Heute geht die diesjährige "Woche der Brüderlichkeit" zu Ende – ach nein, Moment! So heißt es ja gar nicht mehr. "Christlich-Jüdische Zusammenarbeit", so lautet der neue Name seit diesem Jahr. Das Thema ist aber das gleiche geblieben.
Schon seit 1952 wird in Deutschland eine Aktions-Woche begangen, die Verständigung und Versöhnung zwischen Juden und Christen zum Ziel hat. Kritik gab es in all dieser Zeit immer wieder: zu staatstragend und aufgesetzt, fanden die einen; sie vermissten eine echte Volksnähe und ein Engagement von unten. Andere kritisierten, dass mit so einer Motto-Woche das friedliche Miteinander der Religionen im Endeffekt auf sieben Tage im März begrenzt werde – den Rest des Jahres könne man dann wieder getrennte Wege gehen.
Und nun ist es also die Brüderlichkeit, die stört – also, nicht die Zuneigung, Verbundenheit, Friedfertigkeit und Hilfsbereitschaft, die damit gemeint sind, sondern das Wort. Der Begriff "Brüderlichkeit", so gaben die Veranstalter bekannt, ist in größer werdenden Kreisen der Gesellschaft nicht mehr anschlussfähig.
Zugegeben, etwas altbacken klingt sie schon, die Brüderlichkeit. Was französische Revolutionäre sich auf die Fahnen schrieben und Schiller in der Ode an die Freude besang – alle Menschen werden Brüder! – das muss uns heute nicht mehr unbedingt mitreißen. Aber noch schwerer wiegt wahrscheinlich, dass sich viele Frauen nicht mehr angesprochen fühlen von einem Schlagwort, das ja doch sehr männlich daherkommt. "Brüder- und Schwesterlichkeit" oder auch "Geschwisterlichkeit", das würde wiederum ziemlich bemüht wirken. Und selbst da klingt womöglich immer noch der patriarchale Kontext durch, wo die traditionelle Kernfamilie das Maß aller Dinge ist.
Es gibt aber noch einen Grund, warum die Rede von Juden und Christen als Brüder zumindest ambivalent ist. Papst Johannes Paul II. meinte es zweifellos wertschätzend, wenn er von den Juden als den älteren Brüdern der Christen sprach. Und noch heute geht jedenfalls den Christen das Wort von den jüdischen Schwestern und Brüdern leicht über die Lippen.
Aber Kenner der Bibel könnten hier stutzig werden. Ältere Brüder kommen in vielen biblischen Erzählungen nämlich nicht unbedingt gut weg. Kain erschlägt seinen jüngeren Bruder Abel aus Eifersucht. Esau verkauft für einen Teller Linsen sein Recht als Erstgeborener an den jüngeren Jakob. Und als der im hohen Alter seine Enkel segnet, sagt er über den älteren Manasse: sein jüngerer Bruder Efraim wird größer als er und seine Nachkommen werden zu einer Fülle von Völkern. So gesehen ist es sicher gut, das Bild von den Brüdern nicht übermäßig zu strapazieren, wenn es um das Verhältnis von Religionen geht.
Nun geht also die Woche der Zusammen-Arbeit zu Ende. Die Ersatz-Formulierung ist in gewissem Sinne mal wieder typisch deutsch. Gemeinsam Zukunft bauen, so lautet das Motto. Uns Deutschen reicht es eben nicht, zusammen zu leben und zu feiern, bei uns kommt an erster Stelle die Arbeit. Und wir blicken auch nicht einfach nur gemeinsam in die Zukunft, wir wollen auch gleich die Ärmel hochkrempeln und daran bauen. Aber vielleicht verbindet gerade diese Einstellung Juden und Christen und Anhänger anderer Religionen und Nicht-Glaubende in Deutschland ja tatsächlich mehr als ein etwas diffuses Ideal der familiären Verbundenheit. Das Anliegen, immer neu nach Gemeinsamkeiten und Verständigung zu suchen, ist jedenfalls zeitlos wichtig. Es sollte am mehr oder weniger griffigen Titel einer Veranstaltung jedenfalls nicht scheitern!