Aus einem Brief von Cato Bontjes van Beek, gelesen von Julia Jentsch:
"Liebe Lolo, seit Wochen wütet jetzt schon der Krieg. Nie wollten die Menschen sich wieder bekämpfen – so schwor man 1918. Alle Feinde lagen sich in den Armen und unter Tränen gelobten sie es ich. 1933 wusste man, dass ein neuer Krieg kommen würde. Er ist nun da. […] Alle guten Kräfte und Instinkte werden wieder verloren gehen. Alle bösen Kräfte und Instinkte werden wieder aufkommen."
Diese Zeilen schreibt die 19-jährige Cato Bontjes van Beek an ihre Tante Luise, genannt Lolo. Es ist der 4. März 1940. Die junge Frau leidet enorm unter der Entwicklung in ihrem Land. Vor allem, weil sie ahnt – zu diesem Zeitpunkt vielleicht mehr als die meisten ihrer Mitmenschen – was noch kommen wird.
Aus einem Brief von Cato Bontjes van Beek, gelesen von Julia Jentsch:
"Weißt du, Lolo, seit ein paar Tagen bin ich wahnsinnig unruhig – ich spüre es genau – irgendetwas ganz Furchtbares wird in der nächsten Zeit geschehen. Etwas, was uns alle betreffen wird. Es muss allerdings etwas ganz Furchtbares sein, das spüre ich genau. Wir leben alle viel zu gleichgültig dem Leben gegenüber."
Gleichgültigkeit – damit konnte sich Cato Bontjes van Beek nie abfinden. Sie kann in der Zeit des Krieges nicht tatenlos und schließt sie sich dem Widerstand an, versteckt dabei von der Gestapo verfolgte Menschen. Weil sie den Krieg aus voller Überzeugung ablehnt, klärt sie Mitmenschen über die Schandtaten der Nazis auf, hilft bei der Verteilung von Flugblättern. 1943 wird sie von den Nazis hingerichtet – mit gerade einmal 22 Jahren. Ihre Überzeugungen hatte sie bis zuletzt nie verraten. In dieser Sendung soll erinnert werden an eine weitgehend unbekannte Widerstandskämpferin, deren Beispiel zeigt, dass die Liebe stärker ist als die Furcht.
Köln, Minoritenkirche – 5 Gehminuten vom Dom entfernt. In dem Gotteshaus findet an diesem Novemberabend auf Einladung des Katholischen Bildungswerks eine Konzertlesung statt. Die Schauspielerin Julia Jentsch liest aus den Briefen von Cato Bontjes van Beek. Der Komponist Helge Burggrabe hat dazu das Skript geschrieben und einige ausgewählte Texte der Widerstandskämpferin für das Vokalensemble "Sjaella" neu vertont. Julia Jentsch ist nicht zuletzt für ihre gefeierte Darstellung als Sophie Scholl im gleichnamigen Kinofilm vertraut mit Frauen im Widerstand. Sie sieht Parallelen zwischen den beiden.
"Die Liebe zu dem Menschen an sich, egal wohin er sich entwickelt oder was Schreckliches passiert, den haben beide sich bewahrt und den Glauben daran, und das Gefühl, dass wenn so viele schlimme, böse Dinge passieren, dass man umso mehr auch für das andere eintreten muss. […] Und diese Texte waren so intensiv und lebendig, von so viel Wärme, Liebe, Weisheit, dass mich das auch nicht losgelassen hat."
Auch für Helge Burggrabe sind die Konzertlesungen ein Herzensanliegen. Er ist bekannt für seine Musik und damit verbundene Kunstprojekte in Kirchen. Er wohnt heute dort, wo Cato Bontjes van Beek einst aufgewachsen ist: in Fischerhude, einem kleinen Ort wenige Kilometer vor Bremen. Nicht nur deshalb fühlt er sich der Widerstandskämpferin nahe:
"Ihre Neugierde, ihre Wachheit, das wünsch ich mir für mich selber, aber ich merke auch, dass das für unsere Zeit hochaktuell ist – ob wir so vor uns Hinleben oder eben das Leben selbst ergreifen. Und 'Ihr redet alle, aber keiner tut etwas' – das ist so ein Zitat von ihr, und das habe ich dann auch vertont, mit voller Wucht sozusagen – und das kann man auf heute absolut übertragen, dass man seine eigenen Überzeugungen nicht verrät."
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Cato Bontjes van Beek wird am 14. November 1920 geboren. Vater Jan ist Keramiker, die Mutter Olga Ausdruckstänzerin und Malerin. Als sich die Eltern trennen, bleibt Cato noch für
vier Jahre bei ihrer geliebten Mutter in Fischerhude, ehe sie 1937 zu ihrem Vater nach Berlin zieht, um eine Ausbildung zur Keramikerin zu absolvieren.
Als der Zweite Weltkrieg beginnt, ist sie 18 Jahre alt. Fassungslos über die deutschen Angriffe gegen das benachbarte Ausland, spürt sie ihre Verantwortung und beginnt etwas zu tun. Sie steckt gemeinsam mit ihrer Schwester Mietje am Bahnhof in Berlin französischen Kriegsgefangenen Gegenstände zu: Zigaretten, Feuerzeuge, Seife oder Nähgarn, obwohl sie weiß, dass das strengstens verboten ist. Dann lernt sie über ihren Vater Libertas Schulze-Boysen kennen. Sie ist die Frau von Harro Schulze-Boysen, einem der Köpfe der Widerstandsgruppe Rote Kapelle. Libertas zeigt Cato Fotos und Filme, die die Kriegsgräuel an der Ostfront dokumentieren. Sie ist zutiefst verstört. Das Wissen um Mordaktionen und Massenerschießungen, vor allem an Sowjetbürgern und Juden, lässt Cato nicht mehr los. Im November 1941 schreibt sie an ihre Mutter:
Aus einem Brief von Cato Bontjes van Beek, gelesen von Julia Jentsch:
"Ich höre jetzt so furchtbare Dinge über das, was draußen in der Welt geschieht […] ich bin dann immer so entsetzt, man kann kaum glauben, dass solche Sachen einmal als Gedanken in menschlichen Gehirnen entstanden und dann sogar in die Tat umgesetzt wurden. Und trotzdem soll man den Glauben – auch an die Menschen – nicht verlieren. Es gibt Gott sei Dank noch viele Menschen, die gut sind und das Gleichgewicht hundertfach halten."
Dem Hass setzte Cato Menschlichkeit und Zivilcourage entgegen, aus dieser Überzeugung tritt sie der Widerstandsgruppe Rote Kapelle bei. Doch ihr Wirken ist nur kurz. Schon im Sommer 1942 fliegt die Widerstandsgruppe. Am 20. September klingelt die Gestapo auch an der Wohnungstür von Jan Bontjes van Beek und verhaftet Vater und Tochter. Cato wird ins Polizeigefängnis am Alexanderplatz gebracht. Jan Bontjes van Beek wird aus Mangel an Beweisen am 22. Dezember 1942 wieder freigelassen. Genau an jenem Tag vollstreckt ein Scharfrichter die ersten Todesurteile an Mitgliedern der Roten Kapelle, darunter Harro Schulze-Boysen.
Cato wird hingehalten – erst Monate später verurteilt sie das Reichskriegsgericht wegen "Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats und zur Feindbegünstigung" zum Tod. Damit hatte Cato nicht gerechnet – sie und ihr Geliebter Heinz Strelow, über den ebenfalls die Todesstrafe verhängt wird, sehen sich zur Nachverhandlung am 13. Februar 1943 noch einmal wieder. Vier Tage später schreibt Cato an Strelow.
Aus einem Brief von Cato Bontjes van Beek, gelesen von Julia Jentsch:
"Ich habe mir vorgestellt, wenn wir uns zuletzt noch einmal sehen könnten, ich glaube, ich würde dir sagen: 'Bis nachher!' Aber wo treffen und finden wir uns dann in dem großen All? Ich pfeife dann immer unser Lied 'Väterchen, teures, höre …' und dann wirst Du mich schon hören und finden. Zigaretten werde ich dir dann aber nicht mitbringen, ich glaube, das macht einen zu schlechten Eindruck beim lieben Gott – er wird etwas viel Schöneres für uns haben."
Was Cato Bontjes van Beek so unverwechselbar macht, ist ihr Wesen. Zeitzeugen schilderten, wie hoffnungsvoll, empathisch und liebevoll sie stets auftrat – gerade auch in ihrer Zeit im Gefängnis: Mit immer noch heiterem Wesen und ihrer warmen Stimme tröstete sie Mitgefangene. Sang sogar und steppte, um andere Insassen aufzumuntern. Humor und Humanität – sie gehen in Catos Charakter eine lebensbejahende Liaison ein. Mit einem weiteren Gefangenen der Roten Kapelle, dem 16-jährigen Rainer Küchenmeister, wird Cato äußerst erfinderisch, um sich auszutauschen. Er hat in der Etage direkt unter Cato seine Zelle. Sie spannen einen Bindfaden von Zellenfenster zu Zellenfenster und befestigen daran Botschaften. Kurz nach der Verhandlung, in der sie zum Tode verurteilt wird, lässt sie ihm diesen Brief zukommen:
Aus einem Brief von Cato Bontjes van Beek, gelesen von Julia Jentsch:
"Mein lieber Rainer, ja das war ein Schlag ins Gesicht dieser Antrag vom Oberst … Aber Rainer, ich bin so sehr vom Leben überzeugt und liebe die Menschen so unendlich, dass ich gar nicht daran glaube, dass es wahr wird. Von dieser Liebe zu den Menschen habe ich in meinem Schlusswort gesprochen. […] Sollte ich wirklich sterben Rainer sei nicht allzu traurig, vergiss mich nicht, […] du wirst so nötig gebraucht, du hast so viele gute Eigenschaften und du hast so einen Reichtum an Liebe in dir, das ist das Schönste und Höchste, was der Mensch besitzt. […] Lebe du weiter lieber Rainer, suche das schöne in der Kunst und in jedem Menschen und lerne mit dem Herzen zu denken. Der alte Gott schützt dich."
Cato Bontjes van Beek war stets auf der Suche nach dem Sinn. Welche Rolle spielte der Glaube an Gott in ihrem Leben? Spannend ist, dass Cato und ihre Geschwister in dem liberalen Elternhaus zunächst nicht getauft wurden. Sie selbst interessierte sich aber sehr für religiöse Fragen und empfing auf eigenen Wunsch die Taufe. Und doch war und blieb sie offen für verschiedenste Religionen und Philosophien. Es scheint, als erfahre sie vor allem im Gefängnis eine Stärkung ihres christlichen Glaubens. Ihrer Mutter schreibt sie von dort einen Brief, in der sie sich selbst darüber wundert, woher sie ihre Zuversicht nimmt: "Es ist ein starker Glaube in mir, und hier habe ich erfahren, dass ich immer schon religiös war, und das hat sich nun sehr gefestigt." So Cato. Und ihrem Freund Heinz gegenüber bekennt sie, dass die Bibel, darin vor allem das Neue Testament, für sie von unschätzbarem Wert geworden sei. Dazu passt auch die Bitte, die sie aus der Haft für sich und ihre Geschwister kurz vor dem Osterfest ihrer Mutter schickt:
Aus einem Brief von Cato Bontjes van Beek, gelesen von Julia Jentsch:
"Mama, ich habe einen Wunsch: Wenn die Matthäuspassion gespielt wird, geh hin und denke dabei an Tim, Meme und mich und bitte, dass wir uns alle wiederfinden und schließe auch Heinz ein. Vor ein paar Nächten habe ich geträumt, ich hätte sie gehört und es war wunderbar. Es ist doch herrlich, dass diese göttlichen Dinge uns allen gehören und dass ein sterblicher Mensch sie zu schaffen vermochte. Wenn man so etwas hört, weiß man, dass es kein eigentliches Sterben gibt, und das Herz weitet sich in unendlicher Menschheitsliebe."
Es ist nicht nur die Matthäuspassion, die Geschichte vom Leiden und Sterben Jesu, die Cato Bontjes van Beek zur Stütze wird angesichts des Todesurteils. Ihrem Bruder Tim schreibt sie, dass das Johannes-Evangelium ihr eine "große, innere Freude" ist. Darüber hinaus berührt sie ein ganz bestimmter Vers aus dem biblischen Johannesbrief. Für Helge Burggrabe ist es dieser Satz, der ganz Entscheidendes über ihr Leben aussagt:
"Dieses Bibelzitat 'Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus' (1 Joh 4,18). Und das steht jetzt auch im Totenbuch bei Cato drin und ist rückblickend wie eine Verdichtung ihres Lebens – sie hat sich furchtlos eingesetzt für mehr Liebe, für mehr Menschlichkeit."
Auch diesen Bibelvers hat Burggrabe für die Konzertlesung über Cato Bontjes van Beek vertont. Das Kunstprojekt will inspirieren und erinnern an jene Frau, deren letzte Worte kurz vor Ihrer Hinrichtung am 5. August 1943 heute wie ein Vermächtnis und ein Auftrag klingen:
Aus einem Brief von Cato Bontjes van Beek, gelesen von Julia Jentsch:
"Wenn doch der Hass getilgt wäre und die Menschen zu Gott kämen. Wir brauchen uns nicht aus der Welt wie Diebe zu schleichen."
Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.
Musik und Mitschnitte der Konzertlesung aus:
CATO. Konzertfilm von Helge Burggrabe zum 100.Geburtstag der Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek,
Sprache: Julia Jentsch. Gesang: Frauen-Vokalensemble SJAELLA, Leipzig, Edition Musica Nova, Erstaufnahme und Ort der Filmaufnahme: 14.11.2020 in der Liebfrauenkirche in Fischerhude.
Dauer: 78 Minuten.Sjaella – Dormi Jesu (Helge Burggrabe)
Musikstücke:
Sjaella – I am the daughter (Helge Burggrabe)
Sjaella – Ihr redet alle, aber keiner tut etwas! (Helge Burggrabe)
Sjaella – Dormi Jesu (Helge Burggrabe)
Sjaella – Wir setzen uns mit Tränen nieder (J.S.Bach – Matthäuspassion)
Sjaella – Furcht ist nicht in der Liebe (Helge Burggrabe)