"Es gibt keine Sache in der ganzen Welt, die der Friedensbewegung an Größe gleichkommt. Wenn ich auch ganz gut weiß, dass neun Zehntel der gebildeten Welt die Bewegung noch geringschätzen und ignorieren – und eines dieser Zehntel sie sogar anfeindet – das tut nichts – ich appelliere an die Zukunft. Das 20. Jahrhundert wird nicht zu Ende gehen, ohne dass die menschliche Gesellschaft die größte Geißel – den Krieg – als legale Institution abgeschüttelt haben wird."
So äußerte sich Bertha von Suttner in ihren Memoiren über ihren Kampf für den Frieden. Recht spät erst hatte sich die österreichische Schriftstellerin dieser Aufgabe verschrieben. Sie war 49 Jahre alt, als ihr Antikriegs-Roman „Die Waffen nieder!“ erschien. Darin schildert sie das Leben der Gräfin Dotzky, die vier Kriege erlebt, in denen sie ihren Mann und ihre Geschwister verliert. Daraufhin verändert sich die Gräfin, von einer zunächst obrigkeitsgläubigen Person hin zu einer überzeugten Pazifistin. Das Buch befeuerte die Friedensbewegung, vor allem wegen der Szenen in den Feldlazaretten, deren Grauenhaftigkeit sie darin eindrücklich schilderte.
Bertha von Suttner und ihr Umfeld waren nie direkt vom Krieg betroffen und keiner ihrer Verwandten oder Freunde kam je in kriegerischen Handlungen ums Leben. Ihre Abscheu vor dem Krieg an sich, so sagte sie einst, habe sich vor allem durch Lektüre gebildet. Dabei spielten vor allem Bücher eine Rolle, die unter dem Einfluss der Darwin’schen Evolutionstheorie einen beständigen Fortschritt im Lauf der Geschichte und eine Verfeinerung der Sitten der menschlichen Gesellschaft behaupteten. Davon war Bertha von Suttner zutiefst überzeugt. Deshalb trat sie so entschieden dem Krieg entgegen, dem durch ihn verursachten Elend und der einhergehenden Verrohung. Unermüdlich warnte sie vor den Schrecken eines Weltkrieges. Ein Jahr vor dem Ausbruch des ersten schrieb sie in ihr Tagebuch:
"Die europäische Situation wird immer ärger. Und ich finde das richtige Wort nicht, das ich so gerne in diesen Niagaramordslärm hineinschreien möchte. Im Ganzen scheint es mir doch, dass sich der große europäische Kladderadatsch vorbereitet. Wie soll so viel gesätes Unkraut nicht aufsprießen, so viel aufgehäuftes Pulver nicht explodieren? Trägheit, Gleichgültigkeit, dumpfes Geschehenlassen sind die Komplizen des Eifers, den die Bösen und Dummen entfalten."
Für Bertha von Suttners Weg zur Friedensaktivistin war ihre Begegnung mit Alfred Nobel entscheidend. 1876 war sie für wenige Tagen dessen Privatsekretärin. Der hochgebildete, polyglotte Chemiker Alfred Nobel war durch die Erfindung des Dynamits zu einem der reichsten Männer seiner Zeit geworden. Bislang nicht mögliche Großprojekte für Verkehrs- und Handelswege wie der Panamakanal oder der Gotthard-Tunnel wurden dadurch möglich. Aber derselbe Stoff konnte auch für weniger friedliche Vorhaben eingesetzt werden. Nobel erklärte Bertha von Suttner:
"Ich möchte einen Stoff oder eine Maschine schaffen können von so fürchterlicher, massenhaft verheerender Wirkung, dass dadurch Kriege überhaupt unmöglich würden."
Nobel hatte sich mit pazifistischen Ideen befasst und wollte seine Sprengstoff-Erfindungen in den Dienst der Friedenssicherung stellen. Er setzte also auf das Prinzip Abschreckung. Zugleich war er ein glühender Verfechter des Fortschrittsgedankens. Er glaubte an eine zunehmende Veredelung der menschlichen Gesellschaft. Frieden war dafür die Grundbedingung, die es zu erringen galt. Wie Bertha von Suttner in Erinnerung an Alfred Nobel 1897 schrieb, müssten dazu beitragen:
"Auf der einen Seite die Verscheuchung menschlicher Dummheit und Roheit durch Kunst und Wissen; die Überwindung des Elends durch die Fortschritte der Gutes-schaffenden Technik; und auf der anderen Seite die Ad-absurdum-Führung des Krieges durch seine eigene höllische Entfaltung."
Frieden und Fortschritt in sozialer, kultureller und moralischer Hinsicht - diese beiden Impulse erhielt Bertha von Suttner wesentlich von Alfred Nobel. Sieben Jahre nach ihrer Begegnung schrieb ein Buch, das ihre weltanschaulichen Grundsätze vorstellte. Sein Titel: „Inventarium einer Seele“. Darin schilderte sie ihre Vision eines Siegeszuges der Humanität gegen die Barbarei:
"Ein allmähliches Ausrotten der Kriegführenden Stämme durch friedliebende Nationen; ein Aussterben des Völkerhasses durch Umsichgreifen kosmopolitischer Ideen; ein Abnehmen der militärischen Ehren angesichts des wachsenden Ruhmes des Wissens und der Künste; ein sich immer enger verbrüdernder Bund der Weltinteressen gegenüber den kleinlichen, verschwindenden Sonderinteressen; und auf diese Art kann und wird durch den gesetzmäßigen ewigen Kampf der Preis des ewigen Friedens errungen werden."
Bertha von Suttner stammte als Gräfin Kinsky aus einem alten böhmischen Adelsgeschlecht mit militärischer Tradition. Ihr Vater war General, er starb vor ihrer Geburt. Die Mutter, eine Bürgerliche, verspielte ihr ererbtes Geld in Spielbanken bei Sommeraufenthalten in Homburg und Wiesbaden. Dort nahm Bertha an den Vergnügungen der besseren Gesellschaft teil. Was in der Welt geschah, interessierte sie nicht, auch nicht, wenn es die eigene Heimat betraf. Als 1859 ihr Heimatland Österreich im Krieg in blutigen Schlachten gegen Franzosen und Sardinier unterlag, ließ sie sich in Wiesbaden davon nicht berühren. In ihren Memoiren schrieb sie:
"Das Ereignis war mir damals so gleichgültig, so wenig vorhanden, wie es mir heute gleichgültig wäre zu erfahren, dass in einer westindischen Insel, deren Namen ich nie gehört hatte, ein Vulkan ausgebrochen sei. Ein Elementarereignis in großer Entfernung - das war mir der Krieg in Italien."
Wichtiger war es, einen Bräutigam zu finden. Das blieb lange erfolglos. Mit 30 Jahren wurde Bertha von Kinsky Gouvernante bei dem Guts- und Steinbruchbesitzer Karl Freiherr von Suttner. Weil sie Italienisch, Französisch und Englisch beherrschte und auch musikalisch gebildet war, unterrichte sie die vier Töchter des Freiherrn auf diesen Gebieten. Und verliebte sich in seinen Sohn Arthur, der sieben Jahre jünger war als Bertha. Als das herauskam, musste sie gehen. Doch den Kontakt hielt sie aufrecht. Die Stelle als Sekretärin bei Alfred Nobel gab sie für ihre Liebe auf, heiratete Arthur von Suttner und zog mit ihrem daraufhin enterbten Mann nach Georgien. Dort lebten sie acht Jahre. Sie schlugen sich mit verschiedensten Arbeiten durch, schrieben Romane und Reportagen. In dieser Zeit reifte bei Bertha von Suttner das politische Bewusstsein und ihre ablehnende Haltung zum Krieg. Zuwider war ihr, dass Menschen gegen Menschen kämpften aufgrund politischer Vorgaben und zum Vorteil ihrer jeweiligen Länder, statt sich gegenseitig als Brüder und Schwestern der Menschheitsfamilie anzusehen. 1889, vier Jahre nach ihrer Rückkehr nach Wien, erschien dann ihr Roman „Die Waffen nieder!“, mit erschütternden Szenen wie dieser:
"Auf den Straßen, zwischen den Feldern, in den Gräben, hinter Mauertrümmern; überall, überall Tote. Geplündert, mitunter nackt. Ebenso die Verwundeten. Diese, die trotz der nächtlichen Arbeit der Sanitätsmannschaften noch immer in großer Zahl umherliegen, sehen fahl und zerstört aus, grün und gelb, mit stierem, stumpfsinnigem Blick; oder aber unter wütenden Schmerzen sich krümmend, flehen sie jeden an, der in die Nähe kommt, dass er sie töte. Schwärme von Aaskrähen lassen sich auf die Wipfel der Bäume nieder und verkünden mit lautem Gekrächz das lockende Festmahl. Hungrige Hunde aus den Dörfern kommen herbeigerannt und lecken das Blut der Wunden."
Um solche Szenen schreiben zu können, hatte die inzwischen politisch interessierte Schriftstellerin intensiv recherchiert, Berichte gelesen, Zeitzeugen zu ihren Kriegserlebnissen befragt. Das Buch schlug ein und machte Bertha von Suttner umgehend zur Leitfigur der Friedensbewegung. Mit 46 Jahren hatte sie nun ihre Lebensaufgabe gefunden. Als erstes strebte sie die Gründung einer österreichischen Friedensgesellschaft als Zweig der internationalen Gesellschaft in London an. In ihrem Gründungsaufruf hieß es:
"Wäre es nicht einfacher, freiwillig und übereinstimmend die Lunten wegzutun; mit anderen Worten: abzurüsten? Den internationalen Rechtszustand einzusetzen und den Bund der zivilisierten Staaten Europas zu gründen?"
Nach Gründung der österreichischen Friedensgesellschaft sorgte Bertha von Suttner weiter für die Ausbreitung der Friedensbewegung: durch Vorträge, Artikel, das Organisieren von Kongressen in Europa und den USA; durch Knüpfen von Netzwerken und das Beschaffen von Geld. Getragen von ihrem Fortschrittsglauben, dass sich Entwicklung immer gegen die Erstarrung von Konventionen richtet. Mit dem Festhalten an überholten Verhaltensweisen war sie oft konfrontiert und kämpfte dagegen. Ihre Mitstreiter suchte Bertha von Suttner neben Schriftstellern, Wissenschaftlern und Politikern vor allem unter den Staatsoberhäuptern. Besondere Hoffnung setzte sie auf Zar Nikolaus II. Dessen Friedensmanifest vom August 1898 gab den Anstoß zur ersten Haager Friedenskonferenz ein Jahr darauf, zu der neben den europäischen Staaten die USA, Mexiko, Japan, Siam und China Vertreter entsandten. Es war der erste Versuch der Staatengemeinschaft, den Krieg als Institution abzuschaffen! Eine Konvention zur friedlichen Schlichtung internationaler Konflikte wurde unterzeichnet. Bestimmte Waffen wurden verboten, darunter Kampfgas und der Abwurf von Bomben aus Ballons. Als gut zehn Jahre darauf Italien 1911 im Tripolitanienkrieg Bomben aus Flugzeugen abwerfen ließ, mahnte Bertha von Suttner:
"Humanisieren lässt sich bei den heutigen und morgigen Kriegsmitteln der Krieg nicht mehr; vergebens ist es, ihn den Gesetzen der steigenden Kultur und der erwachenden Menschlichkeit anpassen zu wollen; nur zweierlei ist möglich: dass die Zivilisation den Krieg vernichtet, oder dass im Zukunftskrieg die Zivilisation zugrunde geht."
Dagegen kämpfte Bertha von Suttner beinah aktionistisch. Und wurde deshalb auch von Unterstützern kritisiert. Selbst von Alfred Nobel, der die Friedensbewegung sein Leben lang finanziell großzügig förderte. Den von ihm gestifteten Friedensnobelpreis hatte Bertha von Suttner bereits 1905 als erste Frau und siebenter Preisträger überhaupt erhalten. Bis zur Erschöpfung rang sie um den Frieden, vergeblich – heute auf den Tag vor 110 Jahren brach der Erste Weltkrieg aus, der sich angekündigt hatte und mit dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajevo nicht mehr zu verhindern schien. Müde und wohl auch resigniert erlag sie einem Krebsleiden – sieben Tage vor dem Attentat. Vor dem drohenden Krieg hatte sie immerfort gewarnt.
"Die Menschen begreifen nicht, was vorgeht! Warum tut ihr nichts, ihr jungen Leute? Euch geht es vor allem an! Wehrt euch doch, schließt euch zusammen! Lasst nicht immer alles uns paar alte Frauen tun, auf die niemand hört."
Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden
Musik:
Gustav Mahler – 9. Symphonie, III. Rondo-Burleske
Gustav Mahler – "Revelge" aus "Des Knaben Wunderhorn"
Witold Lutosławski, aus: Konzert für Orchester, 1. Satz