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Seenotrettung

Morgenandacht, 04.03.2024

Kaplan Bernhard Holl, Berlin

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Heute vor 200 Jahren wurde in England die "Nationale Einrichtung für die Lebenserhaltung bei Schiffbruch" gegründet. Es war damals die erste Seenotrettung, die ein ganzes Land umfasste. Klar, dass gerade die Engländer als Volk von Seefahrern auf diese Idee kamen. Aber das Anliegen versteht wohl jeder, der einmal mit dem Ozean in Berührung gekommen ist – mit der Schönheit, aber eben auch mit dem Schrecken des offenen Meeres.

Auch die Bibel beschreibt an vielen Stellen, wie viel Angst einem die unermessliche Weite und Tiefe der See machen kann. Große Wassermaßen sind schon im Alten Testament ganz oft mit Untergang und Tod verbunden. Das erste Buch Mose erzählt von der Sintflut, die alles Lebendige von der Erde wegrafft. Nur der gerechte Noah baut die Arche und rettet damit seine Familie und zwei Exemplare von jeder Tierart – im Auftrag Gottes wird Noah also quasi zum ersten Seenot-Retter der Welt.

Später ist es Mose, der als Anführer der Israeliten zwar kein Schiff kommandiert, aber auch er bezwingt mit Gottes Hilfe das scheinbar unüberwindliche Rote Meer und bahnt seinem Volk einen trockenen Weg mitten durch das Wasser. Den vermutlich unwahrscheinlichsten Helfer findet aber der Prophet Jona. Kaum geht er bei einem Sturm über Bord, da wird er von einem riesigen Fisch verschluckt und später wieder an Land gespien.

Auch im Neuen Testament der Bibel zeigt sich die rettende Macht Gottes immer wieder in Seenot. Die Jünger auf dem Meer von Galiläa erleben, wie Jesus dem Sturm befiehlt zu schweigen, und sie so vor dem Untergang bewahrt. Paulus überlebte auf seinen Missionsreisen sogar mindestens drei Schiffbrüche, wie er selbst berichtet. Auf Malta ist noch heute die Haupt-Kathedrale der Insel diesem Ereignis gewidmet: Sankt Pauli Schiffbruch ist ihr Name. Man kann also ohne Übertreibung sagen: Seenot-Retter tun ein Werk Gottes.

Entsprechend sind auch die königlich-britischen Rettungsboot-Fahrer eine der angesehensten gemeinnützigen Organisationen des Landes. Spätestens in den Weltkriegen erlangten sie endgültig Heldenstatus. Sie bargen unter Lebensgefahr die Überlebenden deutscher U-Boot-Angriffe und halfen bei der dramatischen Evakuierung von Dünkirchen.

Doch in den letzten Jahren gab es plötzlich eine Kontroverse. Immerhin drei Millionen Pfund, so wurde berichtet, hatte der Verein auch für Projekte jenseits von Großbritannien aufgewendet. Dazu kam der Streit um die kleinen, kaum seetüchtigen Boote, mit denen Flüchtlinge immer wieder den Ärmelkanal Richtung Großbritannien überqueren. Musste man denen denn unbedingt auch helfen? Das wollten einige lautstarke Kritiker nun gar nicht einsehen und verkündeten öffentlich, der Rettungsboot-Institution ab jetzt keinen Penny mehr zu geben. Andere dagegen dachten wohl: Jetzt erst recht! Denn die Summe der Spenden nahm nach der Kontroverse keineswegs ab, sondern wurde noch größer. Welche der beiden Gruppen den Sinn von Seenot-Rettung besser verstanden hat, ist wohl keine Frage.

Der Ozean kennt keine Grenzen. Auch wenn das Völkerrecht zwischen nationalen und internationalen Gewässern unterscheidet – auf das Wasser kann man keinen Schlagbaum stellen, und durch die Wellen keinen Stacheldraht ziehen. Wer Schiffbruch erleidet, dem muss man helfen, und zwar ohne vorher den Reisepass zu kontrollieren. Allen, die selbst zur See fahren, ist das auch völlig klar. Denn sie wissen: Wenn ich nicht helfe, dann ist es für andere im Zweifel zu spät. Und ein anderes Mal könnte ich derjenige in Not sein. 

Über den Autor Kaplan Bernhard Holl

Bernhard Holl ist seit 2014 Priester im Erzbistum Berlin. Er studierte Geschichte in Leipzig und Berlin sowie Theologie in Erfurt und Buenos Aires. Neben seiner Tätigkeit als Seelsorger forscht und publiziert er zu kirchenhistorischen Themen. 2022 Promotion in Religionswissenschaft an der Universität Potsdam.

Kontakt: bernhard.holl@erzbistumberlin.de