Unsere Gesellschaft hat sich verändert. Das tut sie natürlich unentwegt. Aber ich meine, sie hat sich in den letzten zwanzig Jahren zu ihrem Nachteil verändert. Wenn ich hinschaue, wie wir miteinander umgehen, dann finde ich: Der Ton ist rauer geworden.
Böse Worte fallen schneller als früher. Und vor allem: Die Bereitschaft, das zu tolerieren, was anders ist als ich selbst, schwindet zunehmend. Schnell werden dann Gräben gezogen. Hier die Guten, dort die Bösen. Das macht es einfacher, wenn man nicht genauer hinschauen und differenzieren muss. Eine moderne Gesellschaft wie die unsere, in der viele verschiedene Menschen zusammenleben, weil sie aus unterschiedlichen Teilen der Welt kommen, weil die Lebensentwürfe heute viel komplexer sind als früher und wir all das jeden Tag über die weltweiten Medienkanäle präsentiert bekommen, die verlangt naturgemäß mehr Toleranz. Ohne Diskurs, also ohne ein fortwährendes Hören und Sprechen und Verstehen – und das immer wieder von neuem – geht es nicht mehr. Demokratie funktioniert nur so. Und weil ich als Christ meinen Beitrag dazu leisten will, dass wir das gut hinbekommen, deshalb spreche ich hier darüber, werbe für mehr Toleranz. Um des Gemeinwohls willen! Trotzdem scheint es für viele bequemer zu sein, an der eigenen Meinung starr festzuhalten, statt sich mit anderen auseinanderzusetzen.
Dass es um die Toleranz schlecht bestellt ist, ist aber gleichzeitig auch falsch, wie alles, was pauschal gesagt wird. Wenn ich mir anschaue, was inzwischen alles möglich ist, staune ich. Männer laufen händchenhaltend durch die Stadt. Bis auf einige Ewiggestrige juckt das keinen. Unter den Jüngeren verschwimmen die Grenzen zwischen Jungs und Mädchen zum Teil unübersehbar. Was früher klar männlich oder weiblich war, spielt dafür, wie sie selbst sich sehen, nur noch eine untergeordnete Rolle. Es kommt mir manchmal fast so vor, als ob jede und jeder machen kann, was er will. Fast alles ist erlaubt. Das Recht des Einzelnen, seine Individualität steht an oberster Stelle.
Auch wenn das etwas banal klingt: Ich denke, ein Mittelweg zwischen beiden Polen wäre gut. Und helfen würde vor allem, etwas gelassener, weniger aufgeregt miteinander umzugehen. Es steht ja nicht die Welt auf dem Spiel, wenn wir streiten.
Wie wir dahin kommen? Mit mehr Vertrauen. Das kann man nicht machen, aber man kann Erfahrungen damit sammeln, die Vertrauen stärken. Vertrauen ist für mich das A und O, überall wo Menschen zusammenleben. Wenn es angekratzt ist, fehlt nicht mehr viel und es wird Intoleranz daraus. Ich finde, es gibt so etwas wie vertrauensbildende Maßnahmen, die dabei helfen können:
Ich unterstelle dem, der anders denkt nicht, dass er mich damit angreifen will. Ich erkläre ihn nicht zum Feind. Ich versuche so gut es geht, auf der sachlichen Ebene zu bleiben, mich nicht als Mensch angegriffen zu fühlen, und auch nicht persönlich zu werden, wenn ich antworte.
Ich sende Signale aus, dass ich an einer offenen, gerne auch kontroversen Debatte interessiert bin. Und ich begründe das auch: Nur gemeinsam kommen wir einem Kompromiss, einer Lösung näher. Das schaffe ich gar nicht allein.
Und ich übe mich darin, einen langen Atem an den Tag zu legen, geduldig mit anderen und mit mir selbst zu sein. Ich sage: Wir können immer nochmals anfangen, es immer noch besser machen.
Wir sind noch lange nicht fertig.