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Gute Mächte reichen weiter

Morgenandacht, 09.09.2023

Domkapitular Ulrich Beckwermert, Osnabrück

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Es ist ein gutes Gefühl, einen neuen Tag mit guten Mächten zu beginnen. Vor allem dann, wenn große Herausforderungen auf uns warten. Der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer hat die letzten 2 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbringen müssen und stand so jeden Tag vor großen Herausforderungen. Der Glaube an die guten Mächte war ihm in dieser Zeit der Krise eine wichtige Stütze. Im Dezember 1944 schrieb er im Gefängnis seiner Verlobten ein Gedicht mit den Worten: "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag." [1]

Bonhoeffer war ein Mann der Hoffnung. Er glaubte an Gott, der ihn mit seiner guten Macht und Kraft beschützt. Und das bereits am frühen Morgen. Bonhoeffer glaubte auch daran, dass diese Mächte nicht nur ihn beschützen, sondern auch seine zukünftige Frau, seine Familie und alle, für die er als Mensch, Theologe und Seelsorger verantwortlich war. Von Bonhoeffer lerne ich, dass ich diesen neuen Tag in der Gewissheit beginnen kann, dass gute Mächte mich leiten werden und dass diese Mächte sich auch sorgen um Menschen, die mir nahe und wichtig sind.

Es gibt aber in Bonhoeffers Leben ein Ereignis, das mich gelehrt hat, dass diese guten Mächte noch viel weiter reichen, als ich dachte. Kurz vor Kriegsende, im April 1945, sitzt Bonhoeffer in einem Scheingerichtsverfahren einem Richter gegenüber, der ihm zum Tode verurteilt. Bonhoeffer wird hingerichtet. Der Richter gerät wenig später in Kriegsgefangenschaft, wird aber wird nach kurzer Zeit wieder freigelassen. In der Nachkriegszeit kann er als Jurist weiterarbeiten, obwohl er sich von seiner nationalsozialistischen Gesinnung nie distanziert hat. 1976 stirbt er gutversorgt im Kreis seiner Familie. Für seine Verbrechen als SS-Richter wurde er nie wirklich zur Verantwortung gezogen." [2]

Seine Familie, die die nationalsozialistische Ideologie klar ablehnt, verfasste einen Nachruf mit dem Gedicht von Dietrich Bonhoeffer, dem Gedicht von den guten Mächten. Das Entsetzen darüber war groß. Wie kann ausgerechnet über dem Nachruf des Richters, der Bonhoeffers Todesurteil sprach, dessen Gedicht stehen? Und: Was haben die guten Mächte mit einem Mörder zu tun?

Aber vielleicht passt es doch. Als Bonhoeffer sein Gedicht von den guten Mächten schrieb, da dachte er an das Leben Jesu, das ganz geprägt war von Gottes guter Macht. Jesus hat diese Macht vor allem gezeigt, indem er sich auch verirrten und bösen Menschen zugewandt hat. Viele von ihnen waren längst von der Gesellschaft fallengelassen worden. Gottes gute Mächte wollen aber nicht fallen lassen, sondern aufrichten, heilen und erneuern. Diese Zusage richtet Jesus auch an die, die das Gute ablehnen, ja sogar bekämpfen.

Für mich ist das eine tröstliche Botschaft zu Beginn dieses neuen Tages: Gottes gute Mächte wenden sich nicht nur den Guten zu, sondern allem, was lebt. Deshalb kann ich mich diesen Mächten heute wieder anvertrauen mit allem – auch was nicht gut ist – auch bei mir nicht gut ist. Gottes gute Mächte reichen weiter, als ich begreifen und fühlen kann. Sie können wirken und gestalten, wo mir längst die Kräfte und der Mut fehlen. Gottes gute Mächte können Wege der Versöhnung gehen, die ich vielleicht nie gehen würde. Aber Gottes gute Mächte sind größer als das, was in meiner Macht steht. Ihnen kann ich mich anvertrauen, auch wenn sein Wirken mein Begreifen und Verstehen übersteigt. Ich glaube: Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem, auch an diesem neuen Tag. 


[1] Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung. Hrsg. Eberhard Bethge. Gütersloher Verlagshaus Mohn, Gütersloh 13, Aufl. 1985, S. 204.

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Thorbeck

Über den Autor Ulrich Beckwermert

Ulrich Beckwermert ist Domkapitular in Osnabrück. Er ist 1964 geboren und aufgewachsen in Emsdetten und Bad Rothenfelde. Nach dem Studium in Frankfurt und Wien wurde Ulrich Beckwermert 1990 zum Priester geweiht. Es folgten u.a. Aufgaben als Kaplan und Pfarrer, Regens des Priesterseminars und Generalvikar. Bis zur Einführung eines neuen Bischofs von Osnabrück ist er Ständiger Vertreter des Diözesanadministrators des Bistums.