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Edith Stein

Morgenandacht, 09.08.2024

Kaplan Andreas Hahne, Viersen

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In einer unserer Kirchen hängt über dem Altar ein Kreuz, das ich so noch nie zuvor gesehen habe. Auf dem Kreuz ist in Rot der Umriss des Körpers Jesu dargestellt, auf seiner Brust prangt ein gelber Davidstern. Als ich das Kreuz zum ersten Mal gesehen habe, musste ich stutzen. Denn so wurde ich sofort an die Situation der Jüdinnen und Juden in der Nazi-Zeit erinnert. Sie mussten sich den gelb untermalten Davidstern an ihre Kleidung heften. Ich musste an den Hass und die Diskriminierung denken, ja an das ganze Ausmaß des Leids, das jüdische Menschen über sich ergehen lassen mussten.

Auf dem Kreuz in der Kirche macht dieser Stern aber auch deutlich: Auch Jesus von Nazareth war Jude. Ich glaube, manchmal wird das hierzulande leicht vergessen, in der Diskussion unserer Zeit. Jesus Christus war Jude. Wenn er in der NS-Zeit gelebt hätte, hätte er diesen Stern auch tragen müssen.

Eine Christin, die tatsächlich diesen Stern auch tragen musste, war die Deutsche Edith Stein. Sie wuchs in einer gläubigen jüdischen Familie auf, entfernte sich als Jugendliche aber von ihrem Glauben und bezeichnete sich eine Zeitlang als Atheistin. Nach ihrer Schulzeit studierte sie unter anderem Philosophie und promovierte schließlich in diesem Fach.

Als sie sich mit den Schriften der christlichen Mystikerin Theresa von Avila befasst, kommt es in ihrem Leben zur entscheidenden Wende. Bei ihrer Suche nach Wahrheit und Sinn sieht sie sich nun auf dem richtigen Weg. Sie tritt zum Christentum über, lässt sich katholisch taufen und wird schließlich sogar Nonne. Sie tritt in den Karmeliter-Orden ein und nennt sich fortan: Teresia Benedicta vom Kreuz. Denn es ist das Kreuz Jesu, dessen Anblick sie zum Glauben führt. Hier im Leiden offenbare sich Gott, sagt sie damals. Und es sei der Blick auf den leidenden Gottessohn am Kreuz, der denen Kraft verleiht, die selbst ein Kreuz zu tragen haben. Es scheint, als würde hier schon Edith Steins späteres Schicksal aufscheinen. Als 1933 die Nazis an die Macht kommen, gerät sie als Jüdin selbst in Bedrängnis.

Auch wenn sie den jüdischen Glauben hinter sich gelassen hat, lässt sie keinen Zweifel daran, dass sie sich weiterhin als Jüdin versteht. Bereits 1933 fordert sie Papst Pius XI. in einem Brief auf, gegen die Verfolgungen der jüdischen Bevölkerung öffentlich zu protestieren. Diese Bitte wird ihr nicht erfüllt. Schließlich bekommt sie selbst die ganze Härte des Judenhasses zu spüren: 1942 wird sie zusammen mit ihrer Schwester nach Auschwitz deportiert und kurz darauf dort ermordet. Als sie von der Gestapo abgeholt wurde, soll sie entschlossen zu ihrer Schwester gesagt haben: "Komm, wir gehen für unser Volk."

1998 hat Papst Johannes Paul II. Edith Stein heiliggesprochen. Immer wieder wurde kritisiert, dass die Katholische Kirche auf diese Weise versucht hätte, die christliche Jüdin Edith Stein zu vereinnahmen. Doch der Papst wollte damit auch ein Zeichen setzen und erklärte Edith Stein zur Patronin Europas. Damit wollte er auf die jüdisch-christlichen Wurzeln des Kontinents hinweisen. Johannes Paul II. sagte damals, im Blick auf Edith Stein könne ein "Banner gegenseitiger Achtung, Toleranz und Gastfreundschaft aufgezogen werden, das Männer und Frauen einlädt, sich über die kulturellen und religiösen Unterschiede hinaus zu verstehen und anzunehmen." Das sei der Schlüssel zu einer Gemeinschaft, die sich als geschwisterlich erfährt.

Am heutigen 9. August, dem Todestag Edith Steins, wird in der Kirche an diese große Frau erinnert. In ihr treffen sich Wissenschaft und Religiosität, Intellekt und Hingabe und nicht zuletzt: Judentum und Christentum. So wie im Kreuz in der Kirche, an dem der leidende Jesus den Davidstern trägt.

Über den Autor Andreas Hahne

Andreas Hahne, geb. 1984, ist Kaplan in der kath. Kirchengemeinde St. Remigius, Viersen. Er hat von 2017 bis 2021 Theologie in Frankfurt/Sankt Georgen und Brixen (Südtirol, Italien) studiert. 2023 ist er in Aachen zum Priester geweiht worden. Vor seinem Theologiestudium hat er als IT-Berater und Projektleiter in Köln gearbeitet. Seine Hobbys sind Volleyball, Wandern und Musik.

Kontakt: andreas.hahne@bistum-aachen.de