Der katholische Glaube ist der an eine Botschaft, die im Grunde "unglaublich" ist. Der Glaube ist eine Gabe, sie erfordert Hingabe und ist eine Lebensaufgabe. Einfach ist das nicht.
Gestern hat die Kirche das Fest Mariä Verkündigung begangen. Genau neun Monate vor Weihnachten werden Zeugung und Empfängnis Jesu gefeiert, sein Auftauchen in unserer Welt. "Verkündigung des Herrn", sagt man auch. Nicht erst seine Geburt ist wichtig und sein weiteres Leben, nein schon die Intimität seiner Ankunft.
Es gibt kaum ein Andachtsbild, das über die Jahrhunderte hin so oft gemalt wurde wie das von der Verkündigung der Geburt Jesu an Maria. Die Geschichte vom Engel Gottes, der Maria überrascht, hat offenkundig zu allen Zeiten besonders berührt und gefallen.
"Der Engel Gabriel wurde von Gott in eine Stadt namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. Der Name der Jungfrau war Maria. Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. Da sagte der Engel zu ihr: 'Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden.' Maria sagte zu dem Engel: 'Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?' Der Engel antwortete ihr: 'Der Heilige Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.' Da sagte Maria: 'Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast."
Wenn allein der Glaube fehlt
Was da von der jungen Jüdin aus Palästina erzählt wird, betrifft eigentlich jeden, der es mit Gott zu tun bekommt und seine Ankunft entdeckt. Heißt Glauben nicht genau das, was da Maria dem Engel im entscheidenden Augenblick antwortet: "Mir geschehe nach deinem Wort"? Also Gott sprechen hören und ihn beim Wort nehmen, ja…aber wie?
Besonders sympathisch dabei ist, dass auch Maria schon jene Not hat, die wohl alle kennen, die an Gott glauben möchten oder sich für ihn ernsthaft interessieren: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Kaum hat der Engel Maria die frohe Botschaft gebracht, da hat sie schon Einwände: "Wie soll das geschehen?"
Kann ich mich auf Gottes Zusage verlassen und ihr Glauben schenken? Wie soll ich dich empfangen? Diese Maria ist hellwach und ein kritischer Geist, sie fragt zurück und will Klarheit. Aber dann willigt sie ein, und das mit ganzem Herzen; sie zeigt sich empfänglich und der kleine Jesus ist unterwegs. "Der Heilige Geist wird dich überschatten." Jede Zeugung und Empfängnis ist höchst innig und intim. Es ist immer ein Geschenk, guter Hoffnung zu sein und unterwegs zur hoffentlich glücklichen Geburt.
Genau von dieser Intimität erzählt die Verkündigungsgeschichte, zart, behutsam und spannend. Ob das der Grund ist, dass Mariä Verkündigung so viel Anklang fand und hoffentlich wieder findet: der Zauber des Anfangs, das Geheimnis unserer Herkunft, das Geschenk des Glaubens. Immer ist es ein bisschen wie Frühlingsanfang. Aber nun der Reihe nach, und die wichtigste Frage vornweg: "Was kann oder muss ich tun, dass mir ein Engel Gottes begegnet und mich anspricht?" Wie kommt man zum Glauben?
Glaube ist immer schon da
Das erste und wichtigste dabei: Menschen kommen nicht zum Glauben, sie sind schon da. Denn sonst wären sie nicht. Am Leben bleiben und es aktiv gestalten, ist schon ein Akt des Vertrauens. Und dem Leben standzuhalten erst recht. Franz Kafka hat das in einem inneren Dialog präzise beschrieben.
"Allein die Tatsache unseres Lebens ist in ihrem Glaubenswert gar nicht auszuschöpfen. – Hier wäre ein Glaubenswert? Man kann doch nicht nicht-leben. Eben in diesem 'Kann doch nicht' steckt die wahnsinnige Kraft des Glaubens, in dieser Verneinung bekommt er Gestalt."
(Zürauer Aphorismen 109)
Kafka hat Recht. Glauben fängt nicht da an, wo es ausdrücklich religiös wird. Schon längst vorher ist ein elementares Seinsvertrauen da, ein Lebensglaube, sonst wären wir nicht. Bekanntlich kann der Mensch sich selbst das Leben nehmen, das ist eine hintersinnige Formulierung. Das Leben ist uns gegeben und es wird uns ständig gegeben, sonst wären wir nicht. Aber die Verzweiflung kann so groß werden, dass wir es abschütteln wollen.
Die Möglichkeit zum Suizid zeigt wie im Kontrastbild, wie sehr wir dem Leben doch trauen und ihm vertraut sind. Wir sind da, wir bleiben da. Ohne Lebensglauben kein Dasein! Unsere Leitfrage erhält eine erstaunliche Wendung: Wie kommt man zum Glauben, heißt dann: Wie wird man das, was man schon ist: ein vertrauendes Wesen, ein glaubender Mensch? Das deutsche "glauben" kommt aus demselben Wortstamm wie loben, geloben und lieben.
Wie aber wird aus dem Lebensglauben ein Gottesglaube? Was tun Christenmenschen, wenn sie das Taufversprechen ablegen? Was tun sie, wenn sie Mariä Verkündigung feiern? Nehmen wir die Erzählung des Evangelisten Lukas beim Wort. Da tritt ein Engel Gottes in das Leben der jungen Frau, ein Überraschungsgast der besonderen Art und offenkundig ohne Anmeldung.
Die junge Maria weiß sich von Gott selbst angesprochen. Denn wo solche Engel erscheinen, ist immer Gottes Zuwendung im Spiel. "Gegrüßt bist du, voll der Gnade" bekommt sie zu hören, eine ungeheure Ermutigung und Zusage. "Gut, dass du da bist", sagt Gottes Engel zu ihr; nein, mehr noch: "Du bist unbedingt gutgeheißen und erwünscht." Und damit sagt Gott zugleich: "Du bist mir unendlich wichtig, ich brauche dich."
Aufblühen im Glauben und im Leben
Eine Szene aus Christa Wolfs Roman "Der geteilte Himmel" mag das verdeutlichen. "Was geht es dich an, wenn ich dich liebe", antwortet da die Frau ihrem Mann, der sie verlassen will. Du kannst machen, was du willst, und du machst ja auch, was du willst; aber dass ich dich liebe, steht fest, es ist sozusagen mein Problem.
Ob Menschen auf Dauer so verrückt einseitig lieben können, lässt sich fragen. Aber in Christus sagt Gott zum Menschen: "Was geht es dich an, wenn ich dich liebe. Du kannst es glauben oder nicht, aber es steht unwiderruflich fest."
Der Mensch ist eingeladen, darauf zustimmend zu antworten. Wie bei Maria ist es durch den Engel Gott selbst, der da das sagt: "Gegrüßt, geliebt bist du, unbedingt." Was den Zauber jeder Liebe ausmacht, wird hier überwältigend klar: Gott spricht zu jedem Menschen wie zu Maria: "Ich liebe dich, denn sonst wärst du nicht." Alles gerät unter das Vorzeichen einer erfreulichen Zusage. Hoffentlich können wir alle uns an solche Verkündigungsaugenblicke der Liebe erinnern, wo jemand zu uns sagte: "Ich liebe dich, du bist voller Charme und Güte." Frühlingsanfang pur! Wir blühen auf.
Und immer braucht es andere, die uns das zusagen. Tausendmal kann ich mir selber einreden, wie toll ich bin. Es bleibt doch Selbstbeschwörung und Wunschdenken. Ich muss es mir sagen lassen, ich muss es mir gesagt sein lassen. Und die uns diese frohe Botschaft überbringen, sind Engel. Das heißt nämlich wörtlich: Gottes Boten. Solche Engel können Eltern und Geschwister sein, Lehrerinnen, Kollegen, Freundinnen, jeder und jede. Und manchmal blitzt es mitten im Herzen auf, und der Engel Gottes erscheint in Gestalt einer guten Absicht oder inneren Anregung.
Immer ist es sehr intim und persönlich, immer kommt neu etwas in Bewegung und zur Welt. Immer dürfen wir mit dieser Engelsbotschaft rechnen. Marias Herzenstür war jedenfalls offen, sie ließ den Engel so nahe herein, dass sie seine Botschaft hören konnte. Immer wenn ich das "Gegrüßet seist du Maria" bete, den "Engel des Herrn" oder den Rosenkranz, versetze ich mich an die Stelle Marias und mache die Tür auf wie sie. Und die Hoffnung ist begründet da, dass der Engel auch zu mir spricht.
Der Glaube kommt vom (Zu)hören
Wie kommt man zum christlichen Glauben? Indem man sich von Gottes Liebe ansprechen lässt und nicht mehr selbst das letzte Wort haben muss. "Der Glaube kommt vom Hören" (Röm 10,17), schrieb zutreffend schon der Apostel Paulus. Dazu braucht es Engelgestalten, die die Osterbotschaft bezeugen und vermitteln. Es lohnt das Nachdenken darüber, wo im eigenen Leben solche Engelgestalten vielleicht schon aufgetreten sind. Es lohnt sich, stets damit zu rechnen, dass mir solche Mittlergestalten begegnen. Aber bei Licht besehen, ist die Sache noch geheimnisvoller.
Denn "Gott kannst du nie mit einem anderen reden hören, sondern nur, wenn du der Angeredete bist." So notierte es der Philosoph Ludwig Wittgenstein. So wichtig die Engelgestalten sind, mindestens genauso wichtig ist die offene Herzenstür. Gott im eigenen Leben sprechen hören, ist das Intimste, was es gibt. Ja, ich persönlich bin angesprochen: "Begrüßt bist du!" Das Wort von draußen sucht Antwort drinnen. Und die möge schließlich zustimmend sein, so dass man sagen kann: Credo – Ich glaube. Oder eben wie Maria: "Mir geschehe nach deinem Wort."
Aber es kann auch anders gehen, und die Zweifel überwiegen, und Abwehr behält das letzte Wort, Ablehnung auch. Goethes Mephisto spricht irgendwie für uns alle: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Auch Maria fragt den Engel voller Zweifel: "Wie soll ich ein Kind kriegen, wenn ich keinen Mann habe?" Man darf und muss die Botschaft prüfen, man darf und muss mit Gott streiten und ihn fragend ins Gebet nehmen. Ist‘s nicht beim Ja der Liebe immer so?
Ohne Zweifel geht es nicht
Das Herz muss Gründe haben, damit wir uns wirklich einlassen, und dazu braucht es auch das kritische Nachdenken. "Glauben heißt Zweifel ertragen", sagte einmal der heilige Kardinal Newman. Und Karl Rahner, der erfahrene Theologe, schrieb: "Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang zu ertragen." Warum denn sonst sprechen wir von Trauung! Ja, einander trauen ist ein Wagnis und ein Abenteuer. Anfechtungen und Zweifel gehören dazu und immer wieder der Mut zum Ja. Credo.
Deshalb ist es ein guter Brauch, jedes Jahr in der Osternacht den Glauben an Gott ausdrücklich zu erneuern. Deshalb beten Christen ständig im Vaterunser: "Führe uns nicht in Versuchung", in die Versuchung nämlich, den Glauben an Gott zu verlieren und damit die österliche Kraft seiner Liebe. Ja, Mariä Verkündigung ist wirklich eine Urszene für das Geschenk des Glaubens!
Durch diese glaubende Frau, die sich traut, kommt er zur Welt. "Selig bist du, weil du geglaubt hast", sagt der Engel Gottes am Schluss zu Maria. Nicht ihr Fragen und Zweifeln behält das letzte Wort, nein, sie willigt ein: Maria ist der gottempfängliche Mensch. In Widerstand und Ergebung erklärt sie sich bereit, Gott zur Welt kommen zu lassen und Ihm den Weg zu bereiten.
"Und das Wort ist Fleisch geworden, und wohnt nun unter uns", wird es dann zu Weihnachten heißen. Heute, neun Monate zuvor, geht es um das Wunder des Anfangs. Wie zart und intim das alles beginnt mit diesem Jesus - und mit unserem Glauben! Wie sehr wir einander brauchen, bis das Gotteskind in uns groß wird und wir erwachsene gestandene Söhne und Töchter Gottes werden! Nicht zufällig ist von Gottes heiligem Geist die Rede, der alles wirkt.
Schon in der Bibel gilt Maria als Mutter der Glaubenden. In ihrer Haltung ist nicht nur zu lernen, wie man zum Glauben kommt. Es ist auch zu lernen, wie dieser Glaube fruchtbar wird. Es geht darum, gottempfänglich zu werden. Anders gesagt: jeder Mensch soll das werden, was er in Wahrheit schon ist: Gottes Geschöpf und Ebenbild, Gottes Sohn und Tochter. Immer fängt es dabei mit einem an: sich selbst das "Gegrüßt seist du" gesagt sein zu lassen und die Herzenstür zu öffnen. Was dann geschieht, ist vom Heiligen Geist. Und der tut gut.
Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.
Musik:
Ludovico Einaudi – Nuvole Bianche
Ludovico Einaudi – Dolce Droga
Ludovico Einaudi – Come Un Fiore
Ludovico Einaudi – Questa Volta
Ludovico Einaudi – Questa Volta
Ludovico Einaudi – Questa Volta