Es gibt vielleicht kein ehrlicheres Ritual in den Religionen, als das, was die gläubigen Katholiken als Zeichen heute am Aschermittwoch in den Gottesdiensten auf die Stirn gemalt bekommen. Es ist ein Kreuz aus Asche, verbunden mit dem Satz. "Bedenke, dass Du sterblich bist."
Ein kluges Wort, so denke ich. Im antiken Rom war es üblich, dass beim Triumphzug eines Feldherrn, auf dessen Streitwagen, mit dem er durch das Spalier des jubelnden Volkes fuhr, auch immer ein Sklave stand. Der hatte die Aufgabe, dem siegreichen Imperator fortwährend genau jenen Satz ins Ohr zu flüstern: "Bedenke, dass du sterblich bist."
Wie gut wäre es, wenn die Autokraten dieser Welt auch heute eine solche Mahnung hörten. Denn machen wir uns nichts vor: Jedes Fest, und sei es noch so ausgelassen und unbeschwert, endet unweigerlich in der Nüchternheit des Endens. Und wie im Karneval, so auch im Fest unseres Lebens. Sei es auch noch so erfüllt und gelungen gewesen sein; Gevatter Tod ist der Letze Weggefährte. Schon vor 2000 Jahren sagte der griechische Philosoph Epiktet: "Entscheidend sind nicht die Dinge, sondern wie wir die Dinge sehen."
Es gibt letztlich nur einen Unterschied zwischen Atheismus und Glauben. Und das ist die Perspektive auf das Sterben. Aus atheistischer Sicht ist alles Leben nichts anderes als eine bio-chemische Reaktion in Materie, und endet unweigerlich in der Verrottung auf dem kosmischen Abfallhaufen des Nichts. Aus gläubiger Perspektive aber, hat jeder Mensch eine Seele, einmalig und kostbarer als das ganze Universum. Dieses – wie es der Philosoph Robert Spaemann nannte – "unsterbliche Gerücht" ist in Allen. Als Reinhard Meys Sohn Max, nach 5-jährigem Koma starb, schrieb ihm sein Vater folgendes Lied:
"Lass nun los das Ruder, Dein Schiff kennt den Kurs allein. […]
Lass nun Zirkel, Log und Lot, getrost aus Deinen müden Händen,
aller Kummer, alle Not, alle Schmerzen enden. […]
Es kommt nicht der grimme Schnitter, es kommt nicht ein Feind,
es kommt, scheint sein Kelch auch bitter, ein Freund, der‘s gut mit Dir meint.
Und das Dunkel weicht dem Licht."
Der letzte Satz dieses Liedes an seinen sterbenden Sohn spiegelt die Hoffnung, welche Reinhard Mey später in einem Interview so formulierte: "Ob ich an ein Leben nach dem Tod glaube? Ehrlich gesagt, ich weiß es gar nicht genau. Aber ich kann Ihnen sagen, was ich glauben will. Ja, denn ich will meinen Max wiedersehen." (26.03. 2020 in DIE ZEIT).
Der heutige Aschermittwoch und die jetzt folgende Fastenzeit macht nur Sinn, wenn man sie als Einleitung von Ostern ansieht. Als Vorbereitung auf das Fest, an dem Christen der Auferstehung Jesu Christi gedenken und darin die begründete Hoffnung auf ein ewiges Leben nach dem Tod sehen. Ostern aber ist das innerste Wesen aller spiritueller Sehnsucht. Dahinter steht auch die Sehnsucht eines Reinhard Mey. Nämlich, dass der Mensch unendlich mehr ist als nur der Staub, zu dem sein Körper unweigerlich zerfällt. Die Sehnsucht, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. So paradox es klingt: Die Mahnung des Aschenkreuzes – "Bedenke Mensch, dass du sterblich bist" – ist der Beginn der Hoffnung über den Tod hinaus.