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Die Menschenrechte und der Glaube

Morgenandacht, 09.02.2023

Andreas Britz, Bellheim

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„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (GG Art. 1)

Kein Satz aus unserer Verfassung wird so häufig zitiert wie dieser aus Artikel 1. Und das zurecht. Denn aus der Würde des Menschen leiten sich alle nachfolgend genannten Grundrechte ab. Als die Väter und Mütter des Grundgesetzes vor 75 Jahren im Parlamentarischen Rat in Bonn die Verfassung ausarbeiteten, verabschiedeten die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Der Zweite Weltkrieg und der Völkermord an den europäischen Juden waren noch allgegenwärtig. Diese Gräuel durften sich nicht wiederholen. Deshalb sollte jeder Mensch die gleiche Würde besitzen, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität oder Religion.

Der Mensch ist von Natur aus frei. Darin waren sich die Philosophen der Aufklärung einig. Die Revolutionen in den USA und in Frankreich setzten diese Idee dann in ihren Verfassungen um.  

Aber „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ sind keine Erfindung der Moderne. Ihre Wurzeln haben die Menschenrechte im jüdisch-christlichen Glauben. Das war auch den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates klar. In der Präambel machten sie deutlich, dass sich das deutsche Volk das Grundgesetz „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ gegeben habe.

Basis für diese religiöse Begründung ist die Schöpfungserzählung der Hebräischen Bibel, die Christen das Alte Testament nennen. In ihr erschafft Gott den Menschen nach seinem Bild, gleichberechtigt als Mann und Frau. (Gen 1,27).
Man muss diese Glaubensüberzeugung nicht teilen, aber kann es eine stärkere Aussage zur Begründung der Menschenwürde geben als die Gottebenbildlichkeit des Menschen?

So wie es die Bibel schildert, ist diese Würde absolut und unantastbar. Sie wird dem Menschen nicht von einer Gesellschaft oder einem Staat verliehen. Der Staat hat vielmehr die Aufgabe, die Menschenwürde zu garantieren. Deshalb heißt es im Artikel 1 des Grundgesetzes weiter: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (GG Art. 1)

Juden und Christen bezeugen einen Gott, der die Freiheit des Menschen will. Die Erfahrung des Exodus, des Auszugs der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten, ist dabei von zentraler Bedeutung. Gott solidarisiert sich mit den Schwachen und Rechtlosen. Er befreit die Unterdrückten und schließt einen Bund mit ihnen. Der Gott Israels thront nicht irgendwo fernab in den Wolken, er ist seinem Volk nahe. Am Sinai schenkt er ihm die Zehn Gebote. Sie sollen die Freiheit und Gleichheit der Menschen bewahren.

Über die Jahrtausende hinweg haben die Erzählungen der Schöpfung und des Exodus die Menschen inspiriert, weit über das jüdische Volk hinaus. So verwiesen die deutschen Bauern in den Jahren der Reformation auf die Gleichheit aller Menschen, in dem sie das Sprichwort entwickelten: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“
Für die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in den USA waren die befreiten Israeliten ein Vorbild. „When Israel was in Egypt´s land“ – let my people go!“ sangen sie.

In Lateinamerika motivierte die Theologie der Befreiung die ausgebeuteten Landarbeiter zur Bildung der Basisgemeinden.
Und In Polen waren es überzeugte Christen, die Anfang der 1980er Jahre mit Unterstützung der Kirche die unabhängige Gewerkschaft „Solidarität“ gründeten. Sie leitete das Ende der kommunistischen Diktatur ein.

Das sind nur einige wenige Beispiele, die zeigen, welches Freiheitspotenzial der jüdisch-christliche Glaube hat. Er speist sich letztlich aus der Überzeugung, dass die Würde des Menschen in Gott begründet ist. Und dass dieser Gott für Freiheit und Gerechtigkeit steht. Ohne Wenn und Aber.

Über den Autor Andreas Britz

Andreas Britz, Jahrgang 1959, studierte Katholische Theologie und Geschichte in Trier. Seit 1989 unterrichtet er am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium im südpfälzischen Germersheim und ist Regionaler Fachberater für Katholische Religion. Zudem ist Britz Autor zahlreicher Unterrichtsreihen und Rundfunksendungen in den Hörfunkprogrammen des SWR.

Kontakt: andreasbritz@web.de