Das Urteil am 14. Oktober 1943 ist klar: Todesstrafe. Man lässt den Verurteilten noch ein volles halbes Jahr in der Todeszelle, bis er am 17. April 1944 zum Schafott geführt wird. Der Scharfrichter, in jenen Tagen ein vielbeschäftigter Mann, bekennt später staunend, noch nie habe er einen Menschen mit so leuchtenden Augen in den Tod gehen sehen.

Am 17. November wird der katholische Priester Max Josef Metzger nun seliggesprochen – und möglicherweise bald auch heilig. Das ist eine Entscheidung, die quer zum aktuellen Trend liegt und deshalb so wichtig ist. Denn Max Josef Metzger ist genau der richtige Heilige für unsere friedlose Zeit. Der glühende Pazifist und unermüdliche Friedensprediger, der in dunkler Zeit für seine Vision vom friedlichen Zusammenleben der Völker kämpfte. 


Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.

Musik:

Philip Glass – Facades

Jeff Beal – Zoe’s First Close-Up

Jeff Beal – Claires Dream

James Newton Howard – Indoctrination

Dustin O‘Halloran – A New Home

Über den Autor Christian Feldmann

Christian Feldmann, Theologe, Buch- und Rundfunkautor, wurde 1950 in Regensburg geboren, wo er Theologie (u. a. bei Joseph Ratzinger) und Soziologie studierte. Zunächst arbeitete er als freier Journalist und Korrespondent,  u. a. für die Süddeutsche Zeitung. Er produzierte zahlreiche Features für Rundfunkanstalten in Deutschland und der Schweiz und arbeitete am "Credo"-Projekt des Bayerischen Fernsehens mit. In letzter Zeit befasste er sich mit religionswissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Themen in der Sparte "radioWissen" beim Bayerischen Rundfunk. Zudem hat er über 50 Bücher publiziert. Dabei portraitiert er besonders gern klassische Heilige und fromme Querköpfe aus Christentum und Judentum. Feldmann lebt und arbeitet in Regensburg.