Die Szene hat sich mir tief ins Gedächtnis gegraben. Im Kino habe ich sie gesehen, Finale eines Dokudramas. Sie spielt in einem Berliner Hinterhof. Oben am Fenster steht eine Frau. Unten schlägt ein Arbeiter mit einem großen Hammer auf einen Berg von Gegenständen. Masken sind es, Gipsmasken. Mit dem Konterfei des Mannes, der kurz zuvor verstorben ist: Bertolt Brecht.
Die Totenmasken des Dichters und Theatermanns werden zertrümmert – auf Anordnung seiner Frau, die am Fenster steht: der Intendantin Helene Weigel. Um den Hype zu beenden, in dem Geschäftstüchtige Bert Brecht für ihre Zwecke billig zu vermarkten suchten. So werden neue Totenmasken zertrümmert. Das geht unter die Haut. Man sieht in letzter Konsequenz, was Brecht sich zum Programm gemacht hatte: "Ich werde der Welt zeigen, wie sie ist. Aber wie sie wirklich ist."
So ist sie nämlich auch, die Welt: Man kann und darf sie nie in glatte Bilder fassen. Man darf sich ihrer und ihrer Menschen niemals bemächtigen. Nicht einmal der Totenmasken davon.
Heute vor 126 Jahren wurde Bert Brecht in Augsburg geboren. Vielleicht würden Weigel oder Brecht nicht zustimmen, dass er in einer Morgenandacht vorkommt. Auch wenn er auf die Frage nach dem ihm wichtigsten Buch der Weltliteratur ja geantwortet hat: "Sie werden lachen: die Bibel." Vielleicht würde Brecht aber zustimmen, wenn er an sein eigenes Programm denkt: "Ich werde der Welt zeigen, wie sie ist. Aber wie sie wirklich ist."
Da ist Brecht nah dran an dem Grundanliegen des Jesus von Nazareth: den Menschen und die Welt ernst nehmen, wie sie sind. Nichts vorschnell spiritualisieren oder schönreden. Jesus hat doch beim Namen genannt, wie viel Unrecht geschieht, wenn etwa Kleinen Böses angetan wird – und dass Täter nicht ungestraft bleiben dürfen: Einen Mühlstein sollte man ihnen um den Hals hängen. Jesus hat Hartherzig-Überhebliches entlarvt, wenn er in der Geschichte vom barmherzigen Samariter zeigt, wie Religionsbeamte an einem Überfallenen vorbeigehen, der Ausländer aber zupackt und sorgt.
Der Welt zeigen, wie sie wirklich ist: Bert Brecht hat, inspiriert von der Bibel, in oft drastischen Bildern geschildert, wie grausam Krieg ist; was Krieg mit Soldaten macht, mit ihren Frauen, Müttern und Kindern. Brecht hatte selbst erfahren, wie es ist, wenn einem das Existenzrecht im eigenen Land versagt wird und Bücher verbrannt werden – und man da Exil und Schutz findet bei Menschen fremder Länder.
Der Welt zeigen, wie sie wirklich ist. Fast zwei Jahre nach dem Überfall auf die Ukraine und nach Monaten von Kämpfen im Gaza-Streifen, angesichts populistischer Veranstaltungen in unserem Land. Brecht würde auf seine Weise neu beim Namen nennen, wie die Welt wirklich ist. Und der Mensch. An Masken würde er rangehen und entlarven und mit Feingespür für das, was in Menschenseelen ist, wieder so fragen:
Sind Sie ein König?
Oder sind Sie gerade so wie der Rest von uns?
Besitzen Sie ein Rittergut?
Oder leben Sie in unserer Seitenstraße?
Sind Sie ein gerechter Mann?
Oder sind Sie wie wir gewöhnliches Pack?
Haben Sie Mut?
Oder verhalten Sie sich wie wir in der Gefahr?
Glauben Sie an irgend etwas?
Oder reden Sie wie wir von der Welt?
Bin ich unterwegs mit Würde – eines Königs, einer Königin würdig, die wir nicht nur im Fasching spielen, sondern die Jesus uns Gottesgeschöpfen zugedacht hat. Eine ernstzunehmende Frage in närrischen Tagen und verrückten Zeiten. "Die Widersprüche sind die Hoffnungen", wusste Brecht uns auch zu sagen. – Gott sei Dank!