Heute ist es endlich soweit! Tausende von Kindern fiebern seit Wochen darauf hin: der Weiße Sonntag. Im ganzen Land feiern sie heute traditionell ihre Erstkommunion, genau eine Woche nach Ostern. Ein großes Familienfest natürlich. Vor allem aber dürfen die Kinder – nach einer langen Vorbereitungszeit – im Gottesdienst zum ersten Mal an der Kommunion teilnehmen. "Der Leib Christi", wird es heißen. Jedes Kind wird diese besondere kleine Oblate mit beiden Händen in Empfang nehmen. Mit Bedacht in den Mund stecken. Und dann vorsichtig kauen, schlucken. Glaube geht durch den Magen!
Essen und Spiritualität – das ging im Christentum schon immer gut zusammen. Nahrung für den Körper, Nahrung für die Seele. Seit dem frühen Mittelalter ist das an einem Ort besonders deutlich: im Kloster.
"Ich würde mal ganz scherzhaft sagen: Ein Kloster ist eine spirituelle WG, und damit ist dann auch klar, was das Essen dort so besonders macht."
… sagt Karl-Heinz Steinmetz, Theologe und Gründer des Instituts für Traditionelle Europäische Medizin in Wien.
"Man muss natürlich das Essen gut managen. Das geht los natürlich mit Anbauen, Zubereiten, Lagern, Kochen, Servieren. Und da waren Klöster natürlich immer führend. Sie haben Obstsorten veredelt, sie haben Honig hergestellt und Wein und Bier gebraut. Und gleichzeitig dann eben den spirituellen Anspruch. Also, man will sich im Kloster nicht einfach nur hinsetzen und irgendwie ja so ein fröhliches Gezeche, sondern man hat den Eindruck, man ist eine horizontale Gemeinschaft, also untereinander, Brüder und Schwestern, aber dann eben auch eine Gemeinschaft mit Gott. Das wäre dann die vertikale Gemeinschaft. Und deswegen ist das Essen im Kloster natürlich auch spirituell eingerahmt."
"Spirituell eingerahmt", das klingt ja gut. Wenn auch noch etwas rätselhaft.
"Spirituell essen im Kloster meint zunächst mal, dass man an den Anfang und das Ende des Essens Dankesgesten oder jetzt beim Kloster sogar Dankesgebete setzt. So die Philosophie dahinter ist: Das ganze Leben und das Essen ist keine Habe, sondern eine Gabe. Für klösterliches Essen ist es undenkbar, dass man sich einfach hinsetzt und losspachtelt, da mit Gabel und Messer zusticht, sondern der Anspruch ist, dass da Dankesformeln am Anfang und am Ende stehen, in denen man eben Gott dankt, dass man überhaupt Nahrung hat."
Gut soll es schmecken, genug soll es sein, das Essen für jeden Einzelnen, nicht nur für Mönche und Nonnen. Zwar gab es in der Geschichte immer wieder welche, die es übertrieben haben. Entweder indem sie mit sich selbst viel zu streng waren. Oder indem sie einfach maßlos gefressen haben. Der Ursprungsgedanke aber vom Heiligen Benedikt, im 6. Jahrhundert der Begründer der Klöster im Abendland: Genuss ist göttlich!
"Unbedingt! Die Schöpfung ist gut, Essen macht Freude, Essen macht ein Stück weit auch glücklich. Essen ist richtig verstanden auch ein Gottesdienst, und deswegen dürfen Mönche und Nonnen genießen, das ist aber eben kein Freibrief für Völlerei."
Maßhalten. Keine Extreme, sondern eine gesunde Mitte bei allem, was wir tun. So hat man Boden unter den Füßen, bleibt ausgeglichen und gesund an Leib und Seele. Das Maßhalten galt auch beim Weintrinken.
"Der mittelalterliche Spruch war: Erstes Weinglas Adler, zweites Weinglas Löwe, drittes Weinglas Schwein. Was bedeutet das? Wenn ich das erste schöne, große Glas Wein trinke, bin ich danach beflügelt wie ein Adler, das ist einfach super. Das zweite Glas Wein, da fühle ich mich tollkühn wie ein Löwe, ist auch noch gut. Aber beim dritten Glas geht es dann langsam abwärts, da werde ich zum Schwein, da kommen die Zoten, da wird es ein bisschen viehisch. Also, das wäre sozusagen die Maßhalteregel der Benediktiner bezüglich des Weinkonsums."
In manchen Phasen des Jahres essen auch heute noch viele Christinnen und Christen ganz bewusst anders, nämlich auf das Wesentliche reduziert. Vor allem in der langen Fastenzeit vor Ostern, in Anlehnung an die Weisheit der Bibel.
"Und da hieß es immer schon 'die alten Propheten', aber auch Jesus von Nazareth, die hätten zunächst mal ihren Magen geübt, sie hätten sich eben nicht immer zugekleistert, sondern sie hätten die Sehnsucht jetzt auch vom Magen her mal offengelassen, gleichzeitig steht da ein Wort wie 'Almosen geben', das meint auch das Herz üben und eben sozialkompetent zu werden. Und dann drittens: Beten und Meditieren. Da würden wir jetzt den Kopf üben. Also, der Dreiklang lautet dann eben: Fasten, Almosen geben und Gebet oder wir könnten sagen, das ist eine Art von spiritueller Übung. Gymnastik für Bauch, Herz und Haupt. Und das war der Dreiklang, den man den eben in der Fastenzeit in den Mittelpunkt gestellt hat."
Und noch eine Weisheit aus dem Kloster tut einfach gut, sie gilt eigentlich in fast allen spirituellen Traditionen: Wenn du gehst, dann gehe, wenn du schläfst, dann schlafe, wenn du isst, dann esse. Einfach nur essen und trinken, sonst gar nichts. Riechen, wie sich langsam das Aroma eines Burgunderbratens entfaltet, stundenlang in Rotwein geschmort. Oder der atemberaubende Duft eines würzigen Schweizer Bergkäses. Essen schmecken. Der herbe Schmelz von Rosenkohl. Oder die deftige Süße einer heißen Dampfnudel. Essen fühlen – die körnig-sämige Konsistenz von Griesbrei. Oder wie gut es tut, wenn der heiße Kartoffelbrei durch die Kehle in den Magen wandert. Seelenessen. Essen macht heil!
"Es gibt so kulturwissenschaftliche Ansätze, die versuchen immer zu zeigen: Wo wurde denn Wissen vermittelt, wo haben sich Menschen ausgetauscht? Wir haben heute E-Mail, WhatsApp und ich weiß nicht, was alles. In alten Gesellschaften hatte man eigentlich nur einen Ort: das MAHL."
Die Welt der nahöstlichen Antike – das ist die Welt, in der die Bibel entstanden ist. Wir verstehen ihre Botschaften einfach besser, wenn wir wissen, in welcher Welt sie ursprünglich spielte. Und welche Bedeutung Essen damals hatte. Karl-Heinz Steinmetz
"Beim Essen ist in der Antike einfach alles passiert. Dort hat man Geschichten erzählt, dort hat man Wissen ausgetauscht und dort hat man auch Spiritualität vollzogen. Und deswegen ist klar im Alten Testament: Immer wo es spirituell interessant wird, wird auch gleichzeitig gegessen."
Auch für die Menschen damals ist Essen natürlich erst mal ein biologisches Grundbedürfnis. Aber es gibt doch einen Unterschied.
"Für einen Großteil der Menschen war es überhaupt nicht selbstverständlich, genug zu essen zu haben, jeden Tag satt zu werden."
… sagt die Bibelwissenschaftlerin Sabine Bieberstein:
"Und deshalb hat Essen und die Beschaffung von Nahrung, die Produktion von Nahrungsmitteln einen ganz, ganz hohen Stellenwert. Wenn wir dann weiter schauen, welche Funktion hat Essen? Essen stiftet natürlich Gemeinschaft, sowohl in den Familien als auch in größeren Gruppen wie Stämmen, Sippen, Dörfern."
Mit wem ich esse, dem kann ich vertrauen. Der gehört zu mir, zu dem gehöre ich. Ich bin eingebunden in ein größeres Netz, ich weiß, wo ich hingehöre.
"Was noch wichtig ist in der Antike, ist die Gastfreundschaft, man ist darauf angewiesen, wenn man unterwegs ist, dass Menschen einen aufnehmen, dass man bewirtet wird, dass man genug zu essen bekommt."
Auch deshalb kommt in der Bibel Essen auffällig oft vor. Bei Feiern sowieso, aber auch bei spirituellen Lehrstunden, bei Verhandlungen, bei Status-Kämpfen, beim Austausch von Informationen. Und auch bei kleinen oder großen Gotteserfahrungen, die häufig die Betroffenen regelrecht umhauen, gebannt irgendwo zwischen Faszination, Hingabe und Überforderung. Da wird Essen zur Nervennahrung.
Jesus von Nazareth sitzt im Neuen Testament eigentlich ständig irgendwo am Essenstisch. Das ist Programm. Denn er verkündet überall, wo er hinkommt, laut: Das Reich Gottes, dieses ganz andere, neue Leben, wo jeder seinen Platz hat, wo endlich Gerechtigkeit und Nächstenliebe herrschen – dieses Reich Gottes steht direkt vor der Tür. In uns. Wenn wir es denn zulassen! Oder – wie es an anderer Stelle heißt: Jeder und jede Einzelne ist ein Tempel Gottes. Sicher eine Idealvorstellung, aber fast jeder hat wohl schon mal diese Erfahrung gemacht: wenn wir innerlich plötzlich ganz weit werden, angefüllt von einer unerklärlichen Liebe zu an sich fremden Menschen. Wenn wir mal über uns selbst hinauswachsen können, einem anderen die Hand reichen zur Versöhnung. Oder wenn wir einfach spüren, bei allen Zweifeln: Da ist etwas, über uns allen, um uns alle herum, etwas Göttliches.
"Dieses anbrechende Reich Gottes, diese neue Welt Gottes, die muss gefeiert werden. Und darum sehen wir Jesus eben ganz oft am Tisch sitzen und Feste feiern. Das hat ihm auch den Schimpfnamen ein 'Fresser und Säufer', ein Freund von Zöllnern und Sündern, eingebracht. Aber das kennzeichnet eben – unter anderem – seine Reich-Gottes-Praxis. Da hat er gezeigt: So ist es, wenn Gottes neue Welt anbricht. So schmeckt das. Und da sitzen alle am selben Tisch, da werden Grenzen überschritten, da sind die Frommen und die weniger Frommen und die Frauen und die Männer und die Ordentlichen und die Unordentlichen, die sitzen da alle zusammen. Und da reicht das Brot für alle, und überhaupt gab es vermutlich viel mehr als das Grundnahrungsmittel Brot allein. Da könnte man vielleicht sagen: Hoffnung geht durch den Magen."
Und noch mehr: Das Essen selbst kann sogar zu einem spirituellen Weg werden. Der amerikanische Theologe Gary Thomas hat das Konzept der neun spirituellen Sprachen entwickelt. Neun verschiedene Wege zu Gott. Zum Beispiel die "spirituelle Sprache der Sinne" – das kann gutes Essen und die Zubereitung davon sein. Oder auch die "spirituelle Sprache des Sorgens": Wenn ich für andere Menschen mit Hingabe ein üppiges Mahl koche, den Tisch schön decke. Oder auch ganz familiär sie in meine Küche einlade, zu Pellkartoffeln und Quark. Auf jeden Fall: wenn ich sie verwöhne mit meiner Liebe. Dann kann Essen ein spiritueller Dienst sein. Das muss nicht unbedingt an eine Religion gebunden sein. Kann es aber.
"Dieses gemeinsame Essen ist ein Ausdruck dessen, worum es eigentlich in diesem Christusglauben geht. Da kommen die verschiedensten Menschen zusammen, und sie kommen auf Augenhöhe zusammen, und sie sind alle gleichwertig und gleich würdig, egal, welchen gesellschaftlichen Status sie ansonsten haben würden. Und das ist alles wirklich der Ausdruck dieser neuen Gemeinschaft in diesem Jesus Christus."
Noch eine schöne Geschichte aus dem Neuen Testament zum Thema Essen: Es geht um den jüdischen Zöllner Zachäus. Der nimmt im Auftrag der Römer die Steuern ein. Leider stecken sich die Zöllner dabei oft viel Geld in die eigene Tasche. Deshalb sind sie beim Volk sehr unbeliebt, ausgeschlossen aus der Gemeinschaft, einsam, isoliert:
"Jesus kam nach Jericho und ging durch die Stadt. Dort lebte ein Mann, der Zachäus hieß. Er war der oberste Zolleinnehmer und sehr reich. Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus war. Aber er konnte es nicht, denn er war klein, und die Volksmenge versperrte ihm die Sicht. Deshalb lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus sehen zu können – denn dort musste er vorbeikommen. Als Jesus an die Stelle kam, blickte er hoch und sagte zu ihm: 'Zachäus, steig schnell herab. Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.' Sofort stieg Zachäus vom Baum herab. Voller Freude nahm er Jesus bei sich auf.“ (Lk 19, 1-6)"
"Und bei diesem Mahl kommt etwas in Bewegung. Und Zachäus kommt ins Nachdenken. Und er sagt, dass er das unrechtmäßig eingezogene Geld wieder zurückgibt und vierfach zurückgibt. Und dass er die Hälfte seines Vermögens den Armen gibt und so weiter. Also, da merkt man, wie bei diesem gemeinsamen Essen was richtig bei ihm in Bewegung gekommen ist und er sein Leben ändert. Aber das Entscheidende ist: Jesus lässt sich erst mal darauf ein, mit ihm gemeinsam zu essen, ohne Vorbedingungen. Und das finde ich schon eine herausfordernde Sache. Denn irgendwie kann ich mir vorstellen, dass wir uns mal so vorstellen: Erst mal muss der mal sein Leben ändern und muss ordentlich werden, und dann kann man mit dem essen, aber bei Jesus ist es offensichtlich umgekehrt."
Besonders bemerkenswert: Für Juden ist es damals ja eigentlich undenkbar, weit mehr noch als ein Skandal, bei einem Zöllner einzukehren. Im damaligen jüdischen Denken gilt der Zöllner als unrein. Aber Jesus wusste offenbar: Gemeinsames Essen kann befreien. Und sogar heilen. Und das war einfach wichtiger.
Großer Höhepunkt der Tisch-Gemeinschaften in der Bibel: das "Letzte Abendmahl", der letzte Abend gemeinsam mit seinen Jüngerinnen und Jüngern, bevor Jesus verhaftet und ihm der Prozess gemacht wird:
"Als die Stunde da war, legte Jesus sich mit den Aposteln zu Tisch. Er sagte zu ihnen: 'Ich habe mich danach gesehnt, dieses Pessachmahl mit euch zu essen, bevor ich leide.' Er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach es, gab es ihnen und sagte: 'Das ist mein Leben, das für euch gegeben wird. Das tut zu meiner Erinnerung.' Genauso nahm er den Becher, nach dem Essen, und sagte: 'Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.'“ (Lk 22, 14-15/19-20)"
"Es ist nicht zufällig, dass Jesus das, was ihn ausgemacht hat, sein Leben, seine Botschaft, seine Praxis am Ende seines Lebens wie verdichtet und zusammen gefasst hat in diesem gemeinsamen Mahl mit seinen Jüngerinnen und Jüngern, und ohne seine vorherige Praxis des gemeinsamen Essens, dieses Essens im Angesicht des Reiches Gottes, wäre es auch überhaupt nicht verständlich, dass er nachher ausgerechnet die Form des Mahles wählt, um das zu verdichten, was für ihn wichtig war und was ihn ausgemacht hat. So fließt in diesem, was wir nachher Abendmahl nennen, das ein und kommt das zusammen, was Jesus ausmacht, wofür er steht und wofür er dann letztlich auch gestorben ist."
Bis heute feiern alle christlichen Kirchen regelmäßig das "Abendmahl". In der katholischen Kirche unter dem Namen "Eucharistie" – wörtlich "Danksagung" oder auch "Kommunion", "Gemeinschaft". Alle, die dabei sind, erinnern sich an das letzte Festmahl, das Jesus mit seinen Jüngerinnen und Jüngern feierte. Auch heute essen sie aus einem Kelch eine Oblate, trinken aus einem Kelch einen Schluck Wein. Und spüren und glauben: Jesus, sein Geist, ist da, hier bei ihnen und zwischen ihnen. Wie schon bei den ersten Christen damals, vor rund 2000 Jahren. Sie hatten noch keine komplizierte Theologie, keine Bibelauslegung, keine Interpretation. Sie hatten Jesus schlicht erlebt. Bibelwissenschaftlerin Sabine Bieberstein:
"Das ist vermutlich ein noch ein viel elementareres, einfacheres Verständnis des gemeinsamen Essens, wo man sich erinnert, wo man vergegenwärtigt und wo man untereinander verbunden ist in dieser Erinnerung und in dieser Gegenwart des Christus und in der gemeinsamen Praxis der Nachfolge."
So auch die Kinder, die heute ihre Erstkommunion feiern. Sie dürfen zum ersten Mal an der Kommunion teilnehmen, die besondere Oblate essen. Und sie sind ihnen vielleicht noch ganz nahe, den ersten Jüngerinnen und Jüngern des Jesus von Nazareth, denen, die einfach mit ihm gelebt haben. Mit ihm gelacht und geweint haben, am Tisch gesessen, getrunken und mit ihm gegessen haben. Gesegnete Mahlzeit!
Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.