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Auf der Suche nach Sinn: Tobias Haberl und der Glaube an Gott

Feiertag, 15.09.2024

Christopher Hoffmann, Neuwied

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"Religion ist Unterbrechung des Alltags. Dass es Pausen gibt. Dass ein Sonntag nicht zum Arbeiten da ist, sondern dass die Dinge mal ruhen und dass vielleicht auch die Geschäfte zu sind. Und das alles löst sich ja auf in einer Welt des Konsums und der Dauerbeschallung und der Unterhaltung und der Vernetzung."

Tobias Haberl ist Redakteur beim Magazin der Süddeutschen Zeitung. Und er hat ein Buch geschrieben mit dem provokanten Titel: "Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe." Er glaubt: Es braucht Momente des Innehaltens.

"Und in Moment, wo ich versuche, wenn ich aufwache, noch nicht aufzustehen, sondern langsam zu atmen, zur Ruhe zu kommen und noch ein paar Worte an Gott zu richten oder wenn ich rausgehe dann so beim Gehen vor mich hin murmele – ich murmele dann auch wirklich und manchmal schauen mich auch Leute komisch an, weil ich die Lippen so bewege – und mich bedanke, dass ein neuer Tag da ist, dann ist der Einstieg in den Tag schon mal gemacht und ich spür so eine Verbindung, so ein eingebettet sein in eine sinnhafte Logik."

Ich treffe den vielfach prämierten Journalisten in München, wo er lebt und arbeitet. Der 49-Jährige ist für seine Essays, Portraits und Interviews bekannt. Als Tobias Haberl Ostern 2023 ein modernes Glaubensbekenntnis in der Süddeutschen veröffentlicht, gibt es darauf so viele Reaktionen, dass er an dem Thema dranbleibt. In seinem neuen Buch, das am 2.Oktober erscheint, erinnert er sich:

"Jetzt glaube ich fast fünfzig Jahre lang an Gott, aber so was ist mir noch nicht passiert: Als ich am Montag, dem 3. April 2023, wenige Tage vor Ostern, mein Notebook aufklappte, lagen hundert neue Mails in meinem Postfach. Spam, dachte ich, was sonst? Zweifelhafte Angebote von Versicherungen, Schönheitskliniken, Erotikfirmen. Aber dann schaute ich genauer hin und erkannte, es waren […] Reaktionen auf meinen Text 'Unter Heiden' […] Ein persönlicher Essay darüber, dass ich mich als gläubiger Christ zunehmend unverstanden fühle, wie eine seltene Affenart, die man lieber von der anderen Seite eines Gitters aus bestaunt. Dass ich von Menschen, die sich noch nie mit meinem Glauben auseinandergesetzt und im Grunde keine Ahnung haben, was sie da eigentlich ablehnen, nicht ernst genommen oder sogar kritisiert werde, weil ich immer noch in der Kirche bin, in die Messe gehe und zu Gott bete, manchmal sogar auf Knien. Und dass ich schon verstehen kann, wenn man nach den vielen Missbrauchsfällen, die in den letzten Jahren ans Licht gekommen sind und eher widerwillig aufgearbeitet wurden, der Kirche den Rücken kehrt, dass ich aber auch glaube, dass uns etwas göttlicher Beistand guttun könnte, weil Google jede Frage beantworten kann, nur nicht die, wozu wir leben und was uns Halt gibt.“ (Tobias Haberl, Unter Heiden)

Auch ich bin von dem Essay in der Süddeutschen begeistert und besuche Tobias Haberl, der zehn Jahre älter ist als ich. Als Seelsorger und damit Mitarbeiter der Kirche, weiß ich, wovon er spricht, als er mir erzählt, wie undifferenziert ihm oft begegnet wird, wenn er sich als gläubiger Christ zu erkennen gibt:

"Ein großer Grund das Buch zu schreiben, war auch eine persönliche Erfahrung von mir, ich arbeite ja bei der Süddeutschen Zeitung, eher linksliberal, eher kirchenkritisch – viele meiner Kolleginnen und Kollegen können mit Gott nichts anfangen und mit Kirche schon gleich gar nichts anfangen. Und als jemand, der einfach mit der Kirche auch teilweise hadert, aber fest im Glauben steht, war das für mich interessant zu sehen, wie viele Menschen – wenn sie das Wort Kirche hören oder Religion hören oder Christentum hören – wirklich ausschließlich nur noch an Missbrauch denken, an Vertuschung, womöglich noch, wenn man zurückgeht in der Geschichte an Kreuzzüge und Hexenverbrennungen – aber sozusagen als wäre nur die negative Seite der Kirche, die ja da ist, die alleinig Wahre – und alle anderen, alle positiven Dinge: die Nächstenliebe, die Barmherzigkeit, das Evangelium, das Wort Gottes, das ewige Leben, die Kunst, die Kathedralen, die Klöster – Millionen von Menschen, die im Glauben stehen und im Namen Gottes Gutes tun, die fallen einfach unter den Tisch."

Warum ich Tobias Haberl so spannend finde? Er passt in kein Klischee. Er ist ein weitgereister, toleranter Kosmopolit und er ist gläubiger Katholik – steht in der Mitte seines Lebens, muss täglich up-to-date sein, weil er über unsere Welt berichtet… und trotzdem interessiert er sich leidenschaftlich für eine Dimension, die Raum und Zeit übersteigt!

Ein Intellektueller, der die erfolgreichsten zeitgenössischen Künstler und Schriftstellerinnen interviewt und dessen Wohnung, als ich ihn in der Isarvorstadt besuche, so hohe Decken hat, dass sich eine ganze Bibliothek darunter wölbt. Er aber will sein Leben vor allem an einem Buch orientieren – dem Buch der Bücher, der Bibel.

Und ein 1,90 Meter großer, sportlicher Typ, den ich als Genussmensch erlebe. Ich verabrede mich mit ihm auf einen Sauvignon Blanc in der Bar um die Ecke, um über Gott und die Welt zu reden – und stelle fest: Ja, der langjährige Autor der Kolumne "Getränkemarkt" im Magazin der Süddeutschen Zeitung interessiert sich für Spirituosen, aber vor allem interessiert ihn Spirituelles. Er selbst beschreibt sich in seinem Buch so:

"Vor Kurzem fragte ich einen Freund und überzeugten Atheisten, ob er dem lieben Gott mal wieder eine Chance geben wolle. Wenn er seine Seele retten wolle, werde es langsam Zeit, er könne mich gern in die Messe begleiten. Darauf meinte er, wenn es das Paradies wirklich gäbe, komme er sowieso vor mir rein. Und was soll ich sagen? Wahrscheinlich hat er recht […] Den meisten Versuchungen in meinem Leben habe ich nicht widerstanden. […] Wer mich nicht kennt, käme nie auf die Idee, dass ich ein religiöser Mensch bin. […] ich muss klarmachen, dass hier kein Religionslehrer oder Priesteranwärter, sondern ein ganz gewöhnlicher Sünder spricht, der seinen Glauben als wertvolles Korrektiv für ein ansonsten lustvolles Leben empfindet. Es ist nämlich so, dass mich mein Glaube immer wieder zurück ins Gleichgewicht schubst. Er beflügelt mich, wenn ich niedergeschlagen bin, und bremst mich, wenn ich übermütig bin." (Tobias Haberl, Unter Heiden)

Tobias Haberl schreibt als Redakteur auch selbst immer wieder über schöne Reisen oder Lifestyle-Themen. Ist ein Kind seiner Zeit und trotz einer gewissen nicht zu leugnenden Melancholie, die sein Buch und Denken durchzieht, lebt er gerne im Hier und Heute. Aber ihm ist es wichtig, dass Konsum und digitale Vernetzung nicht die Frage nach dem eigentlichen Sinn zuschütten. Deshalb ist für ihn Religion so wichtig. Als Journalist, dessen Handy den ganzen Tag fiept, ist das aber nicht immer leicht:

"Weil ich schon zu nervös bin, weil ich weiß in meinem Kopf sind so Spiegelstriche, was ich alles zu erledigen hab, aber manchmal gelingt es eben doch. Und das empfinde ich als tröstlich und gibt mir Kraft. Aber da wechseln sich auch Phasen ab, wo mir das besser gelingt und wo es schlechter gelingt, wo ich näher bei Gott bin und wo ich weiter weg von Gott bin."

Mich interessiert: Wer ist dieser Gott für Tobias Haberl? Und ich erlebe einen wortgewandten Journalisten, der nach Worten ringt:

"Tu ich mich ganz schwer, das zu formulieren. Ich kann es nicht formulieren. Es ist eine Liebe, eine weltumspannende Kraft, eine Energie. Also in dem Moment, wo man es sozusagen fasst, hat man schon danebengegriffen, weil Gott nicht greifbar ist. Gott ist Liebe, das trifft es vielleicht noch am ehesten."

Tobias Haberl ist geprägt durch seine katholische Kindheit im Bayerischen Wald – wer ihn deshalb aber als Hinterwäldler abstempelt, hat weit gefehlt. Mir gegenüber sitzt im Gespräch ein Mensch, der sich in seiner Arbeit aber auch privat immer wieder mit unterschiedlichsten Kulturen, Weltanschauungen und Religionen auseinandersetzt:

"Und für mich ist es immer ein großes Geschenk, Leute dabei zu beobachten, wie sie ganz anders glauben als ich. Ich fühl mich diesen Leuten auch viel näher als Menschen, die an gar nichts glauben. Ich bin in einem arabischen Land – es ist der gleiche Gott, aber es ist trotzdem sozusagen eine ganz andere Religion mit ganz anderen Prioritäten und Gewohnheiten und Riten – und ich fühl mich denen viel näher als sozusagen ganz überzeugten Atheisten, einfach nur weil sie glauben – weil sie eine Anbindung an die Transzendenz haben. Und das ist für mich ganz was Schönes ihnen bei der Ausübung des Glaubens zuzuschauen – das bezieht auch auf irgendwelche Stammeskulturen in Afrika oder auf Hinduisten in Indien – das ist für mich ein ganz, ganz großer Reichtum, was aber nichts daran ändert, dass ich durch und durch katholisch bin und auch froh darüber bin."

15 Jahre lang war Tobias Haberl mit einer vietnamesischen Partnerin zusammen, einer Buddhistin. Er schildert, wie der Glaube auch in seinem Beziehungsleben mit seiner Ex-Freundin eine große Rolle spielte, weil er für ihn etwas so Existentielles ist:

"Wir waren natürlich oft um ihre Familie zu besuchen in Vietnam oder überhaupt auch viele asiatische Länder gemeinsam bereist und ganz am Anfang der Beziehung, werd ich nie vergessen, hab ich sie in einen buddhistischen Tempel begleitet und sie ist eher so eine sehr zurückhaltende Person – sie würde nie damit angeben, oder prahlen oder es besonders deutlich hervorkehren wenn sie betet. Sie dachte ich bin ganz woanders, weil ich so einen kleinen Spaziergang gemacht hab und als ich zurückkam hab ich sie eben gesehen vor dieser Buddhastatue mit Räucherstäbchen in der Hand, wie sie so den Oberkörper vor- und zurückneigt, und so Wünsche gemurmelt hat, ganz zurückhaltend. Sie hat sich unbeobachtet gefühlt und das war natürlich ein ganz ganz wichtiger Moment in unserer Beziehung – obwohl sie etwas machte, was ich nie machen würde als katholischer Mensch, obwohl sie an was ganz anderes glaubt, nämlich an Wiedergeburt, als ich, ist sie mir dadurch irgendwie näher gekommen und ich fühlte mich ihr im Nachhinein verbundener als vorher, einfach nur weil sie etwas glaubt, weil sie fest in einem Glauben steht und weil sie genau wie ich eigentlich dieses Leben, von dem viele meinen dahinter kommt nichts mehr, nur so als Prüfung und Vorbereitung sieht, für etwas, was eben doch danach kommt."

Ist Tobias Haberl also über jeden Zweifel erhaben? Immer sicher und unerschütterlich im Glauben verankert? Keineswegs. Er schreibt:

"Wie Liebe und Freundschaft lässt sich auch der Glaube weder beweisen noch verordnen und schon gar nicht per Mausklick bestellen – er muss gewagt werden. Man kann Gott nicht belegen, aber man kann sich auf ihn einlassen, man kann ihm vertrauen. […] Viele scheuen diesen Schritt, […] aber wer das Risiko eingeht, wird mit Erfahrungen belohnt, die sich, ohne zu glauben, nicht machen lassen. Nein, ich kann Gott nicht beweisen und zweifle permanent an seiner Existenz, aber glauben ohne zweifeln, das geht nicht. […] Könnte Gott bewiesen werden, wahrscheinlich fände ich die Sache mit dem Glauben bald langweilig, wie eine Party ohne Drinks: Kann man machen, aber etwas Entscheidendes fehlt." (Tobias Haberl, Unter Heiden)

… schreibt der Kolumnist von "Getränkemarkt". Und der muss es ja wissen. Wissen und Glauben – das ist für Tobias Haberl kein Widerspruch. 

"Genau wie ein mündiger Glaube die Naturwissenschaften nicht in Frage stellt, sondern ergänzt, schließt verantwortungsvolle Wissenschaft den Glauben nicht aus. Der Punkt, wo das Wissen aufhört, und der Glaube beginnt, hat nichts mit Irrationalität zu tun, sondern macht die Grenzen der Vernunft erst deutlich."

Und er benennt auch die Radikalisierung von Religion, die er entschieden ablehnt: Wenn Menschen den Glauben für ihre eigenen Interessen missbrauchen und fundamentalistisch von allen anderen einfordern. Gott zu suchen – das ist für Tobias Haberl niemals mit Gewalt möglich, auch nicht mit Geschrei und frommem Gehabe – eine Verzweckung des Glaubens oder ein Zurschaustellen, ein Posen mit Religion – das ist ihm zuwider.  Was er hingegen entdeckt hat für sich ist der Weg in die Stille, von der es viel zu wenig gibt:

"Ist es nicht erstaunlich, woran wir uns inzwischen alles gewöhnt haben? Die Stille halten wir kaum aus […] Oder haben Sie noch nie den Anflug von Panik gespürt, wenn einem bewusst wird, dass man ein Hotelzimmer ohne WLAN gebucht hat? Dabei kann einem nichts Besseres passieren, weil das digitale Dauerrauschen echtes Hören und damit die Erfahrung des Göttlichen verhindert; erst in der Stille können wir lauschen – und beten.“ (Tobias Haberl, Unter Heiden)

Tobias Haberl ist streitbar, manchmal auch bewusst provokant. Das merke ich auch, als wir uns über unsere Bilder von Kirche austauschen. Denn es gibt einiges, was ich in der Frömmigkeit von Tobias Haberl nur schwer nachvollziehen kann: Etwa, wenn er von der Ästhetik der Alten Messe auf Latein schwärmt. Da ist er konservativer als ich. Als Seelsorger in der Jugendarbeit mache ich die Erfahrung, dass wir nicht weniger, sondern sehr viel mehr moderne Formen der Verkündigung benötigen, weil die frohe Botschaft in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft sonst nicht mehr verstanden wird. Ich konfrontiere ihn mit meiner Sicht und Tobias Haberl ist ein Mensch, der das mag. Der sich erklärt. Der widerspricht. Der sich nicht einordnen lässt in eine Schublade – denn er ist weder Traditionalist noch Reformer. Manchmal geht er auch zu Rainer Maria Schießler in die Messe, dem Revoluzzer-Pfarrer aus München – und kann auch ihm und seiner Art Gottesdienst zu feiern, einiges abgewinnen. Das macht eine Unterhaltung mit ihm so spannend. Und je mehr wir im Dialog miteinander sind, desto besser verstehen wir das Anliegen des Andern und merken, dass wir doch das Wesentliche teilen. Denn auch für mich ist Kirche ja mehr als ein humanistischer Wohlfahrtsverband.  Wir setzen verschiedene Schwerpunkte – Haberl mehr im liturgischen oder kontemplativen Bereich, ich mehr im Politischen und der Gemeinschaft – aber beides gehört zu Kirche. Und beides sind letztlich zwei Seiten einer Medaille. So schreibt er auch in seinem Buch:

"Ich träume von einer Kirche, die beides ist: […] eine göttliche Offenbarung und eine vertrauenswürdige Institution. Mystik und Metaphysik auf der einen, Transparenz und Verantwortung auf der anderen Seite. Eine Kirche, die alle Menschen nicht theoretisch, sondern wirklich liebt, ohne das Göttliche zu entzaubern. Eine Kirche, die für das ewige Leben betet, ohne das irdische zu vernachlässigen." (Tobias Haberl, Unter Heiden)

Was Tobias Haberl nicht will – und ich auch nicht:  Dass die Kirche aus einer Position der Schwäche heraus zu allem "Ja und Amen" sagt, was gerade "in" ist – Kirche muss gegebenenfalls unbequem bleiben. Jesus war es auch. Und muss sich doch immer wieder reformieren. So kann er sich eine Diskussion über die Abschaffung des Pflichtzölibats durchaus vorstellen. Und Tobias Haberl setzt sich für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ein. Kirche muss Wege finden, um auch heute gehört zu werden, findet er, ohne aber dabei den Inhalt des Glaubens zu verwässern. Und als ich ihm ein Erlebnis als Religionslehrer erzähle, da spüre ich, dass wir gemeinsam dafür brennen, dass auch der caritative Gedanke des Christentums in unserer Gesellschaft nicht verloren geht: Vor einiger Zeit fragte ich Sechstklässler, was Nächstenliebe ist. Stille in der Klasse.

Dann meldete sich Jeremy: "Vielleicht liebst du heute die eine, morgen die Nächste?" Ich war sprachlos. Tobias Haberl ist es auch. Und auch er findet es dramatisch, wenn Grundbegriffe des Christentums, die über Jahrhunderte Gesellschaft geprägt haben, im Nirvana verschwinden. Denn es braucht in unserer von Einsamkeit und Vereinzelung geprägten Gesellschaft dringend Menschen, die Nächstenliebe tatsächlich leben – die sich auch politisch einsetzen für Menschen in Not. Es braucht Seelsorger, Seelsorgerinnen und Ehrenamtliche mit offenen Ohren und weitem Herz. Sonst ist nicht nur die Kirche, sondern auch unsere Gesellschaft ärmer und kälter. 

"Ich glaube man kann Gott auf sehr, sehr viele Arten begegnen und ihm auch lauschen und sozusagen seinem Wort zuhören in der Begegnung mit anderen Menschen. Mit Tieren. Mit Pflanzen. In Musik, In Kunst. Ich glaub dass Gott sich auf mannigfaltige Art und Weise offenbart – ich werde nur immer skeptisch, wenn Leute die Kirche und die Liturgie am liebsten weglassen würde – wenn sie sagen: Ich muss doch nicht in die Kirche gehen, um Gott zu spüren ich kann doch bergsteigen oder ich kann doch ins Taylor-Swift-Konzert gehen, also ich glaub das sind Möglichkeiten das Göttliche zu spüren, aber für mich gehört die Messe schon dazu, weil sie mich Gott auf eine andere Art spüren lässt und mich immer wieder heftig daran erinnert, was das Christentum eigentlich ist und worum es geht, wenn ich immer wieder in Gottes Gegenwart eintauche, wenn ich das Wort Gottes höre im Evangelium oder auch nur eine gute, gelungene Predigt – das verwandelt mich immer wieder ein bisschen."

Und Tobias Haberl sagt mir: Er bekommt dort etwas, was er sich selbst nicht geben kann:

"Und irgendwann stellt sich so eine Gelassenheit ein und so ein innerer Frieden, der immer noch von Angst und von Tragik und von Problemen überschattet ist, aber da ist trotzdem so ein Licht und so eine Kraft, dass man geführt wird, dass man gehalten wird, und das ist einfach ein großer Trost und ein großer Schatz.'Ich werde bei euch sein bis ans Ende aller Tage', das ist nur so ein Satz, aber manchmal kommt mir der in den Sinn und ich glaube dann: 'Ja, da ist wirklich jemand bei mir bis ans Ende aller Tage, im Schmerz und selbst im Tod und vielleicht sogar über den Tod hinaus.'"

Diesen starken Glauben hatte Tobias Haberl nicht immer – er kennt die Zeiten, in denen er sich mit Gott und Kirche schwer tat aus der eigenen Biografie nur zur gut:

"Ich bin regelmäßig in die Kirche gegangen bis ich 20 war – dann kam aber eine lange Phase, wo ich sehr weit weg war – von der Kirche sowieso, auch vom Glauben, ich würde nicht sagen komplett weg, da war immer irgendwie eine Verbindung, aber ich bin zum Beispiel jahrelang nicht in die Messe gegangen. Dass ich das in den letzten Jahren wieder verändert hat, hat glaub ich viele Gründe – das sind natürlich Lektüren, ganz wichtig Begegnungen mit Menschen – gläubigen Menschen, die ich nicht kennengelernt hab, weil sie glauben, sondern ich habe sie kennengelernt und hab dann bemerkt: Sie glauben. Und man redet natürlich über dieses Thema, redet über Gott, redet über die Kirche. Und bin einfach zu dem Schluss gekommen, dass eine Gesellschaft, vor allem eine moderne, freiheitliche, sehr stark digitalisierte Gesellschaft sowas wie den Glauben und ehrlich gesagt auch die Kirche dringend nötig hat. Dass diese totale Machbarkeit, dass diese inzwischen schon fast gespenstischen technologischen Möglichkeiten irgendwie eine Art von Korrektiv brauchen, ein Wertefundament brauchen, das für mich im Glauben und auch von der Kirche transportiert wird."

Dazu zählen auch Fragen rund um die Bioethik. Als gläubiger Katholik wünscht sich Tobias Haberl, dass auch die Kirchen sich bei den Fragen rund um Leben und Tod in die gesellschaftliche Meinungsbildung einbringen und dass sie betonen, dass der Mensch immer auch gebrechlich, schwach, endlich ist. Dass Trauer, Behinderungen oder Krankheit keine Makel sind, sondern menschlich:

"Da würde ich sagen muss die Kirche sich immer wieder einmischen und sich in Erinnerung rufen und zwar genau diese Themen, die in unserer Gegenwartslogik an den Rand gedrängt, übertüncht, oder als zu schwierig empfunden werden. Die Menschen brauchen diese Themen und auch den Trost und die Hoffnung."

Tobias Haberl zu begegnen ist spannend und bereichernd. Es geht schnell um die ganz großen Fragen. So eine stelle ich ihm auch zum Schluss unseres Gesprächs: Tobias, was ist für dich der Sinn des Lebens? Der Journalist überlegt lange, bevor er eine Antwort gibt:

"Der Sinn im Leben: Also natürlich letztlich zu Gott zu finden religiös gesprochen und ansonsten kann ich nur ganz banal und aufrichtig antworten, was ich jeden Tag versuche: Nämlich etwas Gutes zu hinterlassen, etwas Gutes in die Welt zu bringen und Begegnungen zu erleben, aus denen irgendwas entsteht."

Die redaktionelle Verantwortug für die Sendung hat Martin Korden.

Musik:

At your Side – The Corrs Unplugged

Make you feel my love – Mads Langer

Poor wayfaring stranger – Swingle Singers

Perfectly Imperfect – Declan J Donovan

My love is your love – Whitney Houston

Literaturhinweis:

Tobias Haberl, "Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe", btb-Verlag, München 2024, ISBN 978-3-442-76287-3

Über den Autor Christopher Hoffmann

Christopher Hoffmann, geboren 1985 im Hunsrück, ist Pastoralreferent und Rundfunkbeauftragter bei der Katholischen Rundfunkarbeit am SWR.  Nach dem Studium der Theologie in Trier und Freiburg und der Seelsorgeausbildung im Rheinland ist er aktuell in der Pastoral für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Raum Neuwied aktiv. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er am ifp in München. In seiner Freizeit liebt er Musik und singt seit vielen Jahren in verschiedenen Bands und Chören.

Kontakt: christopher.hoffmann@bistum-trier.de