War Jesus ein toleranter Mensch?
Als ich einem Kollegen erzählt habe, dass ich dazu einen Beitrag im Radio machen will, hat er das für eine rhetorische Frage gehalten. Jesus, der es gut mit allen meint und keinen verurteilt. Also, wenn einer tolerant war, dann bestimmt er, hat der Kollege gemeint. Aber so einfach ist es nicht mit der Toleranz und, ich glaube, mit Jesus auch nicht.
Was bedeutet es überhaupt, tolerant zu sein? Für mich bedeutet Toleranz, gut zuzuhören, was andere sagen. Sich in den anderen hineinzudenken, dessen Position wirklich zu begreifen und wenn nötig nachzufragen. So ein Zuhören ist alles andere als oberflächlich. Es ist hartnäckig und interessiert an dem, was andere denken.
Tolerant zu sein heißt auch, stehen lassen können, was andere denken und sagen. Noch mehr: Es als gleichberechtigt zur eigenen Meinung anerkennen. Und: Den anderen respektieren als Mensch, ihn nicht abwerten, nicht verurteilen.
In diesem Sinn war Jesus wohl außerordentlich tolerant. Dafür gibt es in den Evangelien der Bibel mehr als genug Beispiele, die das belegen. Den unbeliebten Steuereintreiber Zachäus hat Jesus durch seine Toleranz regelrecht geheilt. Während andere mit ihm nichts zu tun haben wollten, hat Jesus sich bei ihm eingeladen. Bei Tisch bricht es aus dem kleinwüchsigen Mann regelrecht heraus. Wie verhasst er bei seinen Landsleuten ist wegen der undankbaren Aufgabe, die sonst keiner machen will. Den ohnehin schon Unterjochten auch noch Geld abzupressen für die römische Besatzungsmacht. Aber auch er muss von was leben.
So hat er sich durchgewurschtelt und nicht zu knapp in die eigene Tasche eingeheimst – bis Jesus ihn besucht. Der hört ihm gut zu, fühlt sich auch in die Not ein, die er mit sich herumträgt, begegnet ihm freundlich und vor allem: Jesus verurteilt Zachäus nicht. Das macht eine Wende möglich. Zachäus wird wohl weiter Steuern eintreiben, was sonst, aber nicht mehr auf Kosten der Armen unter seinen Leuten. Ich finde, es lohnt sich, das einmal selbst auszuprobieren. Wenn einer kommt, den man nicht riechen kann, weil er so ein komischer Typ ist. Wer weiß, woher das kommt. Wir sehen ja oft genug nur das, was sich an der Oberfläche abspielt und nicht die Not, die einer hat. Einen anderen zu respektieren, auch wenn ich ihn nicht mag, wenn ich ihn nicht verstehe, das ist im guten Sinne Toleranz, die uns beim Zusammenleben hilft. Da ist auch die Ehebrecherin ein gutes Beispiel, die Jesus nicht verurteilt – auch wenn Jesus einen anderen Weg als besseren empfiehlt.
Doch da gibt es auch den anderen Jesus. Den, der streng an seinen Prinzipien festhält, wenn ihm eine Sache ganz und gar gegen den Strich geht. Dann wird er sogar wütend und intolerant. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist die Szene, als Jesus die Marktleute und Geldwechsler aus dem Tempel Gottes vertreibt. Da hört Jesus nicht erst lange zu und verhandelt, da gibt es auch keine zweite Meinung. Das geht so für ihn nicht! Auch ein Jesus muss nicht alles hinnehmen. Wenn es um das Heilige geht, hört die Toleranz auf. Damit spielt man nicht.
Auch heute nicht, da kann man von Jesus lernen. Man verbrennt keine Abbildungen vom Propheten Mohammed, um Muslime zu provozieren. Das ist respektlos. Gleichermaßen kann man auch nicht vom katholischen Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem verlangen, sein Brustkreuz abzunehmen, wenn man in der Stadt unterwegs ist, wie unlängst geschehen. Das zu akzeptieren, wäre falsch verstandene Toleranz. Und die führt am Ende nicht zum Guten im Miteinander der vielen verschiedenen Menschen, die wir sind.
Wie man bei Jesus lernen kann.