Darf man Engel etwas fragen? In der Bibel heißt es: Man muss!
In der Bibel gibt es die Schutzengel, und die anderen Engel, die eine Lebenswende ankündigen. Diese Engel werden nicht erwartet oder herbeigerufen. Sie sind plötzlich da und stehen im Weg. Sie stören, weil sie den Gang des Alltags unterbrechen. Plötzlich ist ein Engel da und fängt an zu sprechen. Will man das überhaupt?
Wenn ein Engel kommt und plötzlich eine ganz neue Zukunft eröffnet, die völlig außerhalb der eigenen Lebensplanung ist, wenn etwas großes Neues geschieht, dann muss man nachfragen, und dann muss der Engel antworten. – So "erwartet" es die Bibel bei Engelerscheinungen gewissermaßen. Der Engel muss erklären, wie der Weg vom alten Leben zum neuen gehen soll.
Die bekannteste Engel-Szene der Bibel spielt sich im Neuen Testament ab. Ein Engel wird zu Maria gesandt, der verkündet ihr, dass sie einen Sohn gebären wird. Es ist die Ankündigung der Geburt von Jesus Christus. Darauf ist Maria gar nicht vorbereitet. Ab sofort soll nicht nur ein neues Kapitel in der Geschichte Israels eröffnet werden, sondern auch ihr eigenes Leben wird völlig umgekrempelt. Von einer Schwangerschaft und einem Kind ist die Rede, aber nicht von einem Mann. Wie soll das zusammengehen? "Mir geschehe nach deinem Wort“ – diese Antwort wird Maria erst am Ende des Gespräches geben.
Mir ist jedoch zuerst einmal ihre Frage wichtig. Auf die im wörtlichen Sinne "unmögliche" Zukunftsansage ihres Lebens reagiert Maria mit einer Frage: "Wie soll das geschehen, da ich doch keinen Mann habe?" Diese Frage ist kein Zeichen von Unglauben oder Skepsis. Sie ist zum einen die vollkommen vernünftige Reaktion auf eine Zukunftsansage, die alle Normalität sprengt. Und zum anderen zeigt sie, dass Maria ihre Bibel, die Heilige Schrift des Volkes Israel, kennt: Wenn ein Engel kommt, muss man Fragen stellen. Die Antwort des Engels ist jedoch genauso spektakulär wie die Verheißung: "Heiliger Geist wird über dich kommen. Kraft des Höchsten wird dich überschatten." Das sind ganz eigene Worte. Nicht einfach ein glatter Spruch: Gott ist allmächtig. Oder auch: Du schaffst das schon, ich glaube an dich.
Nein: Du wirst die Kraft des Geistes erhalten. Vielleicht ist es erst die Frage, die den Raum öffnet für das Handeln der Geisteskraft. Und erst wenn man fragt, wird man bereit für das Außergewöhnliche.
Damit ist die Geschichte noch nicht an ihr Ende gekommen. Jesus, der Sohn Mariens wird selbst in der Kraft des Geistes leben. Und nach seiner Auferstehung geht es weiter: Seine Jüngerinnen und Jünger versammeln sich – und am Pfingsttag wird es gewaltig brausen und Zungen wie von Feuer lassen sich auf ihnen nieder. Die Kraft des Geistes überschattet nicht nur eine Person, sondern jetzt alle, die versammelt sind. Sie erhalten Macht und Kraft und ziehen in ein neues Leben hinaus.
Die Menschen, die das als Zeuginnen und Zeugen erleben, stellen sich zunächst ratlos die Frage: "Was hat das zu bedeuten?" (Apg 2,12). Auf diese Frage hin fängt Petrus an zu reden. Und das trifft sie ins Herz, und es steigt eine neue Frage in ihnen auf: "Was sollen wir tun?" (Apg 2,37). Und dann verändert sich auch ihr Leben.
Für mich haben diese Szenen mit dem heutigen Allerheiligen-Fest zu tun. Heilige sind nicht einfach tugendhafte Menschen, weit weg von uns. Heilige sind Menschen, die ein Gespür für die Kraft des Geistes haben, die von einer Botschaft Gottes angerührt wurden und die gespürt haben: Hier kommt Neues auf mich zu – und die dann die Frage gestellt haben, was das für sie heißen könnte. Das ist mir nicht unsympathisch. Freilich stellt es auch mir die Frage: Bin ich bereit für Neues, das meinem Leben eine andere Richtung gibt?