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Es geht nicht ums Gewinnen

Morgenandacht, 04.05.2023

Johannes Rogge, Berlin

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Die Szene ist sinnbildlich: Der Apostel Paulus – der wohl rhetorisch begabteste Jünger Jesu – ist auf Missionsreise in Antiochia – einem Landstrich, der heute in Syrien und der Türkei liegt. Wenn er predigt, sind die Marktplätze voll. Ich stelle ihn mir wahnsinnig eloquent vor. Und er ist Überzeugungstäter – er will allen Menschen von diesem Jesus erzählen, der ihn so geprägt hat. Für ihn hat er sein Leben umgekrempelt, von links auf rechts gezogen, vom Saulus zum Paulus!

Viele hören gebannt zu – und bekehren sich am Ende zu Christus. Andere dagegen wollen von Paulus nichts wissen, widersprechen und lästern, so heißt es in der Bibel.

Auch Jesus kannte Situationen wie diese. Bei ihm waren es meist die Pharisäer, hochintellektuelle, jüdische Schriftgelehrte, die seine Schrift-Auslegungen nicht hören wollten oder ihn sofort aufs Schärfste kritisierten.

Ich denke: Wir alle kennen das und sind vielleicht auch selbst manchmal kleine Pharisäerinnen und Pharisäer: Wissen es sofort besser, müssen gar nicht richtig zuhören, weil das kann ja nur Quatsch sein, wenn es von dem kommt - und lassen ein wirkliches Gespräch kaum zu.

Ja, ich kenne es auch von mir selbst: Zu vielen Dingen habe ich eine klare Meinung und stehe häufig in der Gefahr, meine Position für die einzig Vernünftige zu halten. Das bedeutet aber, dass ich eigentlich gar nicht damit rechne, auf eine weitere interessante, bedenkenswerte Meinung zu treffen. Ich muss gar nicht zuhören, denn was ist schon zu erwarten?

Die Katholische Kirche in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren auf einen Reformweg begeben. "Der Synodale Weg" hieß das Projekt. In vier Arbeitsgruppen wurde zu den "heißen Eisen" der katholischen Lehre gearbeitet: Frauen, Macht, Sexualität und der priesterliche Zölibat. Die hier entstandenen Überlegungen wurden dann im großen Plenum diskutiert, verändert und schließlich mehrheitlich verabschiedet – oder auch nicht. Beteiligt waren an dem Prozess alle deutschen Bischöfe, sowie viele Laien aus der bunten katholischen Kirche: Universitäts-Theologen, Gremienvertreter, Jugendverbände, Ordensleute.

Sie können sich vorstellen: Einig war sich diese bunte Truppe am Anfang in vielen Fragen nicht. Zu unterschiedlich die Kontexte, aus denen sie kamen – viele mit einer eigenen Agenda: Nämlich, die anderen überzeugen zu wollen, Reformen oder Gegenreformen durchzuboxen.

Ich habe einige der Aussprachen und Diskussionen im Livestream über das Internet verfolgt. Dabei fand ich es faszinierend zu sehen, wie die Teilnehmer einander zuhören mussten. Anhören. Das fiel einigen sichtbar schwer. Aber sie haben sich darauf eingelassen – das hat mich schon tief beeindruckt, auch wenn es trivial erscheint. Vielleicht haben es die Delegierten des Synodalen Weges auch deswegen geschafft, weil echtes "Zuhören" im Christentum tief verankert ist: Im Gebet. Denn "beten" ist eigentlich nicht so sehr das aktive Formulieren von Bitten und Dank an Gott, sondern vielmehr das Ruhigwerden und Hinhören in die göttliche Stille.

"Herr, schenke mir ein hörendes Herz" – ist eine beliebte Gebetsformulierung. Und ich glaube, dieses "hörende Herz" ist eine Haltung, die sich nicht nur beim Beten lohnt. Auch in Diskussionen – sei es innerhalb der Kirche auf dem Synodalen Weg oder in unseren alltäglichen Begegnungen. Der ehrliche Versuch das Gegenüber verstehen zu wollen und nicht bewusst misszuverstehen, um das argumentative Duell zu gewinnen. Denn darum ging es den Pharisäern: Recht zu behalten. Gott aber möchte ins Weite führen: Dass Fronten aufgeweicht, Mauern durchbrochen und Sprachlosigkeit überwunden werden kann. Auf das echte Verständigung möglich wird.

Über den Autor Johannes Rogge

Johannes Rogge, geboren 1991 in Mainz, studierte Kommunikationswissenschaften in Leipzig. Seit 2018 ist er als Redakteur im Erzbistum Berlin tätig.

Kontakt: Johannes.Rogge@erzbistumberlin.de