"Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm." Kleine Kinder hatten in früheren Zeiten dieses Gedicht schnell gelernt. Weil es so kurz und einfach ist, können sich manche Erwachsene heute noch daran erinnern.
Der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer hatte keine Kinder, aber wenn er einem Kind ein Gebet beigebracht hätte, dann mit einem anderen Text. Einem Text ohne Himmel. Nicht dass er nicht an den Himmel geglaubt hätte. Bonhoeffer hat bis in seine letzte Stunde hinein fest an Gott und an seinen Sohn Jesus Christus geglaubt. Aber über den Glauben an den Himmel wurde Bonhoeffer in der Kirche immer viel zu schnell gesprochen. Wer zu früh über den Himmel spricht, der vergisst die Erde. Und das wollte Bonhoeffer nicht.
"Es gibt ein sehr gottloses Heimweh nach der anderen Welt", schreibt Bonhoeffer 1939 " [1]. Er war gerade erst nach New York gereist, um vor den Nationalsozialisten zu fliehen. Sie hatten ihm wegen regimekritischer Äußerungen seine Lehrbefugnis an der Universität Berlin entzogen.
Bonhoeffer hatte Gründe genug, Deutschland zu verlassen und in der Sicherheit des entfernten Auslandes ungestört als Theologe zu arbeiten. Dort hätte er weiter über den Himmel nachdenken können, aber er glaubte fest daran, dass er zuerst in die Wirklichkeit dieser Welt hineingestellt wurde. Und diese Wirklichkeit, vor der er floh, war das von den Nationalsozialisten bedrohte Deutschland. Er wusste, dass er dort im Widerstand von seiner Kirche gebraucht wurde.
Ende Juli 1939 kehrte er darum nach Deutschland zurück. Kurz darauf beginnt der Zweite Weltkrieg. Bonhoeffer engagiert sich im Widerstand. Immer stärker gerät er in das Blickfeld der Geheimen Staatspolizei. 1943 wird er verhaftet und nie wieder freikommen. Das Exil hätte ihm das Leben gerettet, aber es wäre für ihn eine Flucht gewesen aus der Wirklichkeit der Welt. Und das wollte er nicht. Er glaubte an Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde, der den Himmel verlassen hat und hineingegangen ist in diese Welt. Gott ist nicht weltfremd, sondern ein Weltfreund, der in seinem Sohn Jesus Christus Welt geworden ist mit Haut und Haaren. Hier in der Welt und nicht erst im Himmel zeigt Gott, wer er ist, hier ist er hörbar in menschlichen Worten.
Und deshalb ist der Anfang allen Glaubens die Welt. "Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in der Welt ankomm." Das ist das Gebet, das Bonhoeffer wohl seinen Kindern beigebracht hätte.
Frömmigkeit ist eben gerade nicht der Weg von der Welt weg, sondern der Weg direkt zu ihr hin. In diesem Sinn ist jede Übung der Frömmigkeit, also Gebet und Gottesdienst, von ihrem Wesen her politisch. Denn wer betet oder Gottesdienst feiert, dem öffnen sich die Augen für die Schönheit und die Chancen der Welt, der sieht aber auch deutlich ihre Not und das macht unruhig. Wer betet, sieht mehr von der Welt, der sieht, was es zu tun gibt. Bonhoeffer hat das gesehen, deshalb kehrte er damals nach Deutschland zurück und setzte sich für Gerechtigkeit und Menschlichkeit ein. Und das nicht, weil er sterben wollte. Nein, er wollte leben und diese Welt verändern. Das hat er getan. Viele lesen heute noch seine Bücher und Briefe und schöpfen daraus Mut und Zuversicht.
"Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in der Welt ankomm." Der Weg zum Himmel ist die Welt. Gottes Sohn ist in die Welt gekommen, um zu retten und zu heilen, was verwundet ist. Und erst als er das gewirkt hat durch seinen Tod und seine Auferstehung, ist er aufgefahren in den Himmel. Der Weg zum Himmel, der ist fromm. Und das meint zuerst, "dass ich in der Welt ankomm".
[1]Huber, Wolfgang: Dietrich Bonhoeffer. Ein Portrait. Verlag C. H. Beck, München 2021, S. 118.