Wahlkampfzeiten sind immer auch die Zeiten der großen Versprechungen. Manchmal werden aus diesen Versprechungen regelrechte Verheißungen: Angekündigt werden ein neues Land, eine neue Zeit, ja manche schwadronieren sogar vom Beginn eines goldenen Zeitalters, wenn man nur den oder die Richtigen wählt …
Ein goldenes Zeitalter? Mir kommt das sehr bekannt vor. Ich schaue in die Bibel, lese am Anfang des Lukasevangeliums etwas vom Kaiser Augustus, der im ganzen Reich eine Volkszählung anordnet, um eine Steuerschätzung vorzunehmen, die Rom mit Tributen überschwemmen und noch größer, noch mächtiger machen wird. Rom allein zählt, alles andere ist egal. Der Kaiser befiehlt und alle müssen dem folgen, auch Josef und seine Frau Maria, die ein Kind erwartet. In Betlehem kommt es zur Welt. Als Jesus erwachsen ist und an die Öffentlichkeit geht, ereignet sich sein erster Auftritt im 15. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius. Auch Tiberius wird im Lukasevangelium bewusst erwähnt, denn er setzt die Politik und Ideologie seines Vorgängers fort. Und jener Augustus hatte einst der staunenden Welt am Beginn seiner Alleinherrschaft verkünden lassen, dass mit ihm die Erfüllung der Geschichte gekommen und das goldene Zeitalter aus den paradiesischen Anfängen der Menschheitsgeschichte in die Welt zurückgekehrt ist. Tiberius knüpft gern daran an, als Stiefsohn des ersten Kaisers.
Was für eine Ansage, in den 2000 Jahren nach Augustus von diversen Machthabern und Despoten immer wieder für sich in Anspruch genommen. Das Alte hat endgültig ausgedient, jetzt kommt das Neue, ein quasi goldenes Zeitalter, das alles in den Schatten stellt. Ein Irrweg, vor dem auch unsere Gegenwart nicht gefeit ist. Es ist auch deswegen ein Irrweg, weil allein das Wohlergehen eines einzelnen Volkes oder einer einzelnen Nation in den Mittelpunkt gestellt wird. Und was ist mit den anderen, die nicht zu diesem quasi auserwählten Volk gehören?
Christen können diesen demagogischen Versprechungen unmöglich hinterherlaufen, nicht nur, weil sie in der Vergangenheit nie auch nur im Ansatz eingelöst worden sind, sondern nicht selten auch entsetzliches Unheil angerichtet und eine Blutspur hinterlassen haben. Und wir sollten uns als Christen querlegen gegen Verheißungen, die ausschließlich von den jeweiligen Zentren der Macht oder eines einzelnen privilegierten Volkes her denken und die große Mehrheit der Menschen gar nicht im Blick haben, besonders die, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens zu finden sind. Der Blick in das Lukasevangelium zeigt mir, dass Gott nicht in den Zentren der Macht seine Verheißungen von einem Neubeginn einlöst, sondern an den Rändern, den Peripherien dieser Welt, bei den Vergessenen, Ausgegrenzten, Geflüchteten, bei denen, die im Alltag sich abmühen und einsetzen. Nicht Jerusalem, nicht Rom, nicht Washington oder Moskau: Gott beginnt seine neue Zeit, sein Heil mit uns Menschen an den Rändern, in Betlehem und Nazareth, in Münster und Nairobi.
Ja, ich glaube auch an ein goldenes Zeitalter, aber an keines der Mächtigen mit ihren hohlen Phrasen, sondern an eines in der Zukunft Gottes. Mit unserer Hilfe beginnt es schon hier und jetzt, dieses Reich Gottes, wie Jesus es nennt. Und Gott allein wird es vollenden, und nicht die Sprücheklopfer mit ihren religiös überhöhten Verheißungen.