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Nelson Mandela

Morgenandacht, 05.08.2024

Kaplan Andreas Hahne, Viersen

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Fast 30 Jahre hat Nelson Mandela im Gefängnis verbracht, weil er sich gegen die Apartheid in seiner Heimat Südafrika gestellt hat. Also gegen die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung. Auf den Tag genau heute vor 62 Jahren wurde er verhaftet. Erst im Jahr 1990 veranlasste der damalige südafrikanische Staatspräsident de Klerk seine Freilassung. Eine neue Phase konnte beginnen im Leben von Nelson Mandela, der damals schon 71 Jahre alt war.

Was mich an seinem Leben nach dem Gefängnis beeindruckt, ist, dass er keinen verbitterten Eindruck ausgestrahlt hat, sondern eine Versöhnung zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung angestrebt hat. Als er 1994 zum Präsidenten Südafrikas gewählt wurde, hat er eine sogenannte Wahrheits- und Versöhnungskommission eingesetzt. Ihre Aufgabe war es, Opfer und Täter in einen Dialog miteinander zu bringen. Dabei sollte es nicht darum gehen, ausschließlich Fehler und Schuld der anderen zu benennen, sondern darauf hinzuarbeiten, dass sich die Bevölkerungsgruppen aussöhnen konnten.

Mir erscheint das wahnsinnig schwierig, wenn ich mir vorstelle, dass jemand, der jahrzehntelang unterdrückt wurde und gelitten hat, ja auch Opfer von Gewalt wurde, dann Frieden schließen soll mit denen, die dafür verantwortlich sind. Gehört es nicht zum Gerechtigkeitsverständnis dazu, dass jemand, der ein Verbrechen begangen hat, dafür bestraft werden muss? Und doch scheint es Situationen zu geben, in denen eine Bestrafung nicht zum Ziel führt. Zum Beispiel dann, wenn es darum geht, Frieden zu schaffen.

Der Dialog zwischen Tätern und Opfern in der südafrikanischen Versöhnungskommission hat mich jedenfalls erinnert an eine theologische Überlegung, die im Christentum eine lange Tradition hat. Es geht um die Vorstellung vom "jüngsten Gericht". Das wird oft mit einer Art "himmlischer Abrechnung" nach dem Tod gleichgesetzt, in dem es dann zum harten Strafvollzug gegen die Täter kommt.

Doch damit wird der entscheidende Gedanke dahinter verkannt. Denn es geht nicht in erster Linie um Bestrafung, sondern um Gerechtigkeit, die den Weg zur Versöhnung ebnet. Mich hat angesprochen, was der Theologe Ottmar Fuchs über dieses Jüngste Gericht schreibt: "Die Schmerzerfahrung der Täter und Täterinnen wird bis zum Äußersten gehen", aber nicht durch eine Verurteilung von außen, sondern indem der Täter "in tiefer Reue entdeckt, was er [dem Opfer] zugefügt hat". [1]

Die Reue, die ein Täter empfindet, ermöglicht es ihm, aus vollem Herzen um Verzeihung zu bitten. Und erst eine so erkannte echte, schmerzliche Reue gibt dem Opfer die Möglichkeit, eine Versöhnung zumindest in Betracht zu ziehen. Für Fuchs ist das der stärkere Weg zur Gerechtigkeit, weil er nicht wieder neues Leid verursacht.

Doch wird das auch den Opfern gerecht? Ich tue mich schwer damit. Fuchs macht aber deutlich, "dass es auch in der Sehnsucht der Opfer liegt, nicht auf den Status 'Opfer' festgenagelt zu bleiben." [2] Zugleich bleiben die Opfer frei darin, sich zu versöhnen. Das Leid wird nicht vergessen und es besteht die Chance auf einen echten Neuanfang. Vielleicht kann dann sogar eine klassische Strafe ihren Sinn verlieren.

Ich finde, in diesem Erklärungsmodell zeigen sich viele Parallelen zur Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika. Schuld wird nicht verschwiegen, aber nicht die Strafe steht im Mittelpunkt, sondern der Neuanfang. Ich finde, das ist ein Ansatz, über den man viel häufiger nachdenken sollte.


[1] Ottmar Fuchs, Das Jüngste Gericht. Hoffnung auf Gerechtigkeit, Regensburg 2009, S. 72.

[1] Ebd. S. 157.

Über den Autor Andreas Hahne

Andreas Hahne, geb. 1984, ist Kaplan in der kath. Kirchengemeinde St. Remigius, Viersen. Er hat von 2017 bis 2021 Theologie in Frankfurt/Sankt Georgen und Brixen (Südtirol, Italien) studiert. 2023 ist er in Aachen zum Priester geweiht worden. Vor seinem Theologiestudium hat er als IT-Berater und Projektleiter in Köln gearbeitet. Seine Hobbys sind Volleyball, Wandern und Musik.

Kontakt: andreas.hahne@bistum-aachen.de