"Wenn Gott einen Menschen misst, legt er das Maßband nicht um seinen Kopf, sondern um sein Herz."
Dieser Satz stammt von der niederländischen Christin und Widerstandskämpferin Corrie ten Boom. Ihre Lebensgeschichte erzählt von Schmerz, Verlust und Qualen, aber auch vom Mut, den Hass zu überwinden, indem man lernt, wirklich und von Herzen zu vergeben.
Während des Zweiten Weltkriegs spielt sie zusammen mit ihrer Familie eine entscheidende Rolle im niederländischen Widerstand, indem sie Juden vor der Verfolgung durch die Nazis in ihrem Zuhause verstecken. Nachdem sie verraten und verhaftet wird, erträgt Corrie die Schrecken mehrerer Konzentrationslager, darunter das berüchtigte Ravensbrück. Dort müssen Corrie und ihre Schwester Zwangsarbeit leisten. Dennoch leben sie vor Ort ihren christlichen Glauben.
Corrie hat ihre Bibel ins Lager geschmuggelt. Die Schwestern bieten den Inhaftierten Andachten und Gebete an.
Ende 1944 wird Corrie entlassen - kurz nach dem Tod ihrer Schwester. Als der Krieg endet, ist sie 53, doch ihre eigentliche Lebensaufgabe beginnt erst. Bis zu ihrem Lebensende reist sie in mehr als 60 Länder und predigt die Botschaft von Versöhnung und Vergebung.
Ausgerechnet sie, die so viel Leid durch die Nationalsozialisten erfahren hat, spricht über die Notwendigkeit, zu vergeben. Sie ist überzeugt, dass ohne Vergebung kein wirklicher Friede möglich ist – nicht nur ein zwischenmenschlicher Frieden sondern auch der Friede mit dem Erlebten, mit sich selbst. Damit das Leben weiter gehen kann.
Doch bei aller Überzeugung, weiß sie auch, wie schwer es fällt, tatsächlich zu vergeben. Das entscheidende Ereignis spielt sich dabei für sie in einer Kirche in München ab. Nachdem sie eine Predigt über Vergebung gehalten hatte, wird sie von einem kahlköpfigen Mann in einem grauen Mantel angesprochen. Als er vor ihr steht, erkennt Corrie den Mann. Er war einer der grausamsten Wächter in Ravensbrück. Wellen von Abscheu und Wut überfluten sie und schmerzhafte Erinnerungen kommen in ihr hoch. Der ehemalige Wächter streckt ihr die Hand entgegen, sagt er sei Christ geworden und bittet um ihre Vergebung für seine Taten. Für einen Moment ist sie wie gelähmt, unfähig, ihre Hand auszustrecken. In diesem Augenblick aber betet sie um Gottes Hilfe, erinnert sich an ihre eigenen Worte im Vortrag, daran, dass Vergebung ein Akt des Willens ist und nicht bloß eine Emotion. Als sie nun ihren Willen dazu zwingt, ihre Hand in die des ehemaligen Wächters zu legen, da passiert es: Sie wird überwältigt von einem Gefühl tiefen Friedens, das sie später bezeichnet als Gottes Liebe und Wärme, die sie in diesem Moment ergriff. Dabei wird die Theorie zur Praxis, die Ahnung zur Erfahrung: sie fühlt sich befreit von den Fesseln des Hasses.
Die Geschichte berührt mich jedes Mal, wenn ich sie höre. Was für ein Glaube, der in der Lage ist, so zu verzeihen. Ob ich selbst das könnte, wenn ich das erlebt hätte? Corrie ten Boom würde mir antworten: Gott kann es. Er will dir die Kraft schenken, zu vergeben, zu verzeihen, und zu lieben.
Mit ihrem Mut zum Widerstand und ihrem Ringen um Versöhnung ist Corrie ten Boom bis heute vielen Menschen ein Vorbild. Von ihr dürfen wir lernen, dass Vergebung vielleicht der schwerste, gleichzeitig aber auch der wichtigste und erlösendste Schritt zum Frieden ist – einem Frieden, der selbst das irdische Leben übersteigt, denn, so Corrie ten Boom: "Welch eine Befreiung ist es, wenn man vergeben kann."