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Hören setzt Schweigen voraus

Morgenandacht, 09.03.2023

Steffen Flicker, Fulda

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Wenn ich ein gutes Gespräch führen möchte, muss ich bereit sein, meinem Gegenüber zuzuhören. Das klingt vielleicht banal. Aber häufig verstehen wir einander nicht oder reden wir aneinander vorbei, eben weil wir möglicherweise nicht wirklich zuhören können. Hören setzt Schweigen voraus.

"Das habe ich mir schon gleich gedacht!" – Wie oft höre ich diesen Satz. Mir wird dann immer wieder neu bewusst, wieviel sich unausgesprochen schon in Gedanken verfestigt hat – ja, welche Vor-Urteile es gibt.

Psychologen sagen: In den ersten Minuten einer Begegnung von Menschen entsteht bereits ein Urteil. Wenn ich dann noch Informationen von Freunden und Bekannten über diesen neuen Menschen erhalte, dann verbinden sich diese Hinweise mit einem vorgefertigten Urteil und dann sage ich vielleicht auch: "Das habe ich mir schon gleich gedacht!"

Es ist das berühmte "Hörensagen", von dem ich hier spreche. Wahrscheinlich ist dies unvermeidbar. Neben meiner eigenen Meinung über einen Menschen werde ich von den Ansichten meiner Freunde beeinflusst.

Dabei möchte ich eigentlich gar keine Vorurteile haben. Ich halte mich für unvoreingenommen. Aber das ist sicher ein Trugschluss. Und vielleicht ist es auch gar nicht schlimm, Vorurteile zu haben – Schlimm ist es nach meiner Auffassung aber, wenn ich Vorurteile nicht abbauen kann. Wenn ich so festgefahren bin, dass ich meinem Gegenüber gar keine Chance lasse. Wenn ich ihn dann gar nicht mehr anders sehen und verstehen kann.

Das "Hörensagen" beeinflusst mich. Es prägt auch jedes Gespräch, das ich mit dieser Person führe. Deswegen finde ich es wichtig, über die Art meines Zuhörens nachzudenken.

Hören setzt Schweigen voraus. Und noch etwas: Hören setzt die Bereitschaft voraus, meine eigene Meinung zu hinterfragen.

Mich fasziniert, wie unvoreingenommen Jesus mit Menschen in Kontakt getreten ist. Die Bibel berichtet davon, auf wen er sich im wahrsten Sinne des Wortes eingelassen hat. Menschen, die kein hohes Ansehen hatten: Betrüger oder Ehebrecher nimmt er in seinen Blick.

Jesus verharrt nicht in der Logik des Gesetzes und verurteilt zum Beispiel die Ehebrecherin nicht. Er lässt sich auf jeden einzelnen Menschen ein – so wie er ist – und versucht, die Lebenssituation, in der sich Menschen befinden, wirklich zu verstehen und nachzuvollziehen.

Ich verstehe Dich! Ich verurteile Dich nicht. Aber Du kannst Dein Leben auch ändern. Wenn ich die biblischen Texte über diese Begegnungen lese, kann ich mir vorstellen, dass Jesus ein guter Zuhörer gewesen sein muss. Jemand, der über seine Vorurteile hinaus ging, der Menschen eine Chance gegeben hat, der hinter die Dinge sehen konnte.

"Sich auf den Stuhl meines Gegenübers setzen", mich also in die Argumentation meines Gegenübers hineinzuversetzen – das ist wichtig für das gegenseitige Verständnis. Vielleicht hat der Andere mit seiner Meinung auch recht. Aber dazu muss ich ihm zunächst einmal konzentriert zuhören.

Mir imponiert, wenn ich merke, dass sich ein Gesprächspartner ganz auf mich konzentriert: Augenkontakt, Ruhe, Schweigen. Nicht sofort antworten. Warten, Nachdenken, Rückfragen stellen.

Das baut eine Brücke zwischen Menschen und das schafft Verständigung und Verständnis füreinander. Ich bin überzeugt, dass dies unsere Welt gerade in diesen Zeiten nötig hat.

Das nehme ich mir heute vor: Meine Fähigkeit des Zuhörens zu steigern. Schweigen als Voraussetzung für gutes Zuhören zu erkennen und mich daran zu üben. Ich versuche es.

Über den Autor Steffen Flicker

Steffen Flicker, Studiendirektor, verheiratet, zwei Kinder, wohnhaft in Fulda, seit August 2018 Schulleiter des Marianum Fulda, einer katholischen Privatschule, gegründet von den Marianisten.

 

2016 - 2018 Pädagogischer Leiter der Marienschule Fulda

2010 - 2016 am Studienseminar für Gymnasien in Fulda Ausbildungsbeauftragter für

die Referendare im Fach Politik und Wirtschaft

2003 - 2018 Studienrat an der Marienschule Fulda

2001- 2003 Studienreferendar an der Winfriedschule Fulda

Studium der Germanistik, Politikwissenschaft und katholischen Theologie

an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken

seit November 2016 im Ehrenamt Mitglied im ZdK (Zentralkomitee der deutschen Katholiken)

seit November 2012 im Ehrenamt Vorsitzender des Katholikenrates im Bistum Fulda

seit November 2000 im Ehrenamt Vorstandsmitglied im Katholikenrat im Bistum Fulda

von April 2002 bis April 2008 im Ehrenamt Vorsitzender des BDKJ (Bund der Deutschen Katholischen

Jugend) im Bistum Fulda