"Die Krankheit, die es zu heilen gilt, heißt Gewalt". Dies ist ein Wort von Gotthard Fuchs. Ich fürchte, darin ist viel über unsere Zeit gesagt. Mir scheint, dass in Konflikten der gemeinsame Interessenausgleich immer weniger gelingt – auf gesellschaftlicher und internationaler Ebene. Es gilt das Recht des Stärkeren. Wer die Macht hat, schlägt zu. Gewalt zu erleben, sie zu erleiden, mit Gewalt umgehen zu müssen, das ist keine neue Erfahrung. Sie begleitet die Menschheit von Anfang an.
Ein erschütterndes Bild für erlittene Gewalt finde ich in einem Psalmwort der Bibel: "Auf meinem Rücken haben die Pflüger gepflügt, haben lang gezogen ihre Furchen". Sofort entsteht vor dem inneren Auge ein Bild. Ein Ackerboden, der von einem Pflug durchzogen wird – eigentlich ein schönes Bild für Landwirtschaft und Fruchtbarkeit. Und hier wird es ganz in sein Gegenteil verkehrt. Der Rücken – ein Acker. Und Pflügen heißt hier: systematisch von oben bis unten verletzen.
"Sie haben mich bedrängt von meiner Jugend auf – doch sie haben mich nicht überwältigt" (Ps 129,2). Das ist das andere Wort aus dem Psalm. Was geschieht hier? Wir hören einen Menschen, der von einer am eigenen Leibe durchlebten Gewalterfahrung berichtet, aber auch davon, dass er sich nicht hat unterkriegen lassen. Mit Erschütterung hören wir, was dieser Mensch durchgemacht hat. Jedoch auch, dass er eine Sprache gefunden hat, über das Erlebte zu reden. Nicht schweigen zu müssen, der Öffentlichkeit zu berichten, darin liegt Widerstandskraft. Ich denke hier auch an den Holocaust-Überlebenden Horst Selbiger, inzwischen 97 Jahre alt, der erst weit nach seinem 70. Lebensjahr den Mut fasste, die Schrecknisse seiner Jugend zu erzählen. Er ist stolz darauf, die Grausamkeiten der Menschen überstanden und sein eigenes Leben gelebt zu haben. Jetzt gibt er Zeugnis davon, uns allen zum Nachdenken und zur Lehre.
"Sie haben mich bedrängt von meiner Jugend auf – doch sie haben mich nicht überwältigt" – so könnte auch er sagen. Ich habe es überstanden, es hat mir nicht die Sprache verschlagen. Das ist die Kunst der biblischen Psalmen: Sie sprechen uns Mut-Sätze vor, geben auch dem eine Sprache, und fassen ins Bild, was wir selbst (von uns aus) gar nicht so leicht aussprechen können. Sie holen mich aus meiner Sprachlosigkeit heraus.
"Sie haben mich nicht überwältigt" – und wie geht es dann weiter? "Der Herr ist gerecht, er hat durchschnitten den Strick der Gottlosen" – so heißt es im Psalm. Das klingt fromm, es enthält jedoch auch eine Wahrheit: Nicht aus jeder Bedrängnis kann man sich selbst befreien.
Wenn die Kraft reicht, sich nicht überwältigen zu lassen, dann ist das unglaublich viel. Rettung aber muss von außen kommen. Daran halten die Psalmenmenschen fest: Gott ist gerecht. Er muss gerecht sein. Und deshalb muss und wird er den Unterdrückern ihre Werkzeuge zerstören. Die Macht Gottes ist größer als die Macht der Zerstörer. Der Wunsch dazu im Psalm lautet: "Mögen sie beschämt werden und zurückweichen". Die Gegner müssen hier nicht von der Erde verschwinden, sie sollen dem Ich nur den eigenen Raum lassen, dass sie ihm nicht mehr in den Rücken fallen können.
So geht dieser Psalm mit der "Krankheit der Gewalt" um. Hier hat sich ein Mensch durch die widerständigen Erfahrungen hindurchgerungen. Und ganz am Ende des Psalms werden dann Worte des Segens gesagt: "Wir segnen euch im Namen Gottes". Dieser Segen kommt zu allen, die bereit sind, ihn anzunehmen.