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Wir brauchen einen langen Atem

Morgenandacht, 05.02.2025

Pfarrer Detlef Ziegler, Münster

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Berthold Brecht hat uns die kleinen Geschichten von Herrn Keuner hinterlassen. Eine davon, finde ich, passt ganz gut in diese Wochen, kurz vor der Wahl in Deutschland. In dieser Geschichte gerät besagter Herr Keuner in den Verdacht, kein Rückgrat zu besitzen, wenn es darauf ankommt, klare Kante zu zeigen und anderen nicht nach dem Mund zu reden. Um sein Verhalten gegenüber seinen Kritikern zu erklären, reagiert Herr Keuner selbst mit einer kleinen Erzählung:

"In die Wohnung des Herrn Egge, der gelernt hatte, nein zu sagen, kam eines Tages in der Zeit der Illegalität ein Agent, der zeigte einen Schein vor, welcher ausgestellt war im Namen derer, die die Stadt beherrschten, und auf dem stand, dass ihm gehören solle jede Wohnung, in die er seinen Fuß setzte; ebenso sollte ihm auch jedes Essen gehören, das er verlange; ebenso sollte ihm auch jeder Mann dienen, den er sähe. Der Agent setzte sich in einen Stuhl, verlangte Essen, wusch sich, legte sich nieder und fragte mit dem Gesicht zur Wand vor dem Einschlafen: 'Wirst du mir dienen?' Herr Egge deckte ihn mit einer Decke zu, vertrieb die Fliegen, bewachte seinen Schlaf, und wie an diesem Tag gehorchte er ihm sieben Jahre lang. Aber was immer er für ihn tat, eines zu tun hütete er sich wohl: Das war, ein Wort zu sagen. Als nun sieben Jahre herum waren und der Agent dick geworden war vom vielen Essen, Schlafen und Befehlen, starb der Agent. Da wickelte ihn Herr Egge in die verdorbene Decke, schleifte ihn aus dem Haus, wusch das Lager, tünchte die Wände, atmete auf und antwortete: 'Nein!'"

Man reibt sich verwundert die Augen. Warum hat Herr Egge nicht direkt zu Beginn Nein gesagt? Herr Egge wartet geschlagene sieben Jahre, bis dem bedrohlichen Feind buchstäblich die Luft ausgeht. Bis dahin kein falsches Wort, keine offene Unterwerfung. Erst als die Zeit gekommen ist, kommt ihm die Antwort über die Lippen: Wirst du mir dienen? Nein!

Die Geschichte des Herrn Egge lehrt mich zweierlei: Sag Nein, wenn die Zeit gekommen ist. Oft braucht es den sofortigen Widerspruch, hier und jetzt! Aber nicht selten braucht es auch einen langen Atem. Herr Egge hat ihn, diesen langen Atem des Widerstands, und manchmal ist es auch klug, nicht sofort alles auf eine Karte zu setzen, sondern die Ausdauer aufzubringen, dicke Bretter zu bohren. Der stete Tropfen höhlt den Stein …

Mit vielen anderen in unserem Land habe ich noch vor kurzem geglaubt, dass die bösen Geister der Vergangenheit durch die Lehren und Erfahrungen unserer deutschen Geschichte vertrieben sind, von einigen Unbelehrbaren und ewig Gestrigen einmal abgesehen. Aber sie sind zurück, der Ungeist eines völkisch-nationalistischen Denkens, die Fratze des Antisemitismus, rassistisches Gehabe, offene Angriffe auf die Würde von Menschen, die anders sind durch Herkunft, Geschlecht oder ihre Sexualität. Ich erlebe auch, wie immer wieder viele Menschen guten Willens aufstehen und laut Nein sagen. Wir können auch Nein sagen mit unserer Stimme bei den anstehenden Wahlen.

Aber wir werden auch einen langen Atem brauchen. Die Gefahren für unsere liberale Demokratie und die Menschenwürde aller Menschen werden nicht über Nacht verschwinden. Eines hilft mir, dass mir dabei nicht die Puste ausgeht, das Wort des Heiligen Petrus beim Verhör vor dem Hohen Rat in Jerusalem. Als es darauf ankam, Farbe zu bekennen, da sagt Petrus: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!" Und ich füge hinzu: vor allem dann, wenn es gilt, nicht mit den Wölfen einer extremen Gesinnung zu heulen.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen langen Atem und eine überlegte und gute Wahl, hier und jetzt!

Über den Autor Pfarrer Detlef Ziegler

Pfarrer Dr. Detlef Ziegler, geboren und aufgewachsen im Ruhgebiet, studierte Theologie, Philosophie, klassische Philologie und Pädagogik in Münster und München. 1985 wurde er in Münster zum Priester geweiht. Von 1990 bis 2001 war er Studienrat am Gymnasium Paulinum in Münster und danach in der Aus- und Fortbildung im Bistum Münster tätig. Zudem hatte er Lehraufträge für philosophische und theologische Anthropologie, Neues Testament und Homiletik in Münster und Paderborn.

Kontakt: ziegler@bistum-muenster.de