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"Sei wahrhaftig in deinem Handeln." Zum 90. Todestag von Erich Klausener

Am Sonntagmorgen, 30.06.2024

Martin Korden, Bonn

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Heute vor 90 Jahren – am 30. Juni 1934 – kam es zu den Ereignissen, die in der Deutschen Geschichte vor allem mit dem Begriff "Röhm-Putsch" verbunden werden. An nur drei Tagen begingen die Nazis dabei an die 200 Morde. Die Opfer: parteiinterne Rebellen, vor allem Mitglieder der für Hitler unbequem gewordenen SA. Deren Chef Ernst Röhm hätte einen Putsch geplant, hieß es hinterher. Eine Lüge. Hitler brauchte einen Vorwand für die brutale Aktion. Auf der Todesliste der Nazis standen dabei nicht nur Röhm und Angehörige der SA sondern auch Personen aus Politik und Gesellschaft, die den Nazis offensichtlich im Weg standen. Dazu gehörten auch Vertreter der Katholischen Kirche. An einen soll in dieser Sendung erinnert werden: an Erich Klausener. Er war der Leiter der so genannten Katholischen Aktion in Berlin und Ministerialdirektor im Preußischen Innenministerium.

Dort trifft am frühen Nachmittag des 30. Juni ein, ein Kommando der Gestapo zwei Mann betreten sofort Klauseners Dienstzimmer, teilen dem 49jährigen mit, dass er verhaftet sei. Als Klausener daraufhin zum Kleiderständer geht, um seinen Hut zu holen, erschießt ihn SS-Mann Kurt Gildisch hinterrücks.

Unmittelbar danach nutzt Gildisch Klauseners Diensttelefon, um Gestapo Chef Reinhard Heydrich Vollzug zu melden. Von ihm erhält er den Befehl, die Tat-Waffe neben Klausener zu legen, um es wie eine Selbsttötung aussehen zu lassen.

Klauseners Tod löste Bestürzung aus, weit über Berlin hinaus. Hinter vorgehaltener Hand glaubte niemand der Suizid-These. Warum also Erich Klausener? Was hatte dazu geführt, dass die Nazis den Juristen und engagierten Katholiken aus dem Weg räumen mussten?

Erich Klausener kommt 1885 in katholischem Elternhaus in Düsseldorf zur Welt, nach dem Jura-Studium geht er in den Verwaltungsdienst. Es folgt der Fronteinsatz im ersten Weltkrieg. Danach wird er zunächst Landrat im verarmten Eifelkreis Adenau, dann im damals größten preußischen Landkreis Recklinghausen. Sein soziales Engagement und der Blick für die Bedürftigen bringen ihm den Ruf des "roten Landrats" ein, dabei ist Klausener politisch dem Zentrum zuzuordnen.

Er gilt schnell als hervorragender Verwalter. So geht es für ihn Mitte der 1920er Jahre nach Berlin, wo Klausener Chef der preußischen Polizei wird. Er macht sich einen Namen – zum einen weil er ein Polizeiverwaltungsgesetz auf den Weg bringt, das bis heute als vorbildlich gilt – zum anderen weil er die Polizei entschieden und unerschrocken einsetzt sowohl gegen die kommunistischen als auch die nationalsozialistische Bürgerkriegstruppen.

Heute weiß man, dass schon damals, viele Jahre vor der Machtergreifung, die Nazis auf Klausener aufmerksam werden. Erich Klausener erwarb sich Anerkennung, egal wo er wirkte. Er machte sich dabei aber nicht immer nur Freunde. Das lag wohl an seiner Prinzipientreue. Er war für die sozial Schwachen, für die Gerechtigkeit, für das Gesetz, für den Anstand, für die Katholische Kirche. Dabei war er kompromisslos. Wo es um Werte ging, die für ihn nicht verhandelbar waren, ließ er sich nicht verbiegen.

Im freizügigen Berlin der 1920er Jahre witterte er "Schmutz und Schund". Gegen Vergnügungslokale und ihre, wie er es nannte, "plumpe Spekulation auf sexuellen Sinnesreiz aus Geschäftsinteresse", setzte er die Polizei ein. Klausener kämpfte auch gegen die zunehmenden antichristlichen Verlautbarungen jener Zeit. Sah er den Strafbestand der Gotteslästerung erfüllt, zögerte er nicht, den Staatsanwalt einzuschalten. Mit dieser Haltung schien er genau der richtige zu sein, als es 1928 darum ging, einen Vorsitzenden und Motor für die "Katholische Aktion" in Berlin zu finden.

Dahinter stand eine Idee des damaligen Papstes Pius XI.. Er wollte stärker auf die Tatkraft der unzähligen Männer und Frauen setzen, die vor Ort in den katholischen Vereinen oder Gemeinschaften aktiv waren. Die Laien sollten sichtbarer werden, also die Engagierten, die nicht Priester waren, und doch treu zur Kirche standen. Die "Katholische Aktion" sollte dafür als Dachorganisation dienen, die das Engagement der Laien bündelte und nach außen sichtbarer machen würde, auch als Antwort auf die zunehmenden antichristlichen Bewegungen jener Zeit. Als Erich Klausener die Leitung im Bezirk Berlin-Brandenburg übernahm formulierte er auf einer ersten Kundgebung vor tausenden Besuchern die Ziele der Katholischen Aktion.

"Du sollst wieder katholisch sein, in deinem Berufsleben, treu bei der Arbeit, beim Tragen ihrer Mühe und Last. Du sollst eine katholische Persönlichkeit sein. Es ist Zeit, dass wir wieder stolz werden auf unseren Glauben. Dem Glauben des Nationalismus und Kommunismus setzen wir die Glaubenstat der Katholischen Aktion entgegen."

Bei Klausener wurde nun eine besondere Begabung offensichtlich: Das Gespür für die Inszenierung. Dazu kam sein rhetorisches Talent. Klausener organsierte für die Katholische Aktion eindrucksvolle Großveranstaltungen, sah darin die Visitenkarte der Katholiken gegenüber der Öffentlichkeit.

Was heute auf Weltjugendtagen gang und gäbe ist, führte er damals ein: Öffentliche Gottesdienste mit zehntausenden Teilnehmern, die dabei auch alle die Heilige Kommunion empfangen sollten. Kern jeder Veranstaltung der Katholischen Aktion war eine programmatische Kundgebung. Den Part des Hauptredners besetzte Klausener meist selbst. Dabei soll er immer tosenden Applaus geerntet haben.

Doch dann kam der 30. Januar 1933 und mit ihm die nationalsozialistische Herrschaft. Dass Klausener seinen Posten im Innenministerium verlor, war keine Überraschung. Die Nazis setzten an den entscheidenden Stellen ihre eigenen Leute ein. Klausener wurde ins Verkehrsministerium versetzt und dort für die Schifffahrt zuständig.

Doch während die meisten katholischen Kirchenleute zu diesem Zeitpunkt die NSDAP entschieden ablehnten, zeigte Klausener Sympathien für die Regierung. Er war begeistert von sozialen Neuerungen wie dem "Eintopfsonntag" zugunsten des Winterhilfswerkes oder der Freizeitorganisation "Kraft durch Freude". Zwar übersah Klausener dabei nicht die totalitären Züge, doch glaubte er, dass die Nazis sich darin noch korrigieren ließen.  

Erich Klausener verkannte die wahren Ziele der Nazis. Das taten anfangs Viele, doch Klausener griff manche Ideen auf. Wie die von der "Wiedergeburt Deutschlands", die Hitler propagierte. Doch während die Nazis eine nationale Wiedergeburt meinten, dachte Klausener an eine sittliche. Diesen Gedanken stellte er dann auch in den Mittelpunkt seiner Rede auf dem Berliner Katholikentag im Juni 1933.

"Wir müssen uns alle klar werden, dass mit äußeren Mitteln allein die sittliche Wiedergeburt unseres Volkes nicht bewerkstelligt werden kann, wenn die Revolution der nationalen Erhebung nicht begleitet wird von einer Revolution der inneren geistigen Erneuerung. Dann ist alle Kraft und alle Arbeit und alles Mühen vergebens. Hier ist eine Aufgabe, zu der alle Gutgesinnten beitragen müssen."

Immer wieder baute Klausener das damals inflationär gebrauchte Vokabular vom "Aufbruch der Nation" in seine Rede mit ein, korrigierte die Vision der Nazis dabei aber auch an entscheidenden Stellen: So kenne der Glaube an den Schöpfergott keine Nationengrenzen – was eine Absage an die Rassenideologie war. Und: eine starke Volksgemeinschaft sei eine christlich geformte. Das könne kein noch so vollkommenes Staatssystem erreichen.

50.000 Katholikinnen und Katholiken spendeten der patriotisch-religiösen Rede Klauseners begeisterten Applaus. Aus nationalsozialistischen Kreisen aber kam scharfe Ablehnung. Dabei waren es nicht nur Klauseners Worte, die die Nazis aufrührte. Sondern auch, dass es Klausener wieder gelungen war, eine Großveranstaltung mit Pathos und Außenwirkung an den Nazis vorbei auf die Beine zu stellen.

Der Sicherheitsdienst der SS beschrieb die Katholische Aktion daraufhin in einem Geheimbericht als Gefahr: Hier würde der gesamten Schulungsarbeit der NSDAP eine ebensolche katholische entgegengestellt. Nach der Beseitigung der Parteien habe der katholische Klerus damit ein Instrument geschaffen, das ihm die alten Parteien nicht nur ersetze sondern organisatorisch sogar noch übertreffe.

Klausener wurde als der maßgebliche Kopf der Katholischen Aktion gesehen. In den Augen der Nazis musste er so als Bedrohung erscheinen, nicht nur als Organisator sondern wohl auch als gefährlicher Propagandist, weil er die Gedanken der Nazis aufgriff, diese dann aber in einen Kontext stellte, der ihren Zielen widersprach.

Ein Jahr später, am 24. Juni 1934, organisierte Klausener wieder den Berliner Katholikentag, die Teilnehmerzahl war mit 60.000 nochmal größer geworden. Doch die Atmosphäre bereits beklemmender für die Katholiken im totalitären Staat. Womöglich wusste auch Klausener, dass er unter Beobachtung stand, denn er selbst hatte sich diesmal nicht auf die Rednerliste setzen lassen.

Zum Schluss der Veranstaltung stieg er aber dann doch noch ans Rednerpult. Der genaue Wortlaut ist nicht überliefert. Klausener soll das durchziehende Motiv der Veranstaltung noch einmal zusammengefasst haben: Nur die Liebe zum Mitmenschen können den Hass überwinden. Dieses christliche Bekenntnis müsse nun gegen allen Widerstand im Alltag auch gelebt werden.

Wenn Klausener hier gegenüber dem Vorjahr auch auffallend knapp und eher zurückhaltend auftrat, so war doch schon die Veranstaltung an sich eine Provokation. War sie doch ein starkes öffentliches Zeugnis einer vom Staat unabhängigen Gemeinschaft und damit ein öffentlicher Schlag gegen die angestrebte "Gleichschaltung" der Nationalsozialisten.

Die sorgten dann dafür, dass es die letzte Veranstaltung dieser Art blieb. Auf den Tag eine Woche später wurde Klausener erschossen. Erst nach dem Krieg wurde der Mord an Erich Klausener aufgeklärt. Das lag vor allem an Robert Kempner. Er hatte einst unter Klausener im Preußischen Innenministerium gearbeitet. Später war er in die USA emigriert. Bei den Nürnberger Prozessen gegen die Nazis wurde er der stellvertretende amerikanische Chefankläger und klemmte sich dabei auch an den Fall Klausener.

Es war dann Hermann Göring höchstpersönlich, der Kempner gegenüber im Verhör zugab, für Klauseners Erschießung verantwortlich zu sein. Kempners Frage, ob Klauseners polizeiliches Vorgehen gegen die Nazis zur Zeit der Weimarer Republik der Grund gewesen sei, habe Göring zwar bejaht, aber mehr noch auf Klauseneners Rolle bei der Katholischen Aktion und seine Reden dort verwiesen.

Und dann habe Göring gesagt, Klausener sei ja der Leiter der Katholischen Aktion für ganz Deutschland gewesen und dabei äußerst unbequem geworden. Als man wenige Tage nach der Ermordung Erich Klauseners dessen Büro räumte, fand man auf dem Schreibtisch eine Mappe, darin seine möglicherweise letzten handschriftlich aufgezeichneten Gedanken:

"Sei wahrhaftig in deinem Handeln –
Breche nie ein Wort –
Zeige kein falsches Prestige –
Komme zuerst – gehe zuletzt –
Habe gerechten Zorn, aber verschwende nie deinen Zorn!"

Musik:

John Ottman – What‘s this really all about?

David Gómez – Goodbye

J.S. Bach – Toccata dorisch BWV 538

John Ottman – What‘s this really all about?

John Ottman – I’m sorry

Über den autor Martin Korden

Martin Korden, geboren 1980 in Adenau, ist Beauftragter der Bischofskonferenz für Deutschlandradio. Eine erste Hörfunkausbildung erhielt er im Rahmen seines Wehrdienstes beim Truppenbetreuungssender "Radio Andernach". Anschließend studierte er in Trier und Brixen Katholische Theologie. Es folgte das journalistische Volontariat bei der Katholischen Fernseharbeit und eine langjährige Tätigkeit für DOMRADIO.DE in Köln.

Kontakt: m.korden@dbkradio.de