"Mensch, was bist du schön!" So durchzuckt es mich manchmal, wenn ich einen attraktiven Menschen sehe. Doch sind es nicht allein nur körperliche Vorzüge, die mir einen solchen Ausruf entlocken. Viel öfter ist es ein Lächeln oder ein einnehmendes Wesen, was mein Herz für einen anderen Menschen öffnet. Und zugleich hoffe ich, dass auch ich zu einer solchen Schönheit fähig bin.
Schönheit ist uns hoffentlich ins Gesicht geschrieben. Und deswegen berühren mich immer wieder neu die Verse des Schriftstellers Franz Werfel, wenn er eines seiner bekanntesten Gedichte mit dem festen Vorsatz beginnt:
"Niemals wieder will ich
Eines Menschen Antlitz verlachen.
Niemals wieder will ich
Eines Menschen Wesen richten."
Einer der schönsten Texte im Alten Testament der Bibel ist für mich der Psalm 8. Er macht uns Menschen, und das ohne Ausnahme, ein Riesenkompliment. Der Psalm beginnt mit einem Staunen über die Größe und Majestät Gottes, staunt über die Größe und Unermesslichkeit des Himmels, ja des Kosmos, in dem sich Gottes Glanz widerspiegelt, und fragt dann fast erschrocken:
"Was ist der Mensch, dass du, Gott, seiner gedenkst,
des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?"
Diese Frage stellt sich heute erst recht, da wir noch viel mehr als zur Zeit der Bibel um die Unermesslichkeit und Unbegreiflichkeit des Kosmos wissen. Unsere Erde mutet darin nur wie ein Staubkorn an und wir Menschen wie unbedeutende Wesen. Der Kosmos fragt nicht nach uns. Aber Gott tut es! Der Beter von Psalm 8 denkt und fühlt groß vom Menschen, redet Gott an und wagt die Aussage:
"Du hast ihn (den Menschen) nur wenig geringer gemacht als Gott,
du hast ihn gekrönt mit Pracht und Herrlichkeit!"
Wir Menschen: die Krone der Schöpfung! Jeder und jede von uns ein Gotteskind, geschaffen nach seinem Bild, ihm ähnlich. Was für ein Kompliment! Und dass wir Menschen gekrönt sind mit göttlichen Attributen, mit Gottes Pracht und Herrlichkeit, macht uns nicht zu Willkürherrschern über Gottes Schöpfung. Im Gegenteil: Unsere göttliche Zurüstung als sein Ebenbild nimmt uns in die Pflicht, wie Gott selbst als gute Hirten für diese Schöpfung zu sorgen…und füreinander.
Die Würde und Hoheit des Menschen werden in diesem Psalm hymnisch besungen, und noch einmal sei betont: jedes Menschen, ohne Ausnahme. Was in biblischer Zeit ausschließlich das Privileg der orientalischen Herrscher war, nämlich als Kind des höchsten Gottes zu gelten, wird in diesem Psalm gleichsam unter der Hand demokratisiert. Ein Gotteskind zu sein wird aus den engen Mauern elitärer Ansprüche befreit und allen Menschen zugesprochen, den Kleinen und den Großen, vor allem aber denen, die so leicht übersehen, vergessen, ja ausgegrenzt werden, damals wie heute.
Franz Werfel gibt am Ende seines Gedichts eine ähnliche Richtung vor, ja geht sogar noch darüber hinaus. "Niemals wieder will ich eines Menschen Antlitz verlachen!" Menschen können in der Tat so hässlich sein, sich gegenseitig verunglimpfen und das Leben schwermachen. Wir erleben es fast täglich auf unseren Straßen und in den Shitstorms unserer medialen Blasen, wo der Hass sich vielfach anonym austoben kann. Uns allen in unserem manchmal so vergifteten Miteinander seien die Schlussverse aus Werfels Gedicht in Erinnerung gerufen, in denen er von der Anwesenheit Gottes unter uns und in uns sagt:
"Aber in jedem
Geborenen Menschen
Ist mir die Heimkunft des Heilands verheißen."