1917 schreibt ein Elfjähriger einen Brief an seine Großmutter. Begeistert berichtet er von einem Festessen zuhause. Er schreibt vom Kalbsbraten mit frischem Spargel, Möhren und von Quarkkuchen."[1] Im Steckrübenwinter, auf dem Höhepunkt der Hungerkatastrophe im Ersten Weltkrieg, geht es ihm gut: Dietrich Bonhoeffer, dem späteren Pastor und Widerstandskämpfer.
Die Bonhoeffers hatten Geld und lebten gut. Dietrich wusste das und er nahm es in Anspruch. Gerne auch das Auto und den Chauffeur seines Vaters. Als junger Student konnte er nach Italien und Nordafrika reisen, seine Eltern bezahlten ihm Auslandsaufenthalte in den USA, Mexiko und Kuba. Als der junge Bonhoeffer 1927 sein Theologiestudium abschloss, ging er für ein Jahr als Vikar nach Barcelona. Auch hier lebte er luxuriös. Denn Eindruck macht der Theologe dort zunächst nicht als Seelsorger, sondern als elegant gekleideter junger Mann, der seine Sportlichkeit gerne auf dem Tennisplatz präsentierte. Seinen Eltern schrieb er: "Im Übrigen trinke ich hier fast kein Wasser, […] sondern ausschließlich Wein."[2]
Gut ging es Bonhoeffer mit diesem Lebensstil nicht. In einer Predigt spricht er von einer "großen Einsamkeit, die über unsere Zeit gekommen war."[3] Es war auch seine Einsamkeit. Er ahnte, dass der Luxus sie nur verdeckte und vergrößerte. Diese Einsamkeit machte ihn unruhig und er fürchtete sich vor ihr. Durch Reisen, intensives Studium und Vergnügungen suchte er Ablenkung. Bonhoeffer wusste: Es war eine gefährliche Unruhe, die ihn trieb, die Unruhe, etwas zu verpassen, eine Unruhe, nicht gut genug zu sein, eine Unruhe, Menschen zu enttäuschen und zu wenig zu leisten. Diese Unruhe, predigte Bonhoeffer damals in Barcelona, "da gibt es nur Nervosität und Ungeduld."[4]
Aber der junge Theologe wusste noch von einer anderen Unruhe. "Unruhe in der Richtung auf das Ewige;"[5] nannte er das. Diese Unruhe führte ihn weg von seiner Ichbezogenheit hin zur Auseinandersetzung mit Gott. Und das machte dem jungen Mann Hoffnung. Für Bonhoeffer war diese Unruhe in Richtung auf das Ewige wie eine Triebfeder für eine von Respekt und Zuversicht getragene Kultur, geprägt von der Suche nach gegenseitigem Wohl und Anerkennung.
Für Bonhoeffer kam diese Unruhe aus der Begegnung mit Gott: Darin fand er den Weg aus der Vereinzelung heraus, hin zum Mitmenschen, so wie Jesus, der Sohn Gottes, in die Welt kam, um Menschen zusammen zu bringen.
Als Bonhoeffer sich als Widerstandskämpfer ab 1943 in einer winzigen Gefängniszelle wiederfand, dort keinen Wein, sondern Wasser zu trinken bekam, da spürte er die große Unruhe in Richtung auf das Ewige wieder. Auch wenn die Zeit ihm im Gefängnis an manchen Tagen zur großen Last wurde, er Vieles vermisste und es Tage gab, die ihn an den Rand der Verzweiflung brachten, führte ihn die Unruhe auf das Ewige doch mit Menschen zusammen, denen er Trost spenden konnte. Die Gefängniswärter baten Pastor Bonhoeffer, mit den zum Tode Verurteilten zu beten, damit sie nicht die ganze Nacht wimmern und klagen. Denn das hatte sie gestört. Bonhoeffer tat es und konnte den Todgeweihten ein echter Seelsorger sein, so dass niemand von ihnen in seiner Todesstunde allein war.
Bonhoeffer war ein Gefangener, dem fast alles genommen war, aber als er seine Unruhe auf das Ewige hin entdeckte, konnte er ganz viel geben.
Was ich geben kann – das lerne ich von Bonhoeffer –, hängt nicht davon ab, was ich habe, sondern vielmehr von dem, woran ich glaube.
[1] Marsh, Charles: Dietrich Bonhoeffer. Der verklärte Fremde. Eine Biografie. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, S. 25.
[2] Ebd. S. 110.
[3] Ebd. S. 98.
[4] Ebd. S. 97.
[5]Ebd. S. 97