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Der Pfarrgarten

Morgenandacht, 08.07.2024

Pfarrer Timo Gothe, Weimar

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Hinter unserer Kirche befindet sich mein kleines Paradies. Die Rede ist vom Pfarrgarten. Er ist so schön, besonders seitdem sich eine Ukrainerin, die im Pfarrhaus untergekommen ist, mit dem Garten intensiv beschäftigt.

Ein Fülle von Frühlingsblühern und später Stauden blüht das Jahr über. Vier mit Buchsbaum eingefasste quadratische Beete verleihen dem Garten Struktur. In den Schattenarealen der drei großen Eschen stehen prächtige Farne und Funkien. Ein paar Bienenvölker auf dem Wiesenstück produzieren Honig. In der Dämmerung kommen die Fledermäuse aus der Deckung, auch ein Igel ist schon gesehen worden. Den Hummeln auf den Blüten zuzuschauen ist eine wahre Pracht, den Amseln zuzuhören auch.

Bei Paradies denken wir an Harmonie und Platz für jeden und alles, an eine Ureinheit aller Lebewesen. Wir denken bei Paradies an einen Ort des Friedens.

Der Pfarrgarten, schaut man in einem anderen Licht auf ihn, ist all das aber nicht. Im Pfarrgarten wird gekämpft, da wird vernichtet und vertrieben. Die Bienen betreiben im Sommer, wenn wenig Futter da ist, Räuberei bei Nachbarvölkern und plündern. In den Kämpfen um die Reserven wird gebissen, werden Flügel rausgerissen. Es ist ein Futterkrieg unter Artgenossen. Die Nacktschnecken fallen über die sprießende Sonnenblume her, kaum dass zwei kleine Blätter zu sehen waren. Zurück bleibt nur der Stengel, das war‘s. Doch die Krönung ist der Buchsbaumzünsler. Die Larven dieses eingewanderten Falters haben innerhalb von 8 Wochen den einst das ganze Jahr über grünen Buchsbaum kahlgefressen. Die Hoffnung, dass er im Frühjahr dieses Jahr wieder austreibt, hat sich nicht erfüllt.

Der Pfarrgarten. Ein und derselbe Ort. Paradies und Schlachtfeld. Je nach Sichtweise, je nach Perspektive. Was für den Garten gilt, lässt sich leicht übertragen. Manche nehmen die Welt nur noch unter der Perspektive "Krise, Krieg und Katastrophe" wahr. Und sie haben ja recht. Zu zahlreich und brutal sind die Kriege und Konflikte. Zu heftig treffen uns Wetterereignisse oder Naturkatastrophen.

Und dann will der eine aus Selbstschutz die Augen vor alldem verschließen, der andere sich die Ohren zuhalten, der dritte ruft auf zu Aktionen und Taten, denn: Wenn wir es jetzt oder in den nächsten 5 Jahren nicht hinbekommen, ist es zu spät.

Was bei alldem aus dem Blick gerät, ist die Perspektive, mit der seit Jahrtausenden auch auf diese Welt geschaut wird. Dass sie eine staunenswerte und auch wunderschöne Schöpfung Gottes ist. In Psalm 104, der zum Gebetsschatz des Judentums wie des Christentums gehört, findet sich diese Perspektive in einem großen Loblied. Mit der Sprache der Poesie wird Gott gepriesen, und zugleich ein halber Zoo aufgerufen. Vom Steinbock in den Bergen, vom Klippdachs in den Felsen, vom Storch in den Zypressen ist da die Rede. Und der Mensch, der all das sieht und staunt, fasst dann zusammen: "Herr, wie zahlreich sind deine Werke. Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen."

Das zu beten und so auf die Welt zu schauen, nimmt mir nicht die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Erde lebenswert bleibt und wir Menschen friedlich miteinander umgehen. Aber die Perspektive des Psalms nimmt die Angst, alleine dafür verantwortlich zu sein und über allem und unter allem auch auf Gott zu vertrauen, der mich, mein Leben wie auch die ganze Schöpfung in seinen Händen hält.

Über den Autor Pfarrer Timo Gothe

Geboren 1974, abgeschlossene Ausbildung zum Werkzeugmacher. Nach Studium in Erfurt und Tübingen 2003 zum Priester geweiht.

Nach sechs Jahren als Diözesanjugendseelsorger in Erfurt seit 2015 Pfarrer in Weimar.

Kontakt: pfarrer.gothe@herzjesu-weimar.de