Newsletter

Heiliger Geist im Alltag – und wo er zu finden ist

Morgenandacht, 03.06.2023

Ingelore Engbrocks, Essen

Beitrag anhören

Auf meiner Fensterbank steht ein Möbiusband. Dieses Band ist ein Kunstwerk aus Stein, und es gleicht einer Schleife, doch bei genauer Betrachtung verliert man die Orientierung: oben und unten, innen und außen können in der verschlungenen Schleife nicht genau erkannt werden.

Ich habe mir dieses Möbiusband vor einigen Wochen in einer Artothek ausgeliehen. Kunstwerke leihen, ein paar Monate mit ihnen leben und sie dann wieder zurückgeben und wieder neue Kunstwerke holen, das finde ich sehr inspirierend. Regelmäßig nehme ich mein geliehenes Möbiusband in die Hand. Dabei spüre diesem physikalischen Phänomen nach, wie Innen- und Außenseiten verschwimmen.

Es bewegt mich auch deshalb, weil ich kürzlich einen Vortrag des Salzburger Theologen Hans-Joachim Sander gehört habe. Der hatte darin die aktuelle Situation der Kirche mit einem Möbiusband verglichen. Sander erklärte, dass die Botschaft Jesu Christi ihre Kraft sowohl innerhalb der verfassten Kirche als auch außerhalb davon entfalten könne. Er wollte damit sagen, dass der Geist Gottes nicht nur in strukturierten Räumen wirkt; der Geist weht, wo er will. So heißt es auch in einem pfingstlichen Lied, das Christen in diesen Tagen singen.

Für Professor Sander ist damit klar: Wer als Christ, egal ob in der Seelsorge oder im ganz alltäglichen Leben, die Botschaft von Jesus Christus in die Welt tragen möchte, der sollte sich flexibel wie auf einem Möbiusband bewegen können, sowohl innerhalb als auch außerhalb von Kirche. Denn unabhängig von kirchlichen Strukturen müsse für Christen gelten: am Reich Gottes mitzubauen – dieser Auftrag Christi ist absolut unabhängig vom Ort.

Diese Frage, ob der Heilige Geist in der Kirche oder außerhalb zu finden ist, hat die Kirche schon im 16. Jahrhundert bewegt, zur Zeit des Tridentinischen Konzils. Die beste Antwort, die ich dazu gesehen habe, ist das Pfingstbild, das Tizian in dieser Zeit gemalt hat. Er malt einen Kirchenraum von innen, der Heilige Geist in Form einer Taube ist deutlich erkennbar, aber Licht und Schatten rings um die Taube sind so geschickt gemalt, dass man unmöglich bestimmen kann, ob die Taube sich in der Kirche oder außerhalb aufhält. Die Wirkung des Geistes, das zumindest kann man klar erkennen, geht in den Kirchraum hinein und zugleich nach außerhalb.

Dieses Bild passt zum Vortrag von Professor Sander, der mich so inspiriert hat. Er appellierte darin an die kirchlichen Mitarbeiter: "Bewegen Sie sich zugleich innen und außen; Glaube, Hoffnung und Liebe – diese zentralen christlichen Tugenden – gehören nach innen und nach außen." Für die kirchlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die diese Verbindung von innen und außen nicht mitgehen und gestalten können, sieht Sander dagegen keine Zukunft.

Wenn der Heilige Geist und auch das Evangelium sowohl innerhalb der verfassten Kirche als auch außerhalb erfahrbar werden, dann wird das Möbiusband für mich zum Symbol für einen Neuaufbruch der Kirche. So hat es das Zweite Vatikanische Konzil schon vor knapp 60 Jahren visionär beschrieben. Darin heißt es: "Freude und Hoffnung, Sorge und Angst aller Menschen sind Freude und Hoffnung, Sorge und Angst der Jünger Christi."

Für mich wird das Möbiusband darum zu einem Symbol für die Zukunft der Kirche in unserem Land: Wo innen ist und wo außen ist, das ist nicht vorrangig. Viel wichtiger ist die Frage: Wo weht der Geist Gottes und wo führt er mich persönlich hin, wenn ich mit der Botschaft von Leben und Freiheit unterwegs bin.

Über die Autorin Ingelore Engbrocks

Geboren 1958 in Oberhausen im Ruhrgebiet, verheiratet, 2 Kinder. Erste Berufsausbildung in der chemischen Industrie. Nach der "Familienphase" Studium der Theologie. Seit 1996 im Dienst des Bistums Essen, Ausbildung als Pastoralreferentin. Langjährige Arbeit im Bereich Exerzitienseelsorge; Fortbildung zur Geistlichen Begleiterin und zur Coach DGfC. Im Bistum Essen verantwortlich für Ausbildung und Fortbildung.

Kontakt: ingelore.engbrocks@bistum-essen.de