„Haben Sie ein Lieblingsbuch?“, so wurde Bertolt Brecht einmal gefragt. Und seine Antwort: „Ja, Sie werden lachen: die Bibel.“ Brecht, der heute vor 125 Jahren in Augsburg geboren wurde, schätzte die literarische Qualität mancher Bibeltexte. Im Übrigen aber war er religiös „unmusikalisch“. Als kommunistischer Autor war er überzeugt: Es gibt keinen Gott.
In seinem Gedicht vom „Ozeanflug“ wird Brechts Atheismus besonders deutlich. Es beginnt mit den Zeilen: „Was immer ich bin und welche Dummheiten ich glaube: Wenn ich fliege, bin ich ein wirklicher Atheist.“
Das habe ich – ehrlich gesagt – nie verstanden. Mir geht es beim Fliegen immer ganz anders. Wenn ich im Flugzeug aus dem Fenster schaue, dann packt mich oft ein Gefühl der Ehrfurcht. Mich berührt die Schönheit und Harmonie der Natur: die gewundenen Läufe der Flüsse, das satte Grün der Wiesen, die unendlichen Weiten des Meeres, die schneebedeckten Gipfel der Berge. Dann die Formation der Wolken. Mal bedrohlich und alles verschlingend, dann wieder leicht und verspielt. Und über allem dieser grenzenlos scheinende Horizont mit dem gleißenden Licht der Sonne.
Wenn ich fliege, fühle ich mich unendlich frei. Gleichzeitig aber empfinde ich auch große Demut. Reinhard Mey hat das in seinem vielleicht berühmtesten Song so ausgedrückt: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein; alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen, und dann würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.“
Natürlich bin ich mir bewusst, dass es die Technik des Menschen ist, die mich dieses Wunder der Schöpfung so losgelöst von der Erdenschwere erleben lässt. Aber das ändert nichts daran, dass mir gerade das Fliegen einen so überwältigenden Eindruck von Gottes Wirken verschafft. Und darin eingeschlossen ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit.
Bertolt Brecht kann das so nicht sehen. Bei ihm ist für Gott kein Platz. In seinem „Ozeanflug“ zeigt er sich sicher, dass der Fortschritt von Naturwissenschaft und Technik Gott aus der Welt verdrängen wird: „Baut Straßen durch das Gebirge, dann verschwindet er. Flüsse vertreiben ihn aus der Wüste. Das Licht zeigt Leere und verscheucht ihn sofort. Unter den schärferen Mikroskopen fällt er. Es vertreiben ihn die verbesserten Apparate aus der Luft.“
Ich meine: Brechts Vorhersage hat sich als falsch erwiesen. Allem wissenschaftlichen Fortschritt zum Trotz bleibt Gott eine feste Größe in dieser Welt. Er geht nicht auf in irgendwelchen kosmologischen Welterklärungsmodellen. Und auch der realexistierende Sozialismus mit seiner Diktatur des Proletariats hat ihn nicht umbringen können.
Wenn Gott aber in dieser Welt nicht aufgeht, sondern über sie hinausreicht, dann lässt er sich naturwissenschaftlich nicht beweisen. Das gilt in gleichem Maße allerdings auch für die atheistische Grundannahme, dass Gott nicht existiert. Entscheidend ist, wie der Mensch mit der offenen Frage nach Gott umgeht.
Wer mit ihm als Schöpfer der Welt rechnet, der muss weder im Cockpit eines Flugzeugs noch in einem Raumschiff zum Atheisten werden. Das haben die amerikanischen Astronauten Lovell, Anders und Borman gezeigt, als sie Weihnachten 1968 mit Apollo 8 den Mond umkreisten. Sie waren die ersten, die bei Ihrem Flug die Erde als blauen Planeten hinter dem Horizont des Mondes aufgehen sahen. Überwältigt von diesem Anblick zitierten sie die ersten Worte der Bibel:
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht.“ (Gen 1,1-3)