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Das Evangelium des Kleinen Prinzen. Zum 125. Geburtstag von Antoine de Saint-Exupéry

Am Sonntagmorgen, 29.06.2025

Michael Kinnen, Berlin

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Es gehört zu den meistübersetzten und -verkauften Büchern der Welt. In über 500 Sprachen kann man es inzwischen lesen, über 200 Millionen Mal wurde das Buch verkauft: "Der kleine Prinz" – von Antoine de Saint-Exupéry. Geschrieben im Kriegsjahr 1943. Es ist die fantastische Geschichte eines Bruch-Piloten und seiner Begegnung mit einem rätselhaften Freund in der Wüste. Eine Parabel, die von Suche und Sehnsucht, Freude und Freundschaft, von Sorge und Fürsorge erzählt: Die Geschichte vom Kleinen Prinzen von einem anderen Planeten, der auf seiner Reise vielen Großen, Erwachsenen und scheinbar Vernünftigen begegnet – und dabei doch den kindlichen Blick bewahrt. Diese Geschichte berührt seit Jahrzehnten die Herzen von Jung und Alt.

Heute vor 125 Jahren kam der Autor dieses Buches auf die Welt. An seinem Geburtshaus in Lyon im Südosten Frankreichs ist über der Tür eine schlichte steinerne Inschrift zu finden: "Ici est né Antoine de Saint-Exupéry". Hier wurde er geboren. Dazu das Datum: "29. Juni 1900". Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein Denkmal. Auf einer Steinsäule sitzt Saint-Exupéry in Fliegermontur. Der Kleine Prinz, seine Figur, der Junge, steht hinter ihm und legt ihm die Hand auf die Schulter; vertraut, liebevoll. Dazu am Sockel ein französisches Zitat aus diesem Werk, das wohl bekannteste Zitat. Übersetzt heißt es:

"Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."

Ein Satz, der so viel Lebensweisheit enthält, dass er in unzähligen Kalendersprüchen, bei Gratulationen und nicht zuletzt bei Hochzeiten und Taufen, bei Predigten und in Gottesdiensten immer wieder gerne genommen wird. Er fasst zusammen, was Menschen an diesem modernen Märchen so fasziniert; was sie als Frohe Botschaft für sich mitnehmen. Es ist die Frohe Botschaft, wortwörtlich "das Evangelium" des Kleinen Prinzen.

"Das Evangelium des Kleinen Prinzen". So hat die Autorin Birgitta Salzmann ein Buch betitelt, in dem sie die Spiritualität von Antoine de Saint-Exupéry beschreibt. Salzmann hat Französisch studiert, kam so mit den Originaltexten in Berührung. Und war fasziniert davon, wie so viele weltweit. Vor allem von dem kindlichen Blick. Das Unverstellte und Unmittelbare. Der kindliche Blick des Herzens eben – das ist es, was sie bei Saint-Exupéry wahrnimmt und wovon ein Erwachsener noch viel lernen kann, wie sie sagt:

"Ja, vielleicht, dass man sich mehr traut, auch seine kindliche Seite weiter zu pflegen. Dass man ja zwar auch der Erwachsene ist, der sein muss, der funktioniert, der, wie es in dem Buch heißt, immer an Zahlen glaubt sozusagen. Also der immer alles wissen muss. Wie groß ist ein Mensch, wie alt ist ein Mensch – aber nicht: Kann er Gitarre spielen? Kann er Bilder malen? Diese Dinge sind ja eigentlich wirklich wichtig, um einen Menschen kennenzulernen. Und da habe ich mir auch gedacht, das muss ich einfach mehr beachten. Ich muss mich mehr wirklich wie ein kleines Kind benehmen, in dem Sinne, dass ich werde wie ein Kind, wie es auch in der Bibel heißt."

Im Matthäusevangelium sagt Jesus: Nur derjenige kann in das himmlische Reich kommen, der sich ändert und wird wie die Kinder: Unvoreingenommen. Offen. Herzlich. So wie der Kleine Prinz. Ohnehin hat Birgitta Salzmann viele religiöse Anklänge in dem Buch gefunden. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass Antoine de Saint-Exupéry selbst religiöse Wurzeln hat; als Kind war er in katholischen Schulen, seine Mutter war tiefgläubig, wie es heißt. Und die Frage nach dem Sinn des Lebens hat ihn zeitlebens beschäftigt. Das zeigt sich auch immer wieder in dem Buch – etwa bei dessen Begegnung mit dem Fuchs.

"Bitte... zähme mich!", sagte [der Fuchs]. "Ich möchte wohl", antwortete der kleine Prinz, "aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennenlernen." "Man kennt nur die Dinge, die man zähmt", sagte der Fuchs. "Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!" [1]

Wie das geht, das mit dem "Zähmen", erklärt der Fuchs dem kleinen Prinzen auch: Man braucht Geduld, um sich Schritt für Schritt anzunähern, sich vertraut zu machen; vom Fremden zum Freund zu werden. Das ist der Preis – aber auch das Ziel. Das gilt für Beziehungen wie für das Leben insgesamt: Sich schrittweise dem Sinn nähern. Da gibt es Rückschritte und Rückschläge. Die Möglichkeit zu scheitern gehört dazu. Aber auch das Vertrauen, dass es am Ende gut wird. Für Birgitta Salzmann ist es eine tiefreligiöse Einsicht, die "St.-Ex.", wie Antoine de Saint-Exupéry auch kurz genannt wird, hier mit einfachen Worten ausdrückt. Jemanden an der Seite zu haben, der einen nie allein lässt. So wie Gott es den Menschen zusagt. Vielleicht steckt da auch die Suche nach Trost dahinter – und zwar in allem, was das Leben an Höhen und Tiefen bereithält.

"Naja gut, bei mir ist auch nicht immer alles gelungen, das ist ja ganz klar. Eigentlich bin ich sehr oft gescheitert, aber im Rückblick sieht es dann doch wieder ganz gut aus. Es sieht nach außen hin immer besser aus, als man das selbst empfindet. Vielleicht ist es bei St.-Ex auch so. Er ist ja eigentlich ein Gescheiterter, aber heute wird er als großer Philosoph und Schriftsteller gesehen. Also, das ist das menschliche Leben."

Der Erfolgsautor, ein Gescheiterter? Wer sich mit der Biografie von Antoine de Saint-Exupéry beschäftigt, der findet auch Brüche, findet Scheitern. Für seinen großen Traum, Pilot zu werden, braucht er mehrere Anläufe; an der Militärschule fällt er ausgerechnet im Fach Literatur mehrfach durch; sein Architekturstudium endet ohne Abschluss. Auch privat gibt es Schicksalsschläge: Sein Vater stirbt, als er gerade drei ist; ein Bruder stirbt, als er im Abitur steckt. Er selbst wird schwer depressiv. Und doch hat "St.-Ex." nicht zuletzt mit dem Kleinen Prinzen ein Buch hinterlassen, das für viele einen Schatz der Hoffnung und des Trostes bietet. Nicht perfekt zu sein – und sich doch von einem liebenden Gegenüber angenommen und getragen zu fühlen – einfach göttlich.  

"Ja, man kann sich im Kleinen Prinzen wirklich selbst erkennen und auch seine negativen Seiten annehmen. Deshalb auch so gut, weil das immer mit einem Lächeln geschieht, weil da auch immer Humor dabei ist in diesem Buch. Praktisch Zärtlichkeit und Selbstironie. Das ist etwas, was man dann entdecken kann."
"Guten Tag", sagte der kleine Prinz. "Guten Tag", sagte der Weichensteller. "Was machst du da?", sagte der kleine Prinz. "Ich sortiere die Reisenden nach Tausenderpaketen", sagte der Weichensteller. "Ich schicke die Züge, die sie fortbringen, bald nach rechts, bald nach links." Und ein lichterfunkelnder Schnellzug, grollend wie der Donner, machte das Weichenstellerhäuschen erzittern. "Sie haben es sehr eilig", sagte der kleine Prinz. "Wohin wollen sie?" "Der Mann von der Lokomotive weiß es selbst nicht", sagte der Weichensteller. Und ein zweiter blitzender Schnellzug donnerte vorbei, in entgegengesetzter Richtung. (...) "Waren sie nicht zufrieden dort, wo sie waren?" "Man ist nie zufrieden dort, wo man ist", sagte der Weichensteller. Und es rollte der Donner eines dritten funkelnden Schnellzuges vorbei. [2]

Ein Abschnitt aus dem Buch "Der Kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry. Er erzählt von einer uralten Menschheitserfahrung. Religiös gesprochen ist es die Unruhe des Herzens auf der Sinnsuche des Lebens, die da ausgedrückt wird. "Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, Gott", sagt der Heilige Augustinus. Bei Saint-Exupéry klingt das so:

"Die Leute", sagte der kleine Prinz, "schieben sich in die Schnellzüge, aber sie wissen gar nicht, wohin sie fahren wollen. Nachher regen sie sich auf und drehen sich im Kreis ..." Und er fügte hinzu: "Das ist nicht der Mühe wert ..." [3]

Worauf kommt es an im Leben, was lohnt die Mühe, den Aufwand, den Weg? "Der kleine Prinz" ist kein religiöses Buch und doch hat dieses Buch viele indirekte religiöse Bezüge. Etwa, wenn es um die Sehnsucht der Seele nach innerem Frieden geht – oder wieder religiös ausgedrückt, wenn es um das Lebendige Wasser aus der Quelle des Lebens geht, die der gläubige Mensch bei Gott sucht. Saint-Exupéry formuliert das als Ich-Erzähler im Dialog mit dem Kleinen Prinzen so:

"Ich habe Durst nach diesem Wasser", sagte der kleine Prinz, "gib mir zu trinken ..." Und ich verstand, was er gesucht hatte. Ich hob den Kübel an seine Lippen. Er trank mit geschlossenen Augen. Das war süß wie ein Fest. Dieses Wasser war etwas ganz anderes als ein Trunk. Es war entsprungen aus dem Marsch unter den Sternen, aus dem Gesang der Winde, aus der Mühe meiner Arme. Es war gut fürs Herz, wie ein Geschenk. Genau so machten, als ich ein Knabe war, die Lichter des Christbaums, die Musik der Weihnachtsmette, die Sanftmut des Lächelns den eigentlichen Glanz der Geschenke aus, die ich erhielt. [4]

Freundschaft, Sehnsucht, Trost, Leben in Fülle. Ur-Menschliche Themen. Offen für das Transzendente, für das Göttliche. Das moderne Märchen vom Kleinen Prinzen ist eine Frohe Botschaft im Wortsinn, sagt Birgitta Salzmann:

"Ja, die frohe Botschaft besteht vielleicht auch darin, dass man sich klarmacht, dass der Mensch immer ein Suchender ist und dass ihn das eigentlich auch glücklich macht. Dass es normal ist, sozusagen, immer nach dem Sinn zu suchen. Das ist kein Fehler, kein Defizit, sondern das ist die Erfüllung. Das bringt die Erfüllung."

Auch wenn jedes Märchen natürlich eine "Moral von der Geschicht" hat: Ein formaler Moralismus gar im religiösen Sinn lag Saint-Exupéry in seiner Erzählung vom Kleinen Prinzen wohl fern. Vielleicht ist gerade das auch so faszinierend daran, vermutet Birgitta Salzmann:

"Ja. Das Faszinosum des Kleinen Prinzen ist ja auch, dass jeder darin was lesen kann, eine frohe Botschaft für sich selbst entdecken kann. Also ein Evangelium praktisch. Das wollte Exupéry wohl auch, dass jeder verschiedene Ansatzpunkte hat, verschiedene Ebenen. Und es wäre auch eigentlich nicht so schön, wenn da einfach eine feste Botschaft vorgegeben wäre, die jeder dann annehmen muss. Jeder Mensch ist anders und jeder kann für sich die Wahrheit entdecken in dem Buch."

Eine Wahrheit, die nicht verordnet wird, sondern die jeder und jede für sich in seinem und ihrem Leben finden kann, die den Himmel offen hält und die direkt zu Gott führt. Eine Wahrheit, die frei macht, wie es Jesus im Johannesevangelium sagt. Eine rundum Frohe Botschaft, ein Evangelium eben: Das Evangelium des Kleinen Prinzen. Zusammengefasst in dem berühmt gewordenen Dialog des Kleinen Prinzen mit seinem Freund, dem Fuchs.

"Adieu", sagte er. "Adieu", sagte der Fuchs. "Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." "Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar", wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken. [5]

Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.

Musik:

Hans Zimmer & Richard Harvey – Draw Me A Sheep (Le Petit Prince)

Hans Zimmer & Richard Harvey – Preparation (Le Petit Prince)

Hans Zimmer & Richard Harvey – Draw Me A Sheep (Le Petit Prince)

Hans Zimmer & Richard Harvey – Preparation (Le Petit Prince)

Hans Zimmer & Richard Harvey – Preparation (Le Petit Prince)


[1] A. de Saint-Exupéry, Der Kleine Prinz, Verlag Karl Rauch, Düsseldorf 1956/Neuauflage 1984, S.50

[2] Ebd., S. 53f.

[3] Ebd., S. 57.

[4] Ebd., S.58 – "Winde" meint hier die Rolle/Seilwinde des Ziehbrunnens – frühere Übersetzung des französischen Originals "le chant de la poulie": "... aus dem Gesang der Rolle ..."

[5] Ebd., S. 53

Über den Autor Michael Kinnen

Michael Kinnen, Jahrgang 1977, studierte Theologie in Trier, Frankfurt und Mainz. Er absolvierte die studienbegleitende Journalistenausbildung an der katholischen Journalistenschule in München und ist seit 1998 für verschiedene Programme der Kirche im Radio "auf Sendung". Zum Thema "Gott in Einsdreißig - Fides et 'Radio'" promovierte er an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt zum Verkündigungsauftrag der Katholischen Kirche im Privatfunk. Berufliche Stationen führten ihn von Mainz über Berlin nach Trier. Michael Kinnen ist verheiratet und Vater einer Tochter.

Kontakt: info@radiopredigt.de