"Wie viele Divisionen hat der Papst?"
Diese spöttischen Worte werden dem sowjetischen Diktator Josef Stalin zugeschrieben. 1935 soll er sie gegenüber dem damaligen französischen Außenminister gesagt haben, um der katholischen Kirche und dem Papst jede außenpolitische Bedeutung abzusprechen. Es stimmt: Mit der kleinen Gruppe Soldaten der Schweizergarde kann der Papst seine Interessen nicht durchsetzen. Und doch verfügt er gerade auch in den internationalen Beziehungen über Macht.
Ein Blick in die jüngere Geschichte genügt: So wird Papst Johannes XXIII. eine wichtige Rolle bei der Entspannung der Kuba-Krise 1962 zugeschrieben, als die Sowjetunion und die USA kurz vor einem Atomkrieg standen. 2014 kamen dann unter Vermittlung des Vatikans wieder diplomatische Beziehungen zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten zustande. Im Jahr 1980 trug Johannes Paul II. wesentlich zur Beilegung eines Konfliktes zwischen Argentinien und Chile bei. Und eben jenem Johannes Paul II. wird auch eine entscheidende Rolle beim Fall des Eisernen Vorhangs zwischen Ost und West zugeschrieben.
Was für eine geheimnisvolle Form von Macht ist das, die ohne Panzer auskommt und trotzdem wirksam ist?
Diplomatie im Namen Gottes
Das Oberhaupt der katholischen Kirche ist der einzige Religionsführer mit einem eigenen diplomatischen Dienst. In 188 von 195 Ländern sind Diplomaten im Auftrag des Papstes präsent. Etwas Vergleichbares haben weder der Dalai Lama noch der Präsident des lutherischen Weltbundes und auch nicht der Großscheich der Al-Azhar in Kairo, den viele sunnitische Muslime als oberste religiöse Autorität anerkennen. Niemand von ihnen hat einen Botschafter in Washington, niemand von ihnen kann sich mit Staatsoberhäuptern auf protokollarischer Augenhöhe treffen.
Der Papst hat diese Möglichkeiten. Sein jeweiliger Botschafter wird Apostolischer Nuntius genannt. Der vertritt dabei jedoch nicht etwa den Zwergstaat im Herzen Roms, den Vatikanstaat, sondern den Heiligen Stuhl, also das Amt des Papstes. Der Heilige Stuhl gilt als eigenes, nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt. Schon im Jahr 1529 entstand die erste Apostolische Nuntiatur, also die erste permanente Botschaft des Heiligen Stuhls, und zwar in Wien.
Wenn es um die Durchsetzungsfähigkeit von Staaten geht, denkt man vor allem an die wirtschaftliche und militärische Macht eines Landes, seine hard power. Der berühmte preußische Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz schreibt 1832 in seinem Werk "Vom Kriege":
"Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen."
"Soft power" des Papstes: Überzeugen statt erzwingen
Der amerikanische Politikwissenschaftler Joseph Nye hat jedoch neben dem Zwang ein "zweites Gesicht der Macht" beschrieben. Er nennt diese andere Dimension soft power. Gemeint ist die Fähigkeit, andere "zur Erfüllung des eigenen Willens" zu bringen, ohne dabei militärischen oder ökonomischen Druck auszuüben, nach dem Motto: Überzeugen statt Erzwingen. Auch Weltmächte wie die USA üben ihren Einfluss nicht nur mithilfe von Wirtschaft und Waffen aus. Ihnen gelingt es, Menschen – und Regierungen – zu überzeugen: etwa von einer Art zu leben, einer Sicht auf die Welt oder von der Bedeutung bestimmter Werte.
Die Westbindung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise wurde auch auf diese Weise in den Köpfen und den Herzen der Deutschen verankert. Und auch heute können die Vereinigten Staaten politische Weichenstellungen und gesellschaftliche Entwicklungen in vielen Ländern beeinflussen, ohne unbedingt mit einem Flugzeugträger vor deren Küste kreuzen zu müssen.
Auch die Macht des Papstes besteht ausschließlich in seiner soft power, in seiner herausgehobenen Position in Überzeugungsfragen. Für Katholiken ist der Papst die höchste Lehrautorität und der oberste religiöse Gesetzgeber. Viele der 1,3 Milliarden Katholiken auf der Welt akzeptieren diese Autorität auch.
Schmeicheln und beschämen: Die Worte des Papstes haben Gewicht
Wenn Papst Franziskus, wie 2018 geschehen, die Todesstrafe für moralisch unzulässig erklären lässt, dann hat eine solche Entscheidung auch eine hohe politische Relevanz. Im Jahr 2022 sagte der Papst:
"Ich rufe alle Menschen guten Willens auf, sich weltweit für die Abschaffung der Todesstrafe einzusetzen. Wir beten, dass die Todesstrafe in allen Ländern gesetzlich abgeschafft werde, weil sie die Würde jeder menschlichen Person verletzt."
Der Papst nimmt Einfluss auf die globale öffentliche Meinung und auf politische Entscheidungsprozesse. Auch für zahlreiche Nichtkatholiken hat sein Wort Gewicht. Er kann keinen Staat der Welt zwingen, die Todesstrafe abzuschaffen. Aber er kann seine soft power nutzen, um immer wieder an sein Anliegen zu erinnern. Der US-Politikwissenschaftler Timothy Byrnes, der sich mit der Bedeutung der Religion in den internationalen Beziehungen beschäftigt, schreibt dazu:
"Es vergeht kaum eine Woche, in der Franziskus nicht die Attraktivität seines Charismas und seine religiöse Autorität nutzt, um mündlich, schriftlich oder durch Gesten die Inhaber der hard power vorsichtig anzurempeln, ihnen zu schmeicheln – oder sie zu beschämen, um ihre Politik und Handlungen in eine Richtung zu lenken, die seiner Auffassung von Menschenwürde und Gemeinschaft entspricht."
Vatikanische Außenpolitik ist das Gemeinwohl
Mächte die die USA, China oder Russland verwenden die Instrumente der soft power, um auf der internationalen Bühne ihre Interessen durchzusetzen. Manchmal ist das ein regelrechter Krieg ohne Waffen. Militärtheoretiker sprechen vom information warfare – gemeint ist der Kampf um die Deutungshoheit in internationalen Konflikten.
Aber welche Interessen verfolgt die katholische Kirche in diesem globalen Spiel der Kräfte?
Im Jahr 2015 hielt Kardinal Pietro Parolin, seit 2013 Kardinalstaatssekretär und damit oberster Diplomat des Heiligen Stuhls, eine Grundsatzvorlesung an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Damals sagte er:
"Die Diplomatie des Heiligen Stuhls (…) ist aufgerufen, zu handeln, um das Zusammenleben und die Koexistenz zwischen den verschiedenen Nationen zu erleichtern, um die Brüderlichkeit zwischen den Völkern zu fördern, wobei der Begriff Brüderlichkeit gleichbedeutend ist (…) mit einer echten, übereinstimmenden und geordneten Kooperation, mit einer Solidarität, die zum Nutzen des Gemeinwohls und des Einzelnen gestaltet ist."
Dieses Zitat stellt das Selbstverständnis der Außenpolitik des Papstes also klar heraus: Nie geht es um Einzelinteressen. Immer gilt das Engagement dem Gemeinwohl, der Kooperation zwischen den Völkern. Der Heilige Stuhl sieht sich also im Dienst des allgemeinen Wohlergehens.
Ukraine-Krieg: Keine Hetze gegen Russland
Das ist der Grund, warum sich die Kirche in internationalen Konflikten oft nur sehr vorsichtig positioniert. Dafür muss sie immer wieder Kritik einstecken. Im Ukraine-Krieg vermeidet Papst Franziskus es sorgfältig, Russland als Aggressor zu benennen. Im vergangenen Jahr versuchte der Papst, den Heiligen Stuhl als Vermittler ins Spiel zu bringen. Er schickte den italienischen Kardinal Matteo Zuppi als Sonderbeauftragten nach Kiew und Moskau, nach Washington und Peking.
Franziskus sucht auch den Kontakt zur Russisch-Orthodoxen Kirche. Pläne für ein Treffen mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill in Jerusalem im Sommer 2022 zerschlugen sich jedoch.
Die Osteuropa-Expertin Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa und internationale Studien in Berlin kritisiert den Vatikan immer wieder dafür, die Nähe Moskaus zu suchen und nicht eindeutiger zugunsten der Ukraine Stellung zu beziehen. In einem Interview gegenüber dem Kölner "Domradio" sagte sie:
"Der Vatikan hat sehr, sehr lange und eben auch sehr gute Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche. (…) Natürlich wäre das grundsätzlich eine gute Ausgangsposition, um dieser Seite auch klarzumachen, (…) wie man diesen Krieg beurteilt. Aber es fehlt (…) ein gleichzeitig genauso gutes Verhältnis zu den Gesprächspartnern in der Ukraine. Man sieht eben überhaupt nicht genauso intensive Gesprächstätigkeiten mit Personen der Kirchen (…) in der Ukraine."
Andere Beobachter, wie der Kirchenhistoriker Jörg Ernesti, der ein Buch über die vatikanische Außenpolitik geschrieben hat, verteidigen dagegen den Ansatz:
"Diese Vorgehensweise hat im Vatikan Tradition. Würde man eine der Kriegsparteien verurteilen, wäre an eine Friedensvermittlung nicht mehr zu denken. Ich persönlich bin überzeugt, dass der Papst hier nicht die Türen zuschlagen möchte."
Kritik an päpstlicher Unparteilichkeit im Gaza-Krieg
Auch nach dem Angriff der Hamas auf Israel vermied es der Papst, eindeutig Stellung zu beziehen. Ende November 2023 traf sich Franziskus mit einer Gruppe von Israelis und Palästinensern im Vatikan und sagte anschließend:
"Sie leiden so sehr, und ich habe gehört, wie sie beide leiden. Kriege verursachen das. Aber hier sind wir über Kriege hinausgegangen; das ist keine Kriegsführung, das ist Terrorismus."
In der Formulierung des Papstes bleibt offen, ob er beide Konfliktparteien meinte, oder nur eine. Der Rat der italienischen Rabbinerversammlung kritisierte die Äußerung darum: Hier würden "im Namen einer vermeintlichen Unparteilichkeit der Aggressor und die Angegriffenen auf eine Stufe gestellt".
Doch die "Unparteilichkeit" hat Methode. Der Heilige Stuhl will immer alle Gesprächskanäle offenhalten. Und dazu kommt: Auf jeder Seite eines Krieges leben Katholiken. Auch in Gaza gibt es eine kleine katholische Gemeinde. Nicht auszuschließen, dass sich eine eindeutigere Parteinahme des Papstes für Israel auf deren Situation entscheidend auswirken würde.
Diplomatie für das Gemeinwohl und eigene Interessen
Von dem meisten, was auf diplomatischen Kanälen besprochen wird, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Der Vatikan legt größten Wert auf Diskretion. Im Oktober 2018 ist ein Abkommen zwischen dem Vatikan und der Volksrepublik China in Kraft getreten. Sein genauer Wortlaut ist bis heute geheim. Und das Abkommen hat innerhalb der katholischen Kirche für große Kritik gesorgt. Es regelt die Ernennung von katholischen Bischöfen in China. Seitdem bestimmt der Heilige Stuhl gemeinsam mit chinesischen Behörden, wer in China Bischof wird. Die chinesische katholische Untergrundkirche, die sich jahrzehntelang gegen den staatlichen Einfluss gestemmt hatte, fühlte sich von Rom verraten.
Doch dieses Beispiel zeigt: Bei aller Gemeinwohlorientierung verfolgt der Heilige Stuhl sehr wohl auch eigene Interessen. Im konkreten Fall ging es darum, Einfluss auf eine Ortskirche zurückzugewinnen, die unter dem Druck der kommunistischen Diktatur zu zerfallen drohte: in einen staatlich kontrollierten und einen im Untergrund agierenden Teil. Man glaubte, im konkreten Fall durch Kompromissbereitschaft und Realpolitik mehr erreichen zu können als durch das Beharren auf Prinzipien.
Die katholische Kirche gilt als Institution, die an ehernen Prinzipien festhält. In ihrem diplomatischen Vorgehen erweist sie sich aber als äußerst flexibel und pragmatisch – ganz im Sinne des erklärten Ziels, mit den eigenen, begrenzten Möglichkeiten zum globalen Gemeinwohl beizutragen, so wie man es im Vatikan versteht.
Manchmal scheitern die Bemühungen Roms aber auch. Trotz großen Engagements blieben die Friedensbemühungen von Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg erfolglos. Doch alleine aufgrund seines Einsatzes wird er noch heute als "Friedenspapst" bezeichnet. Auch Johannes Paul dem Zweiten gelang es mit seinen diplomatischen Bemühungen und seinem vehementen öffentlichen Einspruch im Jahr 2003 nicht, den Irakkrieg zu verhindern. Der Vatikan befürchtete damals "eine weitere Instabilität in der Region und eine neue Kluft zwischen Islam und Christentum". Er sollte Recht behalten.
Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.
Musik:
Kathryn & Kim Allen Kluge – Secret Sacrament
Kathryn & Kim Allen Kluge – Whispers In The Dark
Philip Glass – Facades
Kathryn & Kim Allen Kluge – Dreams and Echoes
Ennio Morricone – Carlotta