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Vom Jakobsbrunnen zum Osterbrunnen. Brunnen in Bibel und christlicher Tradition

Feiertag, 01.04.2024

Harald Schwillus, Halle/Saale

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Nicht weit von Aachen entfernt, kurz hinter der Grenze, liegt in Belgien das beschauliche Städtchen Eupen. Es ist der Hauptort der Deutschsprachigen Gemeinschaft des Königreichs und verbindet – typisch europäisch – Einflüsse aus dem deutschen und wallonisch-französischen Kulturraum zu einer gelungenen Synthese.

Mein Lieblingsplatz in Eupen ist der Marktplatz mit seinen Cafés und Restaurants. Wenn es warm ist, sitze ich dort gerne in der Sonne und genieße einen guten Wein, ein leckeres Essen mit einem schönen Dessert, einen Kaffee – und lasse meinen Blick über den Platz schweifen.

Jetzt, in der Osterzeit, schaue ich immer wieder auf den bunt geschmückten Marienbrunnen. In seinem Becken steht eine über fünf Meter hohe Säule mit einer Madonnenfigur aus dem 19. Jahrhundert. In diesen Tagen ist er zum Osterbrunnen geworden: Etwa 2000 Eier in allen Farben umrahmen die Brunnenanlage und umkränzen die Mariensäule. Dieser Festschmuck hat mittlerweile Tradition: Seit 1996 gibt es ihn, als der "Königliche Gartenbauverein Eupen und Umgebung" die Initiative dafür ergriffen hat.

Die Idee, Brunnen zu Ostern zu schmücken, ist an vielen Orten ein schöner Brauch geworden. Er nimmt Bezug auf die Bedeutung des Wassers als Symbol des Lebens und auf die vielfältigen Geschichten und Überlieferungen, die mit Brunnen ganz allgemein verbunden sind.

Alter Brauch oder Touristenattraktion?

Auf den ersten Blick erscheinen die Osterbrunnen mit ihren bunten Ostereiern und grünen Girlanden als ein Ausdruck eines uralten – vielleicht sogar vorchristlichen – Brauchtums. Bei genauerem Hinsehen lässt sich dies jedoch nicht nachweisen. Hinweise auf Osterbrunnen gibt es erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Fränkischen Schweiz. Vieles spricht dafür, dass dabei vor allem auch Erwägungen des Tourismus eine Rolle gespielt haben. Nun liegt das christliche Osterfest, das die Auferstehung Jesu Christi feiert, in unseren Breiten im Frühling – einer Zeit, in der die Natur zu neuem Leben erblüht. Gerade diese Zeit war aber in den 1920er- und 1930er-Jahren eine eher besucherschwache Periode. Die schönen, bunten Osterbrunnen sollten deshalb wohl den Tourismus fördern.

Eine in jener Zeit auch behauptete vorchristlich-germanische Tradition, auf die sich dieser neue Brauch bezogen habe, konnte dagegen ebenso wenig nachgewiesen werden wie eine Slawische. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützten dann private Initiativen die Beibehaltung und Förderung des vermeintlich alten Brauchs der Osterbrunnen. Touristisch war diese Initiative durchaus erfolgreich – auch über die Grenzen der Fränkischen Schweiz hinaus. Seit den 1980er-Jahren nahm die Zahl der Osterbrunnen in vielen Teilen Deutschlands und darüber hinaus deutlich zu.

Brunnen – seien es nun sprudelnde Quellen oder Schöpfbrunnen – besitzen auch ganz ohne Osterschmuck eine besondere Aura. Sie verweisen auf das Wasser als die Grundlage allen Lebens – und symbolisieren darüber hinaus die unergründliche Tiefe menschlichen Nachdenkens und Hoffens. Ich habe mich darüber mit Thomas Frank unterhalten. Er lebt in Karlsruhe und gehört zum Vorstand der Europäischen Brunnengesellschaft.

"Also Brunnen sind ja die ältesten Kultur- und Kommunikationsstätten, die wir uns vorstellen können. Also wir müssen nur in die Bibel blicken, also da beginnt es ja schon mit dem Strom des Lebenswassers, der sich dann in vier Hauptflüsse aufteilt. Das ist ein Symbol für das Wasser als Leben. Es ist auch so, dass ja in Palästina, also im biblischen Palästina, das Wasser eine besonders große Rolle spielt, weil wir da ja regenlose Sommer haben, oder regenarme Sommer, und Wasser sehr sehr wichtig war für die Israeliten und Israelitinnen und dementsprechend sind ja viele Orte auch in der Bibel – also das findet man schon in den Büchern Mose – nach den Brunnen benannt, die dort gegraben worden sind. Ja, und wenn man jetzt auf die Bedeutung von Brunnen zurückblickt aus der biblischen Zeit, dann ist es so, dass ja im Hebräischen das Wort 'Auge' und 'Brunnen' ´ne gleiche Lautfolge hat. Und dementsprechend ist der Brunnen auch im biblischen Kontext immer mit Erkenntnis verbunden."

Brunnen in der Bibel: Symbol des Lebens und Orte der Begegnung

Das Alte Testament der Bibel spricht immer wieder von Brunnen. Gemeint sind damit einerseits die tief in den Wüstenboden eingegrabenen Anlagen, in die steile Wege hinabführen, um die grundwasserführenden Schichten des Erdbodens zu erreichen. Andererseits spricht das Alte Testament auch von sehr lebendigen Brunnenorten, von Quellen, die aus Felswänden oder aus dem Boden hervordrängen. Aber überall geht es dabei um die lebensspendende Kraft des Wassers, ohne die ein Überleben nicht möglich ist.

"Leben" ist hier in einem direkten biologischen Sinne, aber auch in einem übertragenen gemeint. So spricht das Alte Testament immer wieder davon, dass mit dem Wasser Wohlergehen und Segen verbunden sind – mit seinem Mangel aber Trennung von Gott und Gefährdung. Gott lädt daher in den Texten der Bibel immer wieder dazu ein, sich ihm anzuvertrauen und zur Ruhe zu kommen, da er all die lebensnotwendigen Wasser in seiner Hand hat. Der Beter des Psalms 36 fasst dies in die Worte: "Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht." (Ps 36,10)

Brunnen und Quellen sind Orte, die uns Menschen helfen können, aus dem Alltag auszusteigen und zur Ruhe zu kommen. Sie sind besondere Orte: in biblischen Zeiten ebenso wie heute. Dazu noch einmal Thomas Frank von der Europäischen Brunnengesellschaft in Karlsruhe:

"Mich faszinieren Brunnen schon seit meiner Kindheit. Also ich erinnere mich an Wanderungen mit meinen Eltern durch die hügelige und waldreiche Heimat in Schwaben. Und es war dann immer so, wenn ich dann zum Beispiel eine Waldquelle entdeckt ha‘ – das konnte aber auch ein ganz einfacher Holzbrunnen sein oder ein Grottenbrunnen, wo dann das Wasser aus dem Gestein rausquoll –, dann bin ich immer in Jubel ausgebrochen, und das hat sich bis heute gehalten, also für mich sind Brunnen, fließende oder bewegte Gewässer, ein Ort der Ruhe – also auch der Meditation, des Kreativen und des Inspirierenden, also ich kann dort Abstand nehmen von meinem Arbeitsalltag. Ich kann dort auch – ja – Abstand nehmen von privaten Sorgen, wenn ich sie denn ´mal habe, und komme dort in einen Zustand des ausgeglichenen Seins, ja: und ja auch des Krafttankens. Und dementsprechend versuche ich immer, wenn die Brunnen denn fließen, jeden Tag mindestens so zehn bis zwanzig, dreißig Minuten an einem Brunnen zu verweilen, vielleicht meine Hände unter fließendes Wasser zu halten, wenn es denn geht, vielleicht auch mit den Füßen reinzusteigen, durch das Wasser zu waten, oder einfach nur den fließenden Wassergeräuschen zu lauschen."

Im Alten Testament gilt Gott als die wasserreiche Quelle, als der sprudelnde Brunnen allen Lebens. Deshalb sollte dieser Wasserreichtum auch beim zentralen Kultgebäude des Alten Israel, dem Tempel in Jerusalem, symbolisch verdeutlicht werden. Florian Lippke, Kurator am Bibel und Orient-Museum der Universität Freiburg in der Schweiz, hat dies in einem Zeitschriftenbeitrag so erläutert:

"Um [… den] Wasserreichtum auch an der Wohnung Gottes, dem Tempel, sichtbar zu machen, wurden im Laufe der Zeit mehrere Wasserleitungen nach Jerusalem gelegt. Von Betlehem her verliefen Aquädukte zur Wohnung Gottes. Diese Wasserleitungen sind heute noch zwischen beiden Orten im Gelände sichtbar. Die berühmten, heute noch gefüllten ‚Teiche Salomons‘ südlich von Betlehem sind als Sammelbecken der Wasserquellen zu verstehen. […] Der Jerusalemer Tempel war ein Ort des Lebens und Symbol der Schöpfung […]. Die Wasser(ströme) des Tempels gehören in den Bereich des Gottesgartens (Ps 46), der sich durch Wasserfülle auszeichnet. […] Am Tempel gab es sogar ein riesiges […] Becken aus Bronze, das den Wasserreichtum am Haus Gottes zum Ausdruck brachte: Das eherne Meer mit seinen Kesselwagen (1 Kön 7). Auf diese Weise konnte das heilige Tempelwasser sogar hin- und hergeschoben werden." [1]

Brunnen werden in der Bibel immer wieder in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen erwähnt. Sie sind Orte von großer Symbolkraft und Orte der Begegnung. Zu diesen Brunnen gehört auch der Jakobsbrunnen in Samarien. Der Überlieferung nach soll ihn der Stammvater Jakob gegraben haben, um sein Land mit Wasser zu versorgen. Und an diesem Brunnen trifft Jesus nach dem Bericht des Johannesevangeliums in der Mittagshitze auf eine Frau aus Samarien, die dort Wasser schöpfen wollte. Er verwickelt sie in ein Gespräch:

"Jesus sagte zu ihr: 'Gib mir zu trinken!' Seine Jünger waren nämlich in die Stadt gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen. Die Samariterin sagte zu ihm: 'Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um etwas zu trinken bitten?' Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern. Jesus antwortete ihr: 'Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: 'Gib mir zu trinken!', dann hättest du ihn gebeten und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.' Sie sagte zu ihm: 'Herr, du hast kein Schöpfgefäß und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden?' Jesus antwortete ihr: 'Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt.'“ (Joh 4,7–14)"

Nach der Überlieferung des Johannesevangeliums trifft Jesus am Jakobsbrunnen auf eine Frau aus Samarien und unterhält sich mit ihr. Die Bewohner von Samaria galten strenggläubigen Israeliten als Menschen, die nicht ganz und vollständig zu ihnen gehörten. Nun bietet Jesus einer Samariterin an, vom lebendigen Wasser des Heils zu trinken. Das Heil, das Jesus ankündigt, und das er nach christlicher Auffassung durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen an Ostern allen Menschen ohne Ansehung von Person und Nation gewähren will, wird hier im Symbol des lebendigen Wassers greifbar.

Brunnens des Heils im Dom zu Bremen

Die christliche Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit hat dies im Motiv des Lebens- bzw. Gnadenbrunnens aufgenommen. Man findet es als Buchillustration, auf Holzschnitten, Gemälden und Reliefs. Bei diesen Darstellungen wird das Blut, das aus den Wunden Christi am Kreuz fließt, zum "Wasser" des Lebens.

Ein sehr eindrückliches Beispiel für die Darstellung eines solchen Brunnens des Heils befindet sich im Dom zu Bremen. Dort steht das Grabrelief für den 1547 verstorbenen Domherrn Segebade Clüver. In bunten Farben illustriert es die Erlösung durch das Osterereignis: Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi: Der Verstorbene kniet im feierlichen Ornat links neben einer Darstellung des Gnadenbrunnens, der aus zwei Becken besteht. Sie sind übereinander angeordnet. Im oberen steht in der Mitte das Kreuz, an dem Jesus hängt.

Aus seinen Wunden strömt sein Blut hervor. Am Kreuz windet sich die Schlange, das Symbol des Bösen aus der Paradieserzählung des Alten Testaments, links und rechts davon stehen Adam und Eva im Becken. Beide halten einen Apfel in der Hand: Ein Hinweis darauf, dass sie vom verbotenen Baum gegessen haben und so – von der Schlange verführt – Sünde und Tod in die Welt brachten. Nun fließt aber das lebensspendende und reinigende Blut aus den Wunden Jesu Christi über die beiden und die Schlange in die obere Brunnenschale: Mensch und Welt werden durch dieses Blut vom Bösen befreit.

Durch Speier am Rand des oberen Beckens gelangt dieses Blut des Heils in eine weitere größere Brunnenschale darunter. Dort sind Frauen und Männer zu sehen, die darin baden. Das Heil, das für Christinnen und Christen mit dem Tod Jesu am Kreuz verbunden ist, hat die Menschen erreicht.

Zwischen Kraft, die Leben spendet und Lebensgefahr

Bereits im 14. Jahrhundert hatte der Mystiker Heinrich Seuse diese Verbindung des blutenden Jesus Christus am Kreuz mit dem Brunnen in seinem "Minnebüchlein der Seele" aufgegriffen:

"O unerschöpflicher Brunnen des lebendigen Wassers, gedenke, wie du am Kreuz versiegtest und vor übermäßiger Dürre so durstig wurdest, da wurdest du mit Essig und Galle getränkt und sprachest: 'Consummatum est [es ist vollbracht].'
Herr, und nach deinem bitteren Tode, also aufgehängt, ließest du dir deine Seite mit einem scharfen Speer auftun, damit du mit dem Blut und dem Wasser, das daraus rann, alles, was tot und dürre war, wieder erquicktest und mit dir, dem lebendigen Brunnen, alle durstigen Herzen tränktest." [2]

Brunnen sind faszinierende Orte: Orte, an denen das lebensnotwendige Wasser voller Energie sprudelt und fließt. Aber – und das gilt besonders für die tiefen Schöpfbrunnen: Brunnen sind auch gefährliche Orte: Man kann in sie hineinstürzen und ertrinken – oder auch bei der Arbeit in einem Brunnenschacht ersticken. Brunnenarbeiter gehen deshalb in unseren Tagen häufig mit einem Beatmungsgerät ihrer Tätigkeit in der Tiefe nach, in früheren Zeiten diente bisweilen eine brennende Kerze als Sicherheitsmaßnahme: Geriet die Flamme ins Flackern und drohte auszulöschen, war es höchste Zeit, aus dem Brunnenschacht nach oben zu steigen. Brunnen und ihr Wasser sind daher nicht ohne Grund uralte Symbole für Leben und Tod, für Gefahr und Rettung.

Und auch die Osterbrunnen auf den öffentlichen Plätzen weisen mit ihren bunten Ostereiern und grünen Girlanden auf ihre Weise auf die lebensspendende Kraft des Wassers hin – aber auch auf die Lebensgefahr, die mit einem Sturz in die Tiefe eines Schöpfbrunnens verbunden ist.

Für Christinnen und Christen verbindet sich all dies mit dem Wasser des Taufbrunnens. Er ist der Ort, an dem Menschen durch die Taufe in die Kirche aufgenommen werden. Natürlich wird dieser Ritus der Eingliederung in die Gemeinschaft der Glaubenden das ganze Jahr über angeboten. Ostern ist jedoch seit jeher der wichtigste Tauftermin. Im Gottesdienst der Osternacht am Abend des Karsamstags oder am Morgen des Ostersonntags wird das neue Taufwasser feierlich gesegnet und über die versammelte Gemeinde versprengt.

Die Getauften kann dieser Ritus daran erinnern, dass sie sich auf den Weg gemacht haben – auf den Weg zu einem Gott, der das Wasser des Lebens anbietet; zu einem Gott, der am Karfreitag in die Tiefe des "Brunnens" hinabsteigt und der in der Osternacht lebendig daraus hervorkommt.

Die Kirche feiert dies voll Freude mit festlichen Tagen: besonders am Ostersonntag – und heute am Ostermontag.


Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.

Musik:

Maurice Ravel: Jeux d’eaux

Franz Liszt: Les jeux d’eaux à la Villa d’Este

Edvard Grieg: Bächlein

Claude Debussy: Reflets dans l’eau

Franz Liszt: Au lac de Wallenstadt


[1] Lippke, Florian: Quelle. Heilung und Wiederbelebung, in: Bibel heute 3/2015, Nr. 203, S. 12–15, hier: S. 13f. [21 Zeilen].

[2] Des Mystikers Heinrich Seuse O.Pr. Deutsche Schriften. Vollständige Ausgabe auf Grund der Handschriften. Eingeleitet, übertragen und erläutert von Nikolaus Keller, Regensburg 1926, S. 469 [8 Zeilen].

Über den Autor Harald Schwillus

Harald Schwillus, geboren 1962, ist seit 2005 Professor für katholische Religionspädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Kontakt: harald.schwillus@kaththeol.uni-halle.de

Institut für Katholische Theologie und ihre Didaktik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Franckeplatz 1/Haus 31, 06110 Halle (Saale)