Es ist das Gelb, das in Erinnerung bleibt. Ein helles intensives Licht, das von dem Tisch ausgeht und sich in den Gesichtern der Männer spiegelt… Der expressionistische Maler Emil Nolde hat Anfang des 20. Jahrhunderts ein Bild gemalt, das er "Pfingsten" nannte. Es zeigt, wie die Jünger Jesu mit weit geöffneten Augen und teilweise mit offenem Mund um einen Tisch in Andacht versammelt sind. Aber nicht in sich ruhend, sondern in Anspannung.
Über ihren Köpfen züngelnde Flammen, das bekannte biblische Symbol dafür, dass sie von einem besonderen Geist ergriffen sind. Die Flammen sind lila, die Augen grün – typisch für den expressionistischen Stil mit seiner neuen Art, Farbe zu verstehen: impulsiv und unruhig.
Und noch etwas ist auffällig an diesem Bild: die Hände. Die mittlere Figur, die vielleicht den Apostel Petrus darstellt, hält sie vertikal zusammengefaltet betend; auf seinen Schultern ruht die bestärkende Hand des Apostels dahinter; und im Vordergrund sind zwei Hände in einer brüderlichen Geste fest zu einer Faust zusammengeschlossen. So vermittelt das Bild den Eindruck von Zusammenhalt und Entschlossenheit. Und: Der Kreis der Männer ist offen zum Betrachter hin: Er wird unausgesprochen eingeladen, auch ein Teil dieser Gemeinschaft zu werden.
Nur ein nicht unwesentliches Detail hat der Maler Emil Nolde unterschlagen: Die Frauen, die im neutestamentlichen Bericht vom Pfingstereignis ausdrücklich erwähnt werden, darunter auch Maria, die Mutter Jesu, – sie sind auf seinem Gemälde nicht zu sehen.
"Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab." (Apg 2, 1-4)
Die Jünger waren ratlos, mutlos und enttäuscht
Der Tag des Pfingstfestes meint im Judentum das Fest Schawuot. Es feiert die Übergabe der Zehn Gebote an Moses und findet 50 Tage nach Pessach, dem Frühlingsfest statt, das an die Flucht der Israeliten aus Ägypten erinnert. Zur Zeit Jesu war Jerusalem an diesem Tag mit tausenden von Pilgern überfüllt. Wir erfahren, dass die kleine Gruppe der Anhänger Jesu ebenfalls in der Stadt versammelt ist; heimlich, denn sie gelten als Staatsfeinde. Hinter verschlossenen Türen harren sie der Dinge, ratlos und mutlos, enttäuscht von der tragischen Wendung der Dinge, die mit der grausamen Hinrichtung ihres Lehrers wenige Wochen zuvor ihren Höhepunkt erreicht hatte. Und dann ereignet sich etwas Aufsehenerregendes:
"In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie waren fassungslos vor Staunen und sagten: Seht! Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden?
Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Kyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber – wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden. Alle gerieten außer sich und waren ratlos. Die einen sagten zueinander: Was hat das zu bedeuten? Andere aber spotteten: Sie sind vom süßen Wein betrunken." (Apg 2, 5-13)
Es ist ein Sprachenwunder, oder genauer: ein Verständniswunder, das hier so ausführlich mit der Nennung der verschiedenen Volksgruppen beschrieben wird. Obwohl die Leute von überall her aus der damals bekannten Welt stammen und alle verschiedene Muttersprachen haben, können sie die Jünger Jesu in ihrer je eigenen Sprache verstehen.
Der Geist hat bewirkt, dass ein neues Verstehen möglich wurde. Unvermittelt wird man an ein anderes biblisches Ereignis erinnert, bei dem es auch um Sprache und Verstehen geht: Beim Turmbau zu Babel verwirrt Gott die Sprachen der Bauleute, sodass sie sich nicht mehr verstehen können und der Weiterbau des Turmes unmöglich wird. Das neutestamentliche Pfingstgeschehen klingt wie eine Umkehr des Sprachenwirrwars von Babylon, eine Art Wiedergutmachung des damaligen Desasters.
"Da trat Petrus auf, zusammen mit den Elf; er erhob seine Stimme und begann zu reden: Ihr Juden und alle Bewohner von Jerusalem! (...) Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint; es ist ja erst die dritte Stunde am Tag; sondern jetzt geschieht, was durch den Propheten Joël gesagt worden ist: In den letzten Tagen wird es geschehen, / so spricht Gott: / Ich werde von meinem Geist ausgießen / über alles Fleisch. / Eure Söhne und eure Töchter werden prophetisch reden, / eure jungen Männer werden Visionen haben / und eure Alten werden Träume haben. (...) Israeliten, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, einen Mann, den Gott vor euch beglaubigt hat durch Machttaten, Wunder und Zeichen, die er durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst – ihn, der nach Gottes beschlossenem Willen und Vorauswissen hingegeben wurde, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht.
Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt; denn es war unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde. (...) Dafür sind wir alle Zeugen. Zur Rechten Gottes erhöht, hat er vom Vater den verheißenen Heiligen Geist empfangen und ihn ausgegossen, wie ihr seht und hört."
Feuerzungen oder Jesus sanfte Worte?
Die Umstände des Geistwirkens am Pfingstfest, das Brausen vom Himmel, haben eine große Ähnlichkeit mit dem Geschehen am Berg Sinai, als Moses aus der Hand Gottes die Tafeln mit den Zehn Geboten entgegennimmt. Im Buch Exodus ist zu lesen, dass das Sinai-Gebirge in Rauch gehüllt war, als Gott im Feuer in Erscheinung tritt. "Der Rauch stieg vom Berg auf wie Rauch aus einem Schmelzofen. Der ganze Berg bebte gewaltig" (Ex 19,18), so heißt es da.
Im neutestamentlichen Pfingstgeschehen finden wir die Elemente von Feuer und Wind wieder, diesmal jedoch ohne einen Anklang von Furcht. Das Feuer nimmt die Gestalt von Zungen an, die auf einen jeden der Jünger niederkommen. Es klingt wie eine Art Feuertaufe der Jüngergruppe zu einer verschworenen Gemeinschaft, gestiftet durch die Kraft des göttlichen Geistes. Und sofort wird erkennbar, wie dieser Geist einer Gruppe neues gemeinschaftliches Leben verleiht und für Aufbruchstimmung sorgt.
Einen ganz anderen Zugang zum Wirken des göttlichen Geistes liefert das Johannesevangelium. Hier ist gar nicht die Rede von einem späteren Pfingsttag und den Aufsehens erregenden Zeichen in Jerusalem. Die göttliche Geistsendung ist zeitlich vielmehr direkt an die österliche Auferstehung gebunden, genauer an den Abend des Ostertages:
"Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! (...) Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus sagte (...) zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!" (Joh 20, 19 - 23)
Die Vermittlung des Geistes geschieht hier viel sanfter als in der Schilderung der Apostelgeschichte. Und sie erinnert an die Erschaffung des Menschen in der biblischen Urgeschichte (Gen 2,7). So wie dort, ist es hier ein eher leiser Hauch, der für Vitalität sorgt. Zugleich bewirkt der göttliche Anhauch geistige Klarheit und Verstehen. Jetzt haben die Anhänger Jesu begriffen, um was es geht: Vor aller Welt sollen sie Zeugnis ablegen, dass dieser Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern auferweckt wurde.
Gott vergisst die Menschen nicht
Was zuvor noch rätselhaft war, wird durch die Gabe des göttlichen Geistes plötzlich klar. Jetzt verstehen wir, sagen sie zueinander. Wenn es stimmt, dass Gott seinen geliebten Sohn von den Toten auferweckt hat, dann hat er an ihm etwas getan, was umfassend erst für die Endzeit erwartet wird; er hat jetzt schon in einem ganz neuen Sinn schöpferisch gehandelt.
Das ist die grundlegende Botschaft des Neuen Testaments. Sie greift eine pharisäische Tradition auf: die Vorstellung von der Auferstehung der Toten am Ende der Zeit. Gott wird jene, die seine Gebote gewissenhaft einhalten und deshalb verfolgt und vielleicht sogar umgebracht werden, nicht vergessen, sondern sie auferwecken am jüngsten Tag.
Und das ist im Blick auf Jesus jetzt bereits geschehen, wie Petrus in seiner Pfingstrede sagt: Gott hat ihn aufgeweckt. Die Endzeit hat begonnen. Jesus ist der von Gott aus dem Tod auferweckte Messias. Und an ihnen, seinen Jüngern, liegt es nun, diese Botschaft in die Welt hinauszutragen.
Das Besondere des Heiligen Geistes, wie er im Pfingstereignis beschrieben wird, sind seine Wirkungen: Als kosmische Kraft umfasst er die ganze Schöpfung, er bewegt, er sorgt für Aufbruch und Dynamik, für Belebung und Frische, für Freude und Optimismus.
In einem berühmten Lied hat die Südtiroler Dichterin Marie-Luise Thurmair aufgezählt, wo der Geist Gottes überall wirkt: Berge, Täler, Feuer und Wasser werden vom Geist durchweht, aber auch Seher und Propheten sind von ihm ergriffen: "gewaltig und unbändig", wie es heißt: "wohin sein Feueratem fällt, wird Gottes Reich lebendig."
Das große Wirken des Geistes
Aber nicht nur Kräfte der Natur brechen los, sondern auch ganz konkrete moralische Tugenden werden dem Wirken des Geistes zugeschrieben. Der Apostel Paulus zählt in seinem Brief an die Gemeinde in Galatien die Gaben des göttlichen Geistes detailliert auf, interessanterweise handelt es sich dabei gar nicht um überbordende Emotionen, sondern vor allem um eher stille und friedfertige Charakteräußerungen:
"Die Frucht des Geistes aber sind Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung; (...) Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen. Wir wollen nicht prahlen, nicht miteinander streiten und einander nichts nachtragen." (Galater 5, 22–26)
Noch anschaulicher spricht ein mittelalterlicher Hymnus vom Wirken des göttlichen Geistes. Er stammt von Stephen Langton, einem englischen Bischof:
"Komm, o Geist der Heiligkeit!
Aus des Himmels Herrlichkeit
Sende deines Lichtes Strahl!
Vater aller Armen du,
Aller Herzen Licht und Ruh’,
Komm mit deiner Gaben Zahl!
Tröster in Verlassenheit,
Labsal voll der Lieblichkeit,
Komm, du süßer Seelenfreund!
In Ermüdung schenke Ruh’,
In der Glut hauch Kühlung zu,
Tröste den, der trostlos weint.
O du Licht der Seligkeit,
Mach dir unser Herz bereit,
Dring in unsre Seelen ein!
Ohne Dein lebendig Wehn
Nichts im Menschen kann bestehn,
Nichts ohn’ Fehl und Makel sein.
Wasche, was beflecket ist,
Heile, was verwundet ist,
Tränke, was da dürre steht.
Beuge, was verhärtet ist,
Wärme, was erkaltet ist,
Lenke, was da irregeht." [1]
Helfer auf den Wegen Gottes
Und heute? Der Heilige Geist ist in der Kirche etabliert. Man hat ihn theologisch eingeordnet und ihm eine Wirkung auf das Leben der Kirche zugeordnet. Man verlässt sich auf ihn. Doch es ist wohl immer noch so, dass er sich nicht ohne weiteres bändigen lässt. Er nimmt sich seine Freiheit, denn von ihm wird ja auch gesagt, "er weht, wo er will." (Joh 3,8)
Vor zwei Jahren kündigte Papst Franziskus einen weltweiten synodalen Prozess in der katholischen Kirche an. Die gesamte Kirche solle sich an Beratungen über Reformen beteiligen. Es gehe darum, "gemeinsam auf das Ziel zuzugehen, das wir mit der Hilfe des Heiligen Geistes als Willen Gottes für seine Kirche erkennen", so der Papst. Da ist er wieder, der heilige Geist. Offenbar eignet er sich als Instrument für vielerlei Hoffnungen. Für Aufbrüche und Rechtfertigungen, für Reform und Rückkehr zu den Ursprüngen.
Viele erfahren das gegenwärtige Leben der christlichen Kirchen hierzulande als gelähmt, hilflos, von Skandalen gezeichnet, von Gleichgültigkeit umgeben. Kann das Evangelium vom auferstandenen Christus wieder als das Feuer erscheinen, das unsere Vorstellungen von der Welt erneuert? Können die christlichen Gemeinden wieder mehr zu Orten der Freiheit und der Freude werden? Ausgestattet mit Kreativität und mit Zuversicht?
Die Zeichen der Zeit zu erkennen, war auch eine berühmte Forderung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Was aber ist der Geist unserer Zeit, und wie kann man ihn erkennen? Manche sind skeptisch und sprechen abwertend vom Zeitgeist, als sei er ein diabolischer Ungeist, der mit aller Macht bekämpft werden muss.
Der heilige Geist und der Zeitgeist
Beim Reformprozess Synodaler Weg äußerte eine Befragte ohne zu zögern: Ja, sie habe die Anwesenheit des heiligen Geistes in den Beratungen gespürt. Andere widersprachen und mahnten, der Geist des Herrn sei nicht nur für das Neue zuständig, sondern könne und müsse die Kirche auch vor Übereifer und Fehlentwicklungen bewahren.
Als einer der Befürworter von Reformen sprach auch Bischof Georg Bätzing zum Abschluss der Beratungen beim Synodalen Weg ausdrücklich vom Wirken des Heiligen Geistes. Den Skeptikern entgegnete er, "der Gegenwind, den wir spüren, ist auch eine Reaktion auf die Geistkraft." – Die Geistkraft des Aufbruchs und der Gegenwind der Restauration: Es scheint fast so, als zerren beide Winde an ein und derselben Sache: dem Geist der Zeit.
Wer aber pauschal vor einem verderblichen Zeitgeist warnt, ist natürlich auch nicht frei von den zeitbedingten Begrenzungen seines eigenen Glaubens, Hoffens und Liebens. Erfolgversprechender mag es sein, sich grundsätzlich eine kritische Distanz zu gesellschaftlichen Entwicklungen zu bewahren. Das heißt nicht, mit Skepsis auf jeden modernen Trend zu reagieren, der sich als geisterfüllt wähnt. Aber man sollte sich die Zeit nehmen, neue gesellschaftliche Entwicklungen zunächst gründlich zu analysieren, bevor man sie kritisiert.
Dafür können Christen die Hilfe des göttlichen Geistes zurecht in Anspruch nehmen. Jenes Geistes, der nach tradierter katholischer Lehre auch ein Geist der Wahrheit und der Vernunft ist.
In seiner Kantate zum Pfingsttag hat Johann Sebastian Bach diesem Geist und seiner Wirkmacht ein musikalisches Denkmal voller Dynamik und Lebenskraft gesetzt. Im gesungenen Text wird der göttliche Geist als ewiges Feuer und als Ursprung der Liebe bezeichnet. "Entzünde die Herzen und weihe sie ein", singt der Chor, "Wir wünschen, o Höchster, dein Tempel zu sein."
Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Martin Korden.
Musik:
Hugo Distler, Vier Spielstücke op 18/1 „Schnell“, aus CD: Joachim Smolka, Orgelmusik von Bach
Hugo Distler, Vier Spielstücke op 18/1 „Schnell“, aus CD: Joachim Smolka, Orgelmusik von Bach
Hugo Distler, Vier Spielstücke op 18/1 „Flink“, aus CD: Joachim Smolka, Orgelmusik von Bach
Der Geist des Herrn, aus CD: Verwirrte Hirten, Talking Horns u.a. Hymnus „Veni creator Spiritus“, aus CD: Chant. Music for paradise, The cistercian monks of Stift Heiligenkreuz
Hymnus „Veni creator Spiritus“, aus CD: Chant. Music for paradise, The cistercian monks of Stift Heiligenkreuz
J.S.BACH: Kantate „O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe, I.Chorus, BWV 34, aus CD: Johann Sebastian Bach, Das Kantatenwerk. Wiener Sängerknaben u.a.
[1] Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Veni_Sancte_Spiritus, übersetzt von Heinrich Bohn, 1847.