Als Kind hatte ich oft Angst, im Dunkeln einschlafen zu müssen. Irgendwo brauchte ich immer ein klein bisschen Licht: eine kleine Lampe oder einen geöffneten Türspalt, durch den etwas Licht in mein Zimmer gelangen konnte. Irgendwann ist diese Angst zum Glück von allein weggegangen. Doch auch heute noch gibt es immer wieder Situationen, in denen ich vielleicht nicht unbedingt Angst habe, mich aber unsicher fühle. Da grummelt es mal in meinem Magen oder ich spüre Schweißtropfen auf der Stirn.
Es ist meist nur ein vages Gefühl und ich kann nicht so genau beschreiben, was diese Unsicherheit auslöst. Ich vermute, das ist vor allem dann der Fall, wenn ich mich auf etwas vorbereite, das mir besonders wichtig ist, beispielsweise eine Veranstaltung, die ich zum ersten Mal durchführe. Ich möchte dann unbedingt, dass sie gelingt. Umgekehrt ist dann aber auch die Sorge am größten, dass etwas schiefgehen könnte. Wäre mir die Veranstaltung gleichgültig, dann wäre die Angst vor einem Misserfolg auch nicht so groß.
In der Psychologie wurde der Satz geprägt: "Wo deine Angst ist, da geht es lang." Dahinter steckt die Theorie, dass Menschen in Situationen, die ihnen ein bisschen Angst machen, eine Chance erkennen, daran zu wachsen. Und weil ihnen die Sache wichtig ist, verfolgen sie sie trotz des Risikos. Dieser Satz hat zwar seine Grenzen, denn wirkliche Gefahren sollte man auch realistisch einschätzen und entsprechend meiden. Aber er kann zum Sprung ins kalte Wasser ermutigen.
Es gibt eine Szene im Neuen Testament der Bibel, die mich an diese Theorie erinnert. Da sitzen die Jünger Jesu im Boot auf dem See, als plötzlich Jesus neben ihnen über das Wasser geht. Alle packt die Angst, doch beim Jünger Petrus ist auch zugleich die Verlockung und er ruft seinem Meister zu: "Wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme." Worauf Jesus antwortet: "Komm." Da steigt Petrus aus dem Boot und geht tatsächlich über das Wasser auf Jesus zu. Doch nach ein paar Schritten bekommt er Zweifel an dem, was da gerade geschieht und er beginnt unterzugehen, bis Jesus ihn rettet. (vgl. Mt 14,22–33).
Was hier geschildert wird, dieses Hin und Her zwischen Neugier und Unsicherheit, Mut und Angst, das scheint mir ganz typisch zu sein für eine riskante Situation, in der wir ein Ziel vor Augen haben, das wir unbedingt erreichen möchten. Wir sind dann bereit das Risiko einzugehen, müssen aber auf dem Weg dorthin immer wieder erkennen, dass wir dieses Ziel nicht ohne Schwierigkeiten erreichen werden.
Das gilt auch für den Glaubensweg – wer Schritte im Glauben gehen möchte, kann nie nur Beobachter sein. In der christlichen Tradition gibt es die aus der Glaubenserfahrung gewachsene Erkenntnis, dass Gott, wenn er ruft, immer herausruft aus der Komfortzone. Dabei geht es um die Aussicht auf persönliches Wachstum. Der Mensch wird gerufen zu reifen, hin zu der Person, die Gott in ihm sieht. Ob ich dorthin komme, ob mein Glaube mich dabei trägt, das kann ich nur dann erkennen, wenn ich bereit bin loszugehen. Dorthin, wo meine Sehnsucht aber auch die damit verbundene Angst mich hinführen.
Angst und Glauben schließen sich also nicht aus; ganz im Gegenteil. Ich kann dann spüren: Gott geht mit, er will mich wachsen sehen. Dabei nimmt er mir nicht die Angst, aber er ruft, motiviert, streckt die Hand aus. Diese Erfahrung kann ich aber nur machen, wenn ich das Risiko eingehe. Dann kann Angst für mein Handeln wirklich ein guter Ratgeber sein.