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"Es war alles sehr schön!" Schönheit als Gotteserfahrung

Am Sonntagmorgen, 25.05.2025

Angelika Daiker, Schwäbisch-Gmünd

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Was macht das Leben schön? In dem Theaterstück "All das Schöne" lautet die Antwort eines Jungen darauf:

  1. Zitroneneis,
  2. Wasserschlachten
  3. länger aufbleiben als sonst und fernsehen und 
  4. die Farbe Gelb.

Der Junge war sieben Jahre alt, als die Mutter versuchte, ihr Leben zu beenden. Eine Liste mit allem, was für ihn das Leben schönmacht, half ihm damit fertig zu werden. Seine Mutter konnte er damit nicht von ihrem späteren Suizid abhalten. Für ihn jedoch ist die Liste an Schönem ein Leben lang gewachsen.

"All das Schöne" ist ein Jugend-Theaterstück, das erzählt, wie Schönes zum Überleben helfen kann. Was der 7-jähre Junge in seiner Not entdeckt hat, beschreibt die fast 80-jährige Schriftstellerin Gabriele von Arnim in ihrem Buch über den "Trost der Schönheit":

"Worin ich mich immer noch… gehalten fühle und Trost finde: Ein Bach, ein Waldboden, eine Blume, eine Kuh, ein Morgenblick aufs Meer, im Wind tanzende Wiesengräber." [1]
"Es geht darum, Schönheit und Schönes im Alltag, in verborgenen Schlupflöchern aufzuspüren – im Schmerz, im Zitronenduft, im Atmen, in Krisen und Dissonanzen oder in dem im Regen schimmernden Blätterteppich." [2]

Dass wir etwas "schön" finden und es so benennen, geschieht ständig: Schön, dass du kommst! Was für ein schönes Fest!
Wie schön, dass die Vögel im Frühjahr wieder singen!

Schönes begegnet uns täglich, es "spricht zu allen Herzen" wie es die französische Philosophin und Mystikerin Simone Weil [3] ausdrückt. Sie hält sogar die Schönheit für den einzigen allgemein anerkannten Wert. Auch wenn sich darüber, was als schön empfunden wird, streiten lässt und von zeitbedingten Schönheitskriterien abhängig ist. 

Von heranwachsenden jungen Frauen weiß ich, in welche Not sie kommen können, wenn sie sich an äußeren Schönheitsidealen messen. Im Internet werden sogenannte "Beauty-Checks" angepriesen, die behaupten, Schönheit sei objektiv messbar. Schönheit ist jedoch größer, geheimnisvoller, vielfältiger als jedes von außen vorgegebene Kriterium glauben macht. Sie lässt sich nicht erklären. Sie lässt sich wahrnehmen und zusprechen.

Schönheit ist auf vielerlei Weise beglückend, stärkend, verzaubernd, tröstlich, erfüllend, manchmal fast unwirklich, "zu schön, um wahr zu sein"! Wichtig ist, welche Resonanz in uns angerührt wird und wie wir innerlich antworten, staunend und ehrfürchtig. Manchmal gibt sie uns auch den Impuls: "Du musst dein Leben ändern!" Oder wie Gabriele von Arnim es sagt:

"Schönheit greift nach uns, greift uns an. Wer Schönheit zu sehen vermag, bleibt nicht unergriffen. Schönheit ist nicht nur da, um betrachtet oder gehört, gerochen, geschmeckt, gefühlt oder gelesen zu werden. Sie gibt nicht nur, sie fordert auch, fragt uns, wer wir sind. Oder wer wir sein könnten. Wie und ob wir die Welt in ihren vielen Nuancen wahrnehmen und uns darin. Mit dem Mut der Offenheit. Mit der Hingabe an den Schauder, der zum denkenden und fühlenden Sehen gehört." [4]

Es ist menschlich, sich nach Schönem zu sehnen. Furchtbar ist es, wenn wir es zwar wahrnehmen aber unser Herz nicht darauf antwortet! Wir suchen das Schöne und wollen es behalten, wollen verstehen, woher es kommt und warum wir es fast überall finden in Worten, Klängen, Bildern und Gerüchen. Bei Menschen, Tieren, Pflanzen – und warum das Schöne sich manchmal verschließt oder wir verschlossen sind.  Schönheit rührt uns auch deshalb an, weil wir wissen, dass sie vergänglich ist. Wir können sie nicht festhalten.

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass wir eine lange Geschichte des Nachdenkens mit der Schönheit haben. Um sie geht es schon in der Schöpfungsgeschichte am Anfang der Bibel im Buch Genesis. Der Text beschreibt das Schöne und Gute, um in aussichtsloser Situation Hoffnung zu vermitteln: "Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr schön." (Gen 1,31) Gottes Bewertung seiner Schöpfungswerke wird auch übersetzt mit: "Es war alles sehr gut."

Aufgeschrieben wurde dieser Schöpfungs-Hymnus in einer Zeit als die politische Situation des Volkes Israel im Exil, fern der Heimat, alles andere als schön war. Was schön, was gut ist an der Schöpfung, wird in diesem ersten Kapitel der Bibel im Detail durchbuchstabiert:

"Das Licht war gut / schön.
All das junge Grün, die Bäume und Früchte: schön!
Die Lichter am Himmelsgewölbe, Sonne, Mond und Sterne: schön!
Und die Wassertiere und die Vögel: schön!"

Gott betrachtet an jedem Schöpfungstag das Geschaffene und stimmt ihm zu. Im Schauen, im Wahrnehmen seines Werkes kommt das Schöne erst zum Vorschein. Ein weiterer biblischer Text, in dem die menschliche Schönheit gepriesen wird, steht im Hohelied der Liebe. Es ist ein zärtlich erotischer Text, in dem ein Liebender die Schönheit seiner Geliebten preist – mit einer Fülle von Metaphern, die er aus seiner Naturerfahrung nimmt. Nur so findet er die passenden Worte.

"Siehe, schön bist du meine Freundin!
Hinter dem Schleier deine Augen wie Tauben.
Dein Haar gleicht einer Herde von Ziegen, die herabzieht von Gileads Bergen. Deine Zähne sind wie eine Herde frisch geschorener Schafe, die aus der Schwemme steigen, 
die alle Zwillinge haben, der Jungen beraubt ist keines von ihnen.
Wie ein purpurrotes Band sind deine Lippen und dein Mund ist reizend.
Dem Riss eines Granatapfels gleicht deine Wange, hinter deinem Schleier. ... Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, die Zwillinge einer Gazelle, die unter Lilien weiden. ... Alles an dir ist schön, meine Freundin, kein Makel haftet dir an. (Hoheslied, 4,1ff.)"

In der Bibel ist Schönheit ein Beziehungsbegriff. Gottes Zuwendung zum Menschen geschieht durch Schönes. Er zeigt sich nicht nur als Urheber der Schönheit (Weish 13,3), er selbst ist schön. Wenn von der Schönheit der Menschen gesprochen wird, dann wird damit gleichzeitig ihre Nähe zu Gott betont.

Es geht um die Verbindung von äußerer Schönheit und inneren Werten. Schönheit meint, dass etwas in sich stimmig, lebensförderlich, richtig ist. Das hebräische Wort tov und das griechische Wort kalós für schön und gut haben nicht nur eine sinnliche Qualität – sondern auch eine sittliche.

Für den frommen Juden war es eine große Sehnsucht, Gott in seiner Schönheit, seiner Pracht sehen zu dürfen. So sagt Mose zu Gott: "Lass mich doch deine Herrlichkeit sehen." Aber Gottes Schönheit ist menschlich nicht verkraftbar. Sie zeigt sich nur indirekt. Die sichtbare Gestalt seiner Schönheit, die in den Psalmen besungen und gepriesen wird, ist die Schöpfung. Zu staunen und Gott zu loben, ist die adäquate Antwort auf sein gutes und schönes Werk.

"Mein Gott, überaus groß bist du.
Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet.“
Du hüllst dich in Licht wie in einen Mantel.“ (Ps 104,1)

Es ist faszinierend, dass Menschen zu allen Zeiten berührbar sind durch das Schöne – in allen Schichten und in allen Religionen. Vielleicht sind alle Menschen in ihrem Gespür für das Schöne auf einem gemeinsamen Weg zu Gott. Auch Menschen, die nicht glauben können, suchen die Schönheit von Kathedralen und geistlicher Musik und stehend staunend und sprachlos vor sakralen Kunstwerken. Gottes Gegenwart im Wahrnehmen des Schönen zu erfahren, könnte uns in allen Religionen miteinander verbinden. Im Schauen, im Verkosten, im Berühren und im Hören dem Schöpfer aller Schönheit zu begegnen – das könnte uns von einem Gottesbild befreien, das eng und beängstigend ist.

Für die französische Jüdin Simone Weil gab es "keinen offensichtlicheren Beweis Gottes als die Schönheit der Welt [5]. Und so suchte sie nach einer "Spiritualität der Schönheit", die ihr Orientierung gab in ihrem sozialen Engagement – Anfang des letzten Jahrhunderts. Für sie war es wichtig, den Menschen einen Sinn für Schönes zu vermitteln, nicht nur in der Achtsamkeit für die Schöpfung sondern indem sie ihren Blick auf den in Jesus Christus Mensch gewordenen Gott richtet. Obwohl sie selbst nie Mitglied einer christlichen Kirche wurde, machte sie ihre Spiritualität der Schönheit an der Gestalt Jesu Christi fest, weil in ihm Gott in seiner ganzen Schönheit zur Welt gekommen ist, Gott sich inkarniert hat:

"Gott hat das Weltall erschaffen. Und sein Sohn, unser erstgeborener Bruder, hat für uns die Schönheit erschaffen. Die Schönheit der Welt ist Christi zärtliches Lächeln für uns durch den Stoff hindurch. Er ist wirklich gegenwärtig in der Schönheit des Alls. Die Liebe zu dieser Schönheit entspringt dem in unsere Seele herniedergestiegenen Gott ..." [6]

Nach vielen Gedanken zur Schönheit drängt sich am Schluss die Frage auf: Darf und kann ich überhaupt Schönes genießen, solange es so viel Hässliches in der Welt gibt: Gewalt, Krieg, Streit, die Zerstörung der Schöpfung? Für mich kann ich sagen: Ja, gerade jetzt ist die Zeit, dem Schönen ein Gewicht zu geben und dem Hässlichen und Zerstörerischen etwas entgegenzusetzen! Ich habe begonnen, das Schöne an jedem Abend aufzuschreiben. Und weil es mich tröstet und dankbar macht, wird es zu einem Teil meines Gebets, an das ich auch an Schönheits – kargen Tagen festhalten kann.

Es tröstet mich, dass Gott sich im Schönen zeigt und dass er meine Erfahrung von Vergänglichkeit umhüllt. Ich möchte, wie das Volk Israel im Exil in schlimmer Zeit unter dem Blick Gottes sagen können, dass alles sehr gut, sehr schön ist, um so dem Hässlichen in der Welt keine Macht über mich zu geben.


Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.

Musik:

Edvard Grieg – Peer Gynt, Suite No.1 op. 46, Morgenstimmung

Fortuna und Monges Beneditinos – Fortuna, Ani le dodi
Haydn, "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes", aus: Die Schöpfung
Mozart – C-moll Messe, "Et incarnatus est"

Edvard Grieg – Peer Gynt, Morgenstimmung


[1] Gabriele von Arnim, Der Trost der Schönheit, Eine Suche. Hambur 2024, 5. Aufl., S.45

[2] Ebd., S. 17

[3] Otto Betz(Hg.), Schönheit spricht zu allen Herzen. Das Simone-Weil-Lesebuch, Kösel Verlag, München 2009.

[4] Gabriele von Arnim, Der Trost der Schönheit.

[5] S. Weil, in: Cahiers, hg. Von E.Edl und W.Matz, München 1991 – 1998, Bd. 3, S.73,

[6] Otto Betz, s.o., S.34

Über die Autorin Angelika Daiker

Dr. Angelika Daiker, geb. 14.03 1955, studierte in Tübingen, München und Wien. Sie promovierte in Wien bei Prof. Dr. Michael Zulehner. Die gekürzte und überarbeitete Fassung ihrer Dissertation erschien 1999 unter dem Titel "Über Grenzen geführt – Leben und Spiritualität der Kleinen Schwester Magdeleine" im Schwabenverlag. Daiker ist Pastoralreferentin und leitete von 2007 bis 2017 das Hospiz St. Martin in Stuttgart, das sie konzeptionell aufgebaut hat. Als Autorin, als Trauerbegleiterin und als Dozentin für Sacred Dance wird sie zu Vorträgen und Seminaren im Bereich Trauer- und Sterbebegleitung, zu Themen der Spiritualität und zu Tanzseminaren eingeladen.

Neueste Veröffentlichung: Hülle und Fülle – Palliative Spritualität in der Hospizarbeit, Angelika Daiker / Barbara Hummler – Antoni, Patmosverlag September 2018