"Vor langer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat…" So beginnt das Märchen vom Froschkönig oder dem eisernen Heinrich. Das Wünschen und Verwünschen spielt in vielen Märchen eine große Rolle. Manche Wünsche gehen in Erfüllung, andere dagegen nicht so, wie man es erhofft hat.
Ist der zu beneiden, der sagt: "Ich bin wunschlos glücklich"? Was wäre das aber für ein Leben, in dem es nichts mehr zu wünschen gäbe? Ist man, wenn man wunschlos ist, nicht eher unglücklich? Die Märchen lehren aber auch: Wünsche sind ambivalent! Die einen sind berechtigt, andere dagegen verfehlt, ja gefährlich.
Von der Versuchung und dem Verhängnis des Wünschens erzählt der Mythos vom König Midas. Er war der Herrscher von Phrygien in Kleinasien, der heutigen Türkei. Midas wollte weise sein, so weise sein wie Silenos, der Lehrer des Gottes Dionysos. Um das zu erreichen, entführt Midas den Silenos. Aber ein Wunsch war noch stärker, nämlich: dass alles, was er fortan berührt, auf der Stelle zu Gold werde. Dionysos gewährt Midas die Erfüllung dieses Wunsches, nachdem dieser den Silenos auf Drängen des Gottes wieder freigelassen hat.
Hand aufs Herz: Wäre ich selbst gegen einen solchen Wunsch gefeit?
Die Gier des Midas nach Reichtum ist grenzenlos. Was er aber nicht bedacht hat: Auch Speise und Trank werden bei der Berührung sofort zu Gold. Midas ist nicht nur gierig, sondern auch dumm. Der Wunsch wird zum Fluch, und er droht zu verhungern. Und so bittet Midas den Dionysos, ihn von seinem verblendeten und fatalen Wunsch zu befreien. Ja hätte er mal viel eher von der Weisheit des Silenos gelernt! Aber Dionysos erlöst den Midas aus dem tödlichen Verhängnis seines Wunsches und setzt dessen Erfüllung außer Kraft.
Lektion gelernt? Oder gilt weiterhin, und zwar bis heute, die bittere Erfahrung: Gier frisst Hirn? Darf man in diesem Zusammenhang sogar von einer Sünde reden?
Ich würde sogar noch eins draufsetzen: Habgier ist eine Todsünde! Und dabei schaue ich nicht auf eine irgendwie geartete Bestrafung durch einen allmächtigen Gott, der peinlich genau unser ganzes Leben observiert und uns am Ende der Zeiten die Rechnung präsentiert. Ich schaue auf das Hier und Jetzt. Habsucht kann schon im Heute mein Leben ruinieren, vorausgesetzt, ich habe mir noch einen Rest Anstand und vor allem Hochachtung vor anderen und mir selbst bewahrt. Ich finde, dass ein berühmtes Jesuswort hierbei den Nagel auf den Kopf trifft, als die Frage im Raum steht, was es bedeutet, ihm nachzufolgen, also das eigene Leben an seinem Leben auszurichten. Wer wirklich das Leben gewinnen will, so antwortet Jesus, der darf nicht krampfhaft festhalten und nicht mitnehmen wollen, was zu kriegen ist. Wer den Hals nicht vollkriegt, verliert das Leben. Wer loslassen, wer sich verschenken kann, der wird das Leben gewinnen.
Und dann sagt Jesus etwas sehr Entscheidendes: "Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Was könnte einer als Gegenwert für sein verlorenes Leben geben?"
Auf diese rhetorische Frage gibt es nur eine Antwort: Nichts! Wenn Habgier das eigene Hirn frisst, dann ist das nicht nur dumm, sondern tödlich für unser Herz. Es wird hart, wie versteinert. Ein solches Herz ist nicht mehr zu retten. Es sei denn, wir kriegen noch rechtzeitig die Kurve – wie Midas.
Also Hand aufs Herz: Was wäre mein Herzenswunsch? Haben oder Sein? Alles mitnehmen, was zu haben ist, oder loslassen können, um Menschen und letztlich das Leben für sich und alle zu gewinnen? In jedem von uns steckt ein kleiner Midas. Geben Sie gut auf sich Acht, damit das Wünschen wirklich helfen kann! Denn wunschlos glücklich ist ja wohl keiner von uns…