"Ja, mit meinem Lied wollte ich ja Jesus Christus lobpreisen und dass das nun solche Ausmaße annimmt, hätte ich nicht für möglich gehalten, also das berührt mich schon sehr."
Dass Thomas M. diese Sätze einmal sagen kann, das hätte er wohl selbst nicht für möglich gehalten. Thomas M. heißt in Wirklichkeit anders. Er ist kein professioneller Komponist oder Musiker; und doch hat er gerade mit einer Komposition für Aufmerksamkeit gesorgt. Er hat einen Preis für sein Lied gewonnen und das Stück wurde vom mdr-Rundfunkchor vertont und aufgeführt. Das Besondere außerdem: Thomas M. ist in der forensischen Klinik Uchtspringe in Sachsen-Anhalt untergebracht. Im "Maßregelvollzug", wie das im Amtsdeutsch heißt. Was das ist, erklärt die Leiterin Laura Fleischmann:
"Im Maßregelvollzug befinden sich Personen, die eine Straftat begangen haben und dabei aber in einem psychischen Zustand sich befunden haben, der entweder zu einer Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit geführt hat oder die während der Tat aufgrund ihrer Suchterkrankung nicht schuldfähig oder vermindert schuldfähig lediglich waren."
Und die doch nach Einschätzung von Experten für die Allgemeinheit noch gefährlich sind. Thomas M. ist einer davon. Von der ersten Idee bis zur Aufführung seiner Komposition war es ein weiter Weg. Und ein innerer Prozess, der ihn auch spirituell geprägt und mit Fragen von Schuld und Versöhnung konfrontiert hat:
"Ich bin auf dem Freihof im Maßregelvollzug immer Runden gedreht und hab mir das Lied dann einfallen lassen. Ich hab das aus Bibelversen zusammengesetzt; was in der Bibel so drinne steht. Und hab das dann zum Lied komponiert."
"Neugeboren" heißt sein Lied. Es erzählt auch viel von ihm selbst. Von seiner Veränderung. In der ersten Strophe schreibt er:
Mein Herr hat mir gezeigt,
was Glaube, Hoffnung und Liebe ist.
Mein Herr hat mich befreit,
als ich erkannte den Egoist.
Denn mein Herr ist Jesus Christ.
Dass die Gedanken in seinem Kopf zu einer Komposition wurden, das geht auch auf die Initiative von Musiktherapeutin und -Pädagogin Sandra Sinsch-Gouffi zurück. Im Maßregelvollzug Uchtspringe arbeitet sie mit den Untergebrachten in der Musiktherapie:
"Und ich arbeite dann danach, dass ich schaue, welche Ressourcen sind da, welche Ressourcen brauchen wir noch, welche sind vielleicht ein bisschen verschüttet, dass wir sie nach vorne kitzeln. Und danach orientiert sich die Arbeit. Und bei dem Thomas M. war es ganz klar, die Spiritualität für ihn eine riesengroße Ressource. Er hatte immer schon eine sehr gute Beziehung zu Gott und auch zu Jesus im Speziellen. Er bringt eine religiöse Biografie mit. Er hatte diesen Wunsch, ich möchte wirklich ein Lied schreiben, um meinen Glauben auszudrücken. Aber er hatte weder ein Instrument gespielt, noch konnte er Noten lesen. Und das war jetzt so die Herausforderung, wie kriegen wir das jetzt hin?"
Die Harfe war ein Türöffner für die Gedanken und Gefühle von Thomas M. Das ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Harfe diese Seiten/Saiten von ihm im wahrsten Sinn des Wortes zum Schwingen gebracht hat, sagt Sandra Sinsch-Gouffi:
"Die Harfe spielt hier überhaupt in diesem Setting eine ganz große Rolle, weil die einerseits eine super beruhigende Wirkung hat. Wir wissen ja z.B. vielleicht der erste Musiktherapeut war David, der den bösen Geist bei Saul befriedet hat in dem Sinne. Und Harfen spielen in der Geschichte des Beruhigens von Menschen eine zentrale Rolle, weil mit dem Satz 'Jetzt beruhig dich doch mal', hat sich in der jahrtausendalten Geschichte des Beruhigens noch nie jemand beruhigt. Aber Harfen können das. Das wusste man auch bei den alten Griechen schon, das Instrument ist der Körper. Und wenn die Saiten gezupft werden, geraten die Nerven in Schwingung und es korrigiert sich."
Die Tischharfe, die Sandra Sinsch-Gouffi in der Musiktherapie benutzt, ist ganz barrierefrei, sagt sie. Man braucht keine Vorkenntnisse. Eine Notenschablone unter den Saiten zeigt an, welche wie und in welcher Reihenfolge gezupft werden sollen, damit eine schöne Melodie entsteht. Eine Melodie, die die Seele berührt:
"Und wir haben hier die Klangtherapie für Patienten, die noch sehr psychotisch sind. Und wie man das z.B. auch in Klöstern im Mittelalter gemacht hat, da gab es auch diese Harfentherapien, weil es sind Instrumente des Übergangs. Also man spielt es auch bei der Sterbebegleitung, aber auch solche Prozesse. Und wir haben ja auch einen Übergang hier, das heißt von einem straffälligen Leben in ein geordnetes Leben, wieder mitten in die Gesellschaft."
Und auch deshalb passt es, dass die autobiographische Komposition von Thomas M. "Neugeboren" heißt.
Mein Herr hat mir gezeigt,
was Glaube, Hoffnung und Liebe ist.
Mein Herr hat mich befreit,
als ich erkannte den Egoist.
Denn mein Herr ist Jesus Christ.
"Das ist natürlich auch super, weil das zeigt so, ich erlebe mich als jemand, der etwas geschafft hat, der etwas leistet. Und ich bin jetzt nicht nur defizitär, ich bin mehr als mein Delikt. Und das ist auch mein Ansatz. Ich arbeite mit Menschen, nicht mit Delikten. Da ist dann auch wieder die spirituelle Perspektive, egal welche monotheistische Religion ich da anlege. Es gibt dieses 'Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein'. Ich habe nicht das Recht zu verurteilen, aber ich sollte helfen. Oder dieser Satz von Rumi: 'Komm, wer auch immer du bist!"
Im Maßregelvollzug in Uchtspringe in Sachsen-Anhalt leben Straftäter, die wegen einer psychischen oder Suchterkrankung nicht oder nur vermindert schuldfähig sind, aber dennoch für die Allgemeinheit noch gefährlich sind. Einer davon ist Thomas M. Er hat zusammen mit Musiktherapeutin Sandra Sinsch-Gouffi ein Lied komponiert, in dem er sich mit seinem Leben beschäftigt. "Neugeboren", heißt es:
"Neugeboren, das hat ja so diesen Ansatz, ich war der Egoist. Ich wusste jetzt eigentlich gar nicht, ich war wie im Dunkeln im finsteren Wald, wenn man jetzt das mal metaphorisch sieht. Und durch die Begegnung halt mit Jesus hat ihm das gezeigt: Da ist Liebe. Und durch diese Liebe und auch dieses Vertrauen in Jesus ist die Umkehr jederzeit möglich."
Das hat für die Musikpädagogin nicht nur eine religiöse, sondern auch eine ganz konkrete und praktische Bedeutung:
"Das heißt, ich kann in ein anderes Leben hineingehen. Ich bin nicht festgelegt darauf, ein Straftäter zu sein oder sogar ein psychisch kranker Straftäter, sondern ich kann mich ändern, wenn ich will, eben mit Gottes Hilfe. Und ich denke, das ist die zentrale Botschaft, die auch sehr vielen Menschen in solchen Situationen Hoffnung machen kann. Ich bin mehr als mein Delikt. Und wenn ich was habe, wo ich drauf vertrauen kann, gibt mir das auch Stärke, dass ich wirklich diese schwere Prüfung von der Haft oder von der Unterbringung bestmöglich hinter mich bringe, um dann halt einfach ein anderes Leben zu führen."
Mein Herr, der sprach das Wort,
das der Welt Licht bracht an finstrem Ort.
Was niemand damals begriff –
eine Umkehr jederzeit möglich ist.
Denn mein Herr ist Jesus Christ.
Thomas M. erzählt in "Neugeboren" auch von sich selbst; von seiner spirituellen Suche, seinen Fragen nach Schuld und Vergebung, nach Umkehr und dem, was ihm im Leben wichtig geworden ist. Sein Lied wurde beim Kunstwettbewerb für Strafgefangene in Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr mit dem ersten Preis ausgezeichnet. In der Projektbeschreibung für den Wettbewerb erklärt Thomas M.:
"Spiritualität ist sehr wichtig für mich, denn das gibt mir viel Kraft. Das darf aber nicht einfach Selbstzweck sein. In der Vergangenheit war ich ein ziemlicher Egoist. Was Glaube, Hoffnung und Liebe wirklich bedeutet musste ich überdenken. Glaube, Hoffnung und Liebe sind die wichtigsten Dinge im Leben. Das habe ich nun verstanden und das macht mich aus. Daher bin ich auf einem guten Weg und auf diesem guten Weg will ich weiter sein."
Der Weg geht noch weiter. Thomas M. ist noch in der Forensik untergebracht. Seine Prognose ist gut, sagen seine Betreuer, dass er eines Tages wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann, auch außerhalb der Forensik. Das ist das Ziel der therapeutischen Begleitung, sagt Vollzugsleiterin Laura Fleischmann:
"Ich glaube, das ist generell eine Grundbedingung, um hier zu arbeiten, dass man nicht nur davon ausgeht, dass es Straftäter sind, sondern auch, dass es Menschen sind, die einer Therapie bedürften; die eine zweite Chance verdienen. Und unter diesen Gesichtspunkten ist es natürlich für uns essenziell, dass wir eben solche Projekte wie die Musiktherapie fördern."
Es geht um den Menschen, nicht um die Akte oder die Straftat allein. Das ist auch der Ansatz von Musikpädagogin Sandra Sinsch-Gouffi:
"Ich arbeite auf der Basis dieses 'Good Lives Model'. Das GLM ist von einem Psychologen entwickelt worden und ist sehr ressourcenorientiert. Und es besagt, dass man nicht mehr straffällig wird, wenn bestimmte Faktoren im Leben vorhanden sind, die jeder Mensch braucht, um glücklich zu sein. Das ist z.B. gut sein in der Freizeit, das ist eine Arbeit haben, das ist Community, das sind Beziehungen. Und ein Punkt dabei ist eben auch die Spiritualität."
So können Straftäter mit Musik auch Hoffnung im Glauben finden. Bei Thomas M. war es sogar eine eigene Komposition, mit der er zusammen mit der Musiktherapeutin seine Gedanken und Sehnsüchte in Worte und in Noten gefasst hat:
"Die Komposition ist ja ein Prozess, in dem ich mich permanent selbst reflektiere. Das hat sich hier auch in dem Setting herausgestellt. Es ist so beliebt, weil ich gehe in die Auseinandersetzung mit mir und dem Werk, das ich schaffe. Also ich reflektiere, ich diskutiere mit mir selber, ich korrigiere, ich ändere und ich entwerfe einen Plan, ich entwerfe ein Konzept. Und man lernt da eine ganz neue Art eben über die Musik, sich auch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und das bedeutet dann auch in einem künstlerischen Prozess, dass ich vielleicht auch mal meine blinden Flecke anschaue und mir auch das anschaue, mit dem ich mich so noch nicht mit auseinandersetzen wollte. Und da kann es natürlich eine Hilfestellung leisten."
Oh Licht der Wahrheit leuchte mir,
mein ganzes Leben fleht ich zu dir.
Als meine Erleuchtung kam,
nahm Jesus fest mich in den Arm.
Denn mein Herr ist Jesus Christ.
"Die wichtige Botschaft daran ist: Wenn ich selber an mir arbeite, auch dieses Vertrauen habe und mir auch Hilfe suche, wenn ich sie brauche, dann kann ich mich ändern und dann kann ich einfach zurückkehren ins Leben. Und es gibt natürlich auch der Gesellschaft im Idealfall Sicherheit, weil das ist natürlich auch da draußen ein ganz großes Problem, dass Menschen, die aus einer Unterbringung kommen, stigmatisiert sind. Und ich denke mal, je effektiver und ressourcenorientierter wir hier arbeiten, desto besser lassen sich auch Barrieren in der Gesellschaft abbauen."
Im Maßregelvollzug in Uchtspringe bei Stendal begleitet Musiktherapeutin Sandra Sinsch-Gouffi Straftäter, die nur vermindert oder gar nicht schuldfähig sind, aber dennoch für die Allgemeinheit noch gefährlich sind. In der Therapie mit Thomas M. ist ein Musikstück entstanden, in dem er seine spirituelle Geschichte erzählt. Das Lied hat einen Preis gewonnen und die Erfolgsgeschichte ging noch weiter. Was mit einer einfachen Tischharfe und dem ungeübten Gesang von Thomas M. begonnen hat, zog weitere Kreise. Die Therapeutin kam in Kontakt mit dem Musikredakteur Ekkehard Vogler vom Mitteldeutschen Rundfunk. Und der begeisterte sich für das Projekt:
"Als die Frau Sinsch-Gouffi mir das geschickt hat, hab ich gedacht: nee, das müssen wir jetzt machen. Weil das ist so schlicht und so aus der Seele heraus geschrieben, dass ich sofort gedacht hab, dieses Lied für einen professionellen Konzertchor von einer einfühlsamen Arrangeurin arrangieren lassen, das wird ein Highlight."
Gesagt, getan. Das kleine Lied von Thomas M. wurde für den MDR-Rundfunkchor arrangiert.
"Und dann wurde also diese einfache Komposition, ein Sänger, der sich selber auf der Tischharfe begleitet, gesetzt für einen Rundfunkchor, einer der besten Rundfunkchöre in Deutschland und da auch aufgeführt. Und das war ein total besonderer Moment. Ich war da auch im Publikum, ich habe ihn beobachtet bei dieser Aufführung. Das war so ein 'Once in a lifetime Erlebnis."
"Sensationell. Ich bin tief ergriffen – mit so viel Gefühl gesungen, rübergebracht. Das ist einer meiner schönsten Momente, die ich bisher hatte in meinem Leben."
Aus den zunächst ungeordneten Gedanken eines Menschen in der Forensik wurde ein Musikstück, das für den mdr-Rundfunkchor arrangiert und dann auch in Uchtspringe aufgeführt wurde. Für Thomas M. ein besonderes Erlebnis, ein innerer Weg und eine Erkenntnis. In der letzten Liedstrophe schreibt er:
Seitdem bin ich neu gebor‘n,
zur Vergebung bin ich auserkor`n.
Ich kenne ihn, der Anfang ist,
sein Name, der ist Jesus Christ.
Denn mein Herr ist Jesus Christ.
"Also ich denke mal, solche Erfolge, ob jetzt mit oder ohne Preis, weil der Preis ist ein nettes Nebenprodukt, aber das ist natürlich jetzt nicht Ziel von diesem ganzen Prozess. Es ist natürlich schön, wenn es passiert. Das stärkt einfach die Selbstwirksamkeit. So eine Arbeit, z.B. eine Komposition vollendet zu haben, gibt einem Menschen so die Sicherheit, ich kann es leisten, wenn ich es anpacke. Und wenn ich diese Aufgabe schaffe, dann schaffe ich auch andere Aufgaben."
Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.
Musik:
"The Lord Bless You And Keep You" – John Rutter
"Prolog" aus "Schweigeminute" – Gert Wilden Jr.
"Jugend ohne Gott“"aus "Jugend ohne Gott" – Enis Rotthoff
"Schiffsbestattung" aus "Schweigeminute" – Gert Wilden Jr.