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Was ist Toleranz?

Morgenandacht, 02.10.2023

Pfarrer Thomas Steiger, Stuttgart

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Ich spreche in dieser Woche hier in den Morgenandachten über Toleranz. Weil ich es in einer Demokratie für besonders wichtig halte, tolerant zu sein. Mehr noch: weil ich die Sorge habe, dass unser Zusammenleben zunehmend intoleranter wird. Mir fällt das auf, wenn ich für meine Einstellung zu einem bestimmten Thema heftig angegriffen werde. Wenn es um den Klimaschutz geht, und ich dazu etwas im Radio sage, zum Beispiel. Schnell wird dabei die Sachebene verlassen, ich werde beschimpft und als Mensch angegriffen, obwohl mein Gegenüber mich gar nicht kennt.

Niemand braucht so zu denken wie ich. Es ist mir wichtig zu wissen, wie andere darüber denken, und die Debatte dazu darf ruhig auch hart geführt werden. Aber menschenfreundlich. Und dazu gehört es für mich, nicht zu verletzen, sondern die Unterschiede auszuhalten. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das in unseren politischen Debatten und den Diskussionen vor allem in den Internet-Medien wieder üben und praktizieren müssen. Zum Wohl unseres Zusammenlebens in einer offenen Gesellschaft. Deshalb verbinde ich meine Gedanken in dieser Woche ausdrücklich mit dem Aufruf zu mehr Toleranz.

Was es allerdings bedeutet, tolerant zu sein, ist nicht so einfach zu beantworten.

Da ist zunächst die Toleranz, die dem eigentlichen Wortsinn am nächsten kommt. Tolerare ist lateinisch und bedeutet: etwas ertragen, etwas erdulden. Wer etwas toleriert, kann in diesem Fall in eine sehr passive Rolle gedrängt werden. Ich lasse dann etwas über mich ergehen, was mir eigentlich nicht passt, oder sogar zuwider ist. Ich schweige, obwohl ich anderer Meinung bin, setze mich nicht zur Wehr, obwohl mir ein Unrecht geschieht. Es gibt wohl Umstände, wo ich in einer solche Lage gebracht werde und gar nicht anders kann. Freiwillig geschieht das nicht. Es ist dann für mich eine Notlösung.

Schon etwas weiter reicht die Toleranz, wenn man darunter versteht, dass jemand nachsichtig auf eine Sache reagiert. Im Volksmund sagt man dazu: ein Auge zudrücken. In diesem Fall kann es durchaus so sein, dass jemand etwas getan was, was zwar nicht in Ordnung, aber auch keine Katastrophe ist. Für diese Art von Toleranz braucht man demnach ein gutes Fingerspitzengefühl. Ich denke beispielsweise an den, der sich im Gespräch vordrängelt, aber dann wirklich etwas Kluges zu sagen hat.

Tolerant kann schließlich bedeuten, weitherzig oder großzügig zu sein. Das geht wohl am weitesten, weil es eine bewusste und aktive Haltung verlangt.  Wer in diesem Sinne tolerant ist, der öffnet sich für andere Menschen, ohne dafür einen Grund zu haben oder dafür etwas zu erwarten. Toleranz bedeutet dann, von sich aus etwas Positives in das Zusammenleben mit anderen einzubringen. Da gibt es eine gehörige Schnittmenge mit dem Gebot, das Jesus den Seinen neben der Gottesliebe als wichtigstes mitgegeben hat: Den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Also ein extra Augenmerk darauf zu legen, wo ich etwas für mich in Anspruch nehme, was ich anderen nicht zugestehe.

Das passiert in Diskussionen gar nicht so selten, zumal wenn man von seiner Meinung sehr überzeugt ist und gar meint, die Wahrheit in diesem Punkt gefunden zu haben. Wenn es um Themen wie das Klima oder die Migration geht, die emotional stark besetzt sind, ist die Gefahr groß, intolerant zu reagieren.

Christen könnten da ein Vorbild sein, wenn andere merken, dass es bei ihnen nicht so ist. Dass sie zwar einen Standpunkt haben, den aber anderen nicht aufzwängen wollen. Das gehört für ich zu einer Kultur der Toleranz: andere respektieren, geduldig zuhören, nicht aufhören, zu diskutieren und den besten Weg zu suchen. Dafür werbe ich, weil das unverzichtbar ist für die Gesellschaft, in der ich leben will. Und das sage ich ganz bewusst heute vor unserem Nationalfeiertag, der ja nicht ohne Grund Tag der Deutschen EINHEIT heißt.

Über den Autor Thomas Steiger

Pfarrer Thomas Steiger, geboren 1964, ist der Senderbeauftragte der Katholischen Kirche beim SWR und damit der Leiter der Katholischen Hörfunkarbeit dort. Er studierte Theologie und Deutsche Sprache in Tübingen und Wien. Seine Priesterweihe erfolgte 1995. Nach unterschiedlichen Stationen in der Gemeindeseelsorge war er 14 Jahre Pfarrer und Dekan in Tübingen. Von 2013 bis 2021 war er als Beauftragter der Diözese Rottenburg-Stuttgart für die Rundfunkarbeit tätig.

Kontakt: thomas.steiger@kirche-im-swr.de