Newsletter

Resilienz

Morgenandacht, 01.04.2025

Egbert Ballhorn, Dortmund

Beitrag anhören

Resilienz. Das Wort ist neu, die Sache selbst nicht. Resilienz – das meint Widerstandskraft: Wie gehe ich mit schädlichen Mächten um?

Da gibt es die uralte Fabel von der Eiche und dem Schilfrohr. Wer von beiden übersteht die Stürme des Lebens besser? Es ist nicht die äußerlich starke Eiche, sondern das Schilfrohr, das sich beugt, aber dabei nicht bricht. Resilienz meint nicht Härte, sondern die Fähigkeit, Gegenkräfte abzufedern, ohne selbst Schaden zu nehmen.

Auch die biblischen Psalmen kann man als Texte von der Widerstandskraft lesen. Psalmen sind Gebete, vor allem jedoch voller mächtiger Bilder, voller Lebenskraft. Und es sind keine Schönwetter-Texte. Das ganze Leben kommt in ihnen vor. So gehört es zur Sprache der Psalmen, die Bedrängnis beim Namen zu nennen.

Ein Psalm fängt mit den Worten an: "O Gott, wie viele sind meine Bedränger, viele stehen gegen mich auf." Da macht jemand seinem Herzen Luft. Ein Seufzer aus tiefster Seele. Wenn ich diese Worte nachspreche, kann ich mich sofort in die Situation einfühlen. Das ist mir nicht unbekannt. Die Bedränger, das können ganz unterschiedliche sein: Menschen, die es nicht gut mit mir meinen, aber auch Alltagssorgen, Krankheiten, äußere Gefahren.

Das Belastende beim Namen nennen, das ist schon einmal der erste Schritt. Was ich ausspreche, dem gebe ich eine Gestalt. Ich bestimme darüber, wie ich es nenne. Was mir Sorgen bereitet, lässt mich nicht stumm werden. Ich spreche es vor mir selber aus – und vor Gott. Auch das verändert die Perspektive. Ich fühle mich nicht ganz alleingelassen, sondern stelle mir ein Gegenüber vor Augen, mit dem ich die Sorgen teilen, dem ich die Sorgen abgeben kann.

"Viele stehen gegen mich auf" – bei diesen Worten ist sofort ein Bild vor meinem inneren Auge: Ich muss von unten nach oben schauen. Das ist jedoch nicht das letzte Wort. Dann geht es einen Schritt weiter. Gott, der sich anhören soll, was geschieht, wird auch zugetraut, Hilfe zu sein. "Du aber, Ewiger, bist ein Schild für mich, bist meine Ehre und erhebst mein Haupt." So heißt es im Psalm weiter. Ich bin geschützt – du bist mein Schild. Durch diesen Vers werden Abwehrkräfte aktiviert. Vor meinem inneren Auge ersteht ein Schild, der mich vor Angriffen schützt. Es kommt mir etwas zu von Gottes Seite, das ich nicht selbst machen kann und muss. Das gehört eben auch zur biblischen Resilienz: Kräfte wachsen mir zu, die nicht von mir allein kommen.

"Du erhebst mein Haupt." Das ist Psalmensprache. Die Gottesbeziehung hat direkt eine körperliche Auswirkung. Sie richtet auf. Nicht niedergebeugt, sondern hoch erhobenen Hauptes kann ich durch das Leben gehen und allen Widersachern in die Augen schauen. Mögen sich andere gegen mich erheben, auch ich werde erhoben.

Am Ende des Psalms heißt es: "Ich fürchte nicht die vielen, die mich umlagern – Gott stützt mich." Die Schwierigkeiten sind nicht verschwunden. Sie bleiben weiter und versuchen den Raum des Ich einzuengen. Doch es wird eine neue, unerwartete Dimension eröffnet: Ich schaue nicht um mich herum, sondern nach oben. Gott erhebt mein Haupt, Gott stützt mich. Er handelt nicht zuerst an den Feindmächten – er handelt an mir. Er macht mich größer und stärker. "Ich fürchte mich nicht mehr."

Die Psalmen bieten mir eine Sprache an, in der ich wiederfinde, was ich erlebe. Sie lassen mich Leib und Seele wahrnehmen und machen mich wort-mächtig. Sie stärken mein Selbstverstrauen und meine eigenen Kräfte, zugleich eröffnen sie mir andere Dimensionen, aus denen mir Kraft zukommt. Das ist biblische Resilienz.

Über den Autor Egbert Ballhorn

Dr. Egbert Ballhorn ist seit 2012 Professor für Exegese und Theologie des Alten Testaments an der TU Dortmund. Er studierte Katholische Theologie und Chemie in Bonn, Jerusalem und Wien, war Mitarbeiter im Bonner Sonderforschungsbereich "Judentum – Christentum" und zehn Jahre Leiter der Bibelschule Hildesheim und Dozent für Biblische Theologie am Priesterseminar des Bistums Hildesheim. Er ist Vorsitzender des Katholischen Bibelwerks e.V.