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Emotional

Morgenandacht, 08.02.2024

Maria-Anna Immerz, Dillingen

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Es muss ein tolles Fest gewesen sein. Die zwei jungen Frauen, die mir im Zug gegenüber sitzen, schwärmen. Sie waren bei der Hochzeit einer Freundin. Wunderbar herzlich sei schon das "Come-together" am Vormittag im Park gewesen; dann der festliche Zug zur Kirche. Der tolle Blumenschmuck dort, der einfühlsame Pfarrer, der auch in der Predigt so einen feinen Ton hatte. Und dann – endlich – das "Jawort", der Ringtausch, der innige Kuss. Die Kinder, die Blumen streuten. Liebevolle Ideen, den ganzen Tag über.

Die vielen Eindrücke, die die beiden Frauen teilen, münden dabei immer wieder in die Worte: "Emotional. Das war einfach total emotional." So oft sei man rundum berührt gewesen auf diesem Fest, Jubel und Tränen der Rührung waren dabei. Ganz emotional eben. 

Wenige Tage danach ist in München die große Trauerfeier für Franz Beckenbauer. In der Nachrichtensendung abends wird ein Sportmoderator interviewt. Die erste Frage lautet: "Was war der emotionalste Moment vorhin im Stadion?" Für den Moderator war es der Zug der ehemaligen Mannschaftskameraden über den Rasen zu den Blumenkränzen.

Wenn Ereignisse wirklich Qualität haben sollen, dann muss es heute emotional sein. Etwas ist da anders als vor Jahren, als man gerne sein Gegenüber ausbremste mit der Bemerkung: "Jetzt werd‘ bloß nicht emotional!" Vielleicht hat uns der dauernde Gebrauch digitaler Medien im Beruf wie im Privatleben die "andere" Dimension neu schätzen gelehrt: das persönliche Fühlen, das Angerührt-Sein und Betroffen-Sein, ganz ohne Technik. "Emotional" heißt heute oft: Das war richtig gut!  

 

Als Christ frage ich da ganz neu: Ist Glauben auch emotional? Mein Glauben? Natürlich fallen einem gleich schöne Kirchen ein, berührende Gesänge, stimmungsvolle Gottesdienste, die alle Sinne ansprechen. Das sind wahre Schätze der Religionen – gerade auch der christlichen.
Und es geht noch viel tiefer: Um zur Fülle des Lebens zu gelangen, empfiehlt die Bibel:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen

 

Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Lk 10,27)

Herz, Seele, Kraft, Denken – und das ganz! Da ist alles drin, was uns Menschen ausmacht. Nichts ausgespart. Voll, prall, ganz und gar. Total überlegt genauso wie total emotional. Kraftvoll genauso wie ganz zart.


Wenn man die Bibel ernst nimmt, wäre jeder Glauben arm dran, der sich auf blässliche Frömmigkeit, auf Herum-Moralisieren oder angestrengte Pflichterfüllung beschränkt. Glauben will uns als Vollblutmenschen. Aus Liebe strengt man da mal sein Hirn an, um Zusammenhänge von Ungerechtigkeit und Gewalt zu erkennen und über Maßnahmen nachzudenken; aus Liebe hat man da auch mal Schwielen an den Händen, weil man sich bei der Fahrrad-Sammelaktion für Flüchtlinge richtig reingehängt hat; aus Liebe kommen Tränen und verlässlicher Beistand, weil die Krebs-Diagnose bei einer Freundin erschüttert. Total emotional, gerade auch der Glaube, wie die christlich-jüdische Tradition ihn uns vorschlägt. Emotional nämlich im wörtlichen Sinn – als „Bewegung heraus“ – heraus aus Vorurteilen, aus Bequemlichkeiten; heraus aus gedankenlosem Trott; heraus aus „Hauptsache ich“ oder „das kriegen wir alles selber hin.“

Heraus aus sich selber, weil man sich aus Liebe zum anderen selbst vergisst. Und dabei in Berührung kommt mit dem anderen; mit Gott; und darin mit sich selber.

Total emotional – ein guter Tag ist heute garantiert, wenn er solche Momente hat.

Über die Autorin Maria-Anna Immerz

Maria-Anna Immerz, geboren 1959, studierte Philosophie und Theologie in München und in Freiburg im Breisgau. Seit 1985 ist sie Pastoralreferentin im Bistum Augsburg und somit aktiv in verschiedenen Tätigkeitsbereichen auf gemeindlicher und diözesaner Ebene. Frau Immerz ist diözesane Beauftragte und geistliche Beraterin für den Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Augsburg sowie für den Fachbereich Schwangerenberatung. Seit 2011 ist Frau Immerz Diözesanbeauftragte für den öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk und seit 01.09.2013 Theologische Referentin im Generalvikariat. Frau Immerz lebt in Augsburg.

Kontakt: maria-anna.immerz@bistum-augsburg.de